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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0061
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gefährtin, sowie eine begeisterte Gesinnungsgenossin, und lebt heute noch
hochbetagt in Paris ganz dem Andenken ihres Mannes.

Nach verschiedenen Reisen ließ sich Herwegh in Paris nieder und
es kam 1844 der zweite Band der „Gedichte eines Lebendigen" heraus.
In diesem erschienen die politischen Anschauungen des Dichters reifer
und bestimmter, und eben deshalb vielleicht fand dieser Band weniger
Anklang als der erste. Und doch Krackte er herrliche Gaben, wie den
Mvrgenruf:

„Die Lerche war's, nicht die
Nachtigall,

Die eben am Himmel ge-
schlagen,

Schon schwingt er sich aus,
der Sonnenball,

Vom Winde des Morgens
getragen-

Heraus, wer ans ewige Licht
noch glaubt!

Ihr Schläfer, die Rosen der
Liebe vom Haupt
Und ein flammendes Schwert
um die Lenden!"

ferner das berühmte:

„Alle Herzen, stolz und heiß,

Müssen hier verbluten,

Darum in der Gletscher Eis
Flucht' ich meine Gluthen

Ruf' ich in den goldncn Tag
Heut' aus Herz und Kehle:

Raum, ihr Herrn, dem
Fliigeljchlag
Einer sreien Seele!"

und das schöne Heidenlied:

„Wie lebten doch die Heiden
So herrlich und so froh
Sie war'n ein Volk von
Seiden,

Wir sind ein Volk von Stroh!

Entführt' ein Ochs ein schönes
Kind

Zuweilen auch — doch glaubet
tv mir,

®ie Heiden waren nicht so
m- blind,

""cht halb so blind wie wir.

Sie thaten, was sie mochten,

Die Frechheit war enorm,

Sie siegten, wenn sie fochten,

Auch ohne Uniform!" —

Die Gedichte „Vom
armen Jakob" und der
„kranken Life" zeigten schon
eine sozialistische Tendenz.

Das erste schildert ergrei-
fend das Begräbniß eines
Bettlers und schließt:

„Schlaf wohl in deinem Sar-
kophag,

Drin sie dich ohne Hemd
begraben,

Es wird kein Fürst am jüng-
sten Tag

Noch reine Wäsche haben."

(Das Gedicht „Die kraitke Life" bringen wir umstehend mit zwei
vortrefflichen Illustrationen von H. G. Jenhsch zum Abdruck.)

In diesem Bande sind auch die Gedichte enthalten, die sich auf

en bekannten poetischen Streit zwischen Freiliqrath, Geibel und Herwegh
beziehen. Die K-n- . - - -


-.v. 1

«ziepen. Die beiden Ersteren genossen vom König von Preußen eme

Pension von je 300 Thalern. Nichtsdestoweniger unternahmen

Herwegh wegen seiner Reise nach Berlin und seiner Audienz
greifen.

Freiligrath spottete:

cir sie es,
anzu-

„Du trotziger Diktator,

Wie bald zerbrach dein Stab!

Dahin der Agitator

Und übrig nur der Schwab!"

Herwegh antwortete:

„Der König bezahlt die Kameele
Und macht sie tributär,

Dreihundert Thaler die Seele —

Schlafe, was willst du mehr?"

Freiligrath stellte dann seinen bekannten Satz auf:

„Der Dichter steht auf einer höhern Warte,

Als auf der Zinne der Partei" —

worauf Herwegh mit seinem
berühmten Gedickt „Die
Partei" antwortete:

„Selbst Götter stiegen vom
Olymp hernieder
Und kämpften auf der Zinne
der Partei!"

Daitir aber schlug er seine
beiden Gegner zu Boden mit
beut Spottgedicht „Duett
der Pcnsionirten", worin
er sie singen läßt:

„Und so laß uns unsre Flam-
men

Thun zu einem Brand zu-
sammen,

Braten als getreue Diener
Die verfluchten Jakobiner, ,
Und verzehren dann inFrieden
Die Pension der Invaliden!"

Daniit war der Streit
beendet. Dies Gedicht und
der Beifall, den es fand,
mag dazu beigctragen haben,
daß Freiligrath auf seinen
Gnadengehalt verzichtete.

Herwegh übersetzte in
Paris die Werke Lamar-
tine's — da brach die von
ihm so oft gcweissagte Re-
volution inr Februar 1848
zu Paris aus und wälzte
sich nach Deutschland hin-
über. Deutsche Flüchtlinge
in Paris entwarfen einen
Plan zu einem bewaffneten
Einfall nach Deutschland,
um dort die Republik ein-
zuführen, und es gelang
ihnen Herwegh zu gewinnen,
so daß er sich an die Spitze
des Unternehmens stellte.
Es sollte aus den in Frank-
reich weilenden deutschen
Arbeitern eine deutsche de-
inokratische Legion gebildet
werden. Marx und Engels,
die sich damals auch in
Paris befanden, bezeichneten
das Unternehmen als zweck-
lofe Revolutionsspielerei,
man könne, meinten sie,
die Republik nicht zwangs-
mäßig von Außen nach Deutschland importiren, aber Herwegh ließ sich
nicht warnen.

Die Legion, der die unsinnigsten Gerüchte vorausgingen, als ob
sie eine reine Räuber- und Mörderbande wäre, marschirte nach dem
Rhein und erschien dort, als sich in Baden die Republikaner unter
Hecker und Struve erhoben. Frau Herwegh begab sich, als Manir ver-
kleidet, über den Rhein und schlich sich mit viel Muth und List durch
die feindlichen Truppen, um mit Hecker einen gemeinsamen Plan zu
verabreden. Aber Hecker wollte mit den „Räuber- und Mörderbandcn"
nichts zu thun haben. „Ich habe die deutschen Arbeiter nicht gerufen",
sagte er und ivics Frau Herwegh ab. Nach Heckers Niederlage bei
Kandcrn riefen Sigel und Mögling die demokratische Legion herbei.

(Fortsetzung auf S. 2148.)
 
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