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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0066
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Jetzt ist er dein Ziele
nah und müde erhebt er sich
vom Stein.

Brust den landsmännischen Kugeln dargeboten hatte. Eine kleine
Sammlung brachte die Mittel hierzu auf und der alte „Rebell" machte
sich an einem schönen Maieutag auf den Weg.

Jetzt ist er dem Ziele nahe und müde erhebt er sich vom Stein,
um in das heimathliche Dorf einzuziehen. Verwundert sehen ihm die
Bauern nach, keiner kennt ihn, keiner grüßt ihn, und still geht der
Alte seines Wegs bis zum Gasthaus,,wo er erst nach Vorzeigung der
nöthigen Baarmittel eine Schlafstelle angewiesen erhält.

Am nächsten Tage zieht's den Alten auf die Scheideck; auch die
Eiche steht noch da, unter welcher er einstmals mit seinem Vater den
Blutbund mit der Freiheit besiegelte. Heller erglänzen seine Augen,
als die Sonnenstrahlen den Platz mit goldenem Licht umfluthen, laut
schmettern die Vögel und der Wald umgiebt ihn mit seinem geheimniß-
vollen Zauber. Und wieder streckt er die Hand empor dem Licht ent-
gegen, als winke er den Schaaren zu, die sein geistiges Auge in un-
gezählten Schwaden heranbrausen sieht, zuin Kampf für Freiheit und

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Recht. — Langsam sinkt die Hand herab, das Haupt fällt auf die
Brust und sauft nimmt der grüne Waldboden den zusammcnbrecheuden
Körper auf und bettet ihn in Moos und duftenden Blumen und
Kräutern. Roch einmal schlägt der Greis die Augen auf, der blitzenden
Sonne entgegen, dann schließen sie sich auf immer. Der alte „Rebell"
hauchte seinen letzten Athemzug auf dem Schlachtfeld auö.

* -i-

*

Nach einigen Tagen steht ein schmuckloser Armcusarg im Spritzen-
hause des Dorfes Sch. In denselben ist der Alte zur letzten Ruhe
gebettet. Aus den Papieren, die sich in den Kleidern der Leiche aus
der Scheideck vorfanden, wurde festgestellt, daß es der längst verschollene
Haus Müller, bekannt unter dem Namen „der Rebell" sei. Mit
saurer Miene entschlossen sich die Bauern, die Beerdigung der Leiche
zu übernehmen; sie schimpften weidlich auf den „Rebellen," daß er
ihnen im Tode noch Kosten verursachte.

Zum dritten Male läutete die Todteuglocke und die vier Träger
waren eben im Begriff, den schmucklosen Sarg aufzunehmen, als ein
Zug Männer nahte, der von Kindern nach dem Spritzenhause zur
Leiche geführt wurde.

Es waren Parteigenossen, die aus der Zeitung den Tod des Alten
erfahren hatten. Sie säumten nicht, eine längere Bahnfahrt zu machen,
um ihnr noch das letzte Geleite geben zu können.

Schnell wurde der Sarg mit Kränzen und rothen Bändern ge-
schmückt, und in feierlichem Zuge ging's zum Kirchhofe. Verdutzt
schauten die Bauern aus ihren Hausern heraus und dem Ortsbüttel
ward's über den rothen Schleifen ganz „köllerisch" zu Muthe, aber er
wagt eö nicht, dem Zuge Hindernisse in den Weg zu legen.

Auf dem Kirchhofe angelangt, hielt einer der Leidtragenden eine
ergreifende Rede, die er mit den Worten Freiligrath's schloß:

So lagen die Tapfern an Wien und Spree;

So lagen die Turner am Eiderfluß;

So lagen auf jener Schwarzwaldhöh'

Die Freistaatmänner, gesällt vom Schuß.

So liegen und lagen sie hundertweis,

Die der März gefordert und der April;

So findet sie liegen die Rose des Mai's,

Daß ihr Grab sie bekränze freundlich und still.

Hierauf wurde der Sarg in die Gruft gesenkt. Bald war der
Hügel aufgeworfen und mit Kränzen und Blumen bedeckt, mrtcr dem
der „alte Rebell" endlich seine Ruhe gefunden hatte.

Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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