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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0083
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2165 *-

Ja so, das Hebet, das hatte Herr Tappet ganz vergessen; man muß
doch ein Hebet haben, wenn man zum Arzt kommt. Er erklärte also:

„Mir ist hänfig so schlecht — im Magen besonders "

„Appetitlosigkeit, Uebelfeit, zuweilen Heißhunger?" fragte der
Wurmdoktor.

„Jawohl", bestätigte Tappel, „aber was ich noch sagen wollte "

„Haben Sie manchmal das Gefühl, als ob Ihnen ein Knäuel bis
zrmr Halse emporstiege?"

„Ein Knäuel?" fragte Tappel verwundert, bestätigte aber auch
dieses "Symptom, um endlich wieder auf seine politische Auseinander-
setzung zurückzukommen. Er habe in London einem Geheimbund an-
gehört, erzählte er, welcher den radikalsten Tendenzen huldigte —

„Sind schon Glieder abgegangen?" fragte der Doktor.

„Allerdings, es kommen aber immer neue hinzu", meinte Tappel,
der an die Mitglieder seines angeblichen Geheimbundes dachte.

„Der Kopf ist also noch vorhanden", sagte Doktor Berthier mit :
Bestimmtheit. Dann ging er zu einem Schränkchen, entkorkte eine
Flasche rmd füllte ein Gläschen mit einer dunklen Flüssigkeit.

„Trinken Sie",
sprach er.

„Sehr liebens-
würdig", antwortete
Tappel. „Prost!"

Er schluckte die
Flüssigkeit, die er für
Liqueur hielt, rasch hin-
unter, dann verzog er
das Gesicht.

„Was ist denn das
für eine Sorte?"

„Es schmeckt nicht
gut, aber es ist heilsam",
erklärte der Doktor.

„Gehen Sic setzt rasch
nach Hause, in zwei
Stunden ist Alles vor-
über." Damit über-
reichte er Herrn Tappel
den Hut und geleitete
ihn zur Thür. Tappet
war über dieses Beneh-
men ganz konsternirt
mid befand sich auf der
Treppe, ehe er noch recht
wußte, wie er sich die Si-
tuation erklären sollte.

„Ein sonderbarer Mensch, dieser fremde Anarchist", sagte er, als
er auf den Marktplatz hinanstrat. Plötzlich blieb er stehen und wurde
bleich. Er hatte im Magen ein ganz seltsames Gefühl. Was war das?

„J tun, wie sehen Sie denn ans?" fragte plötzlich Jemand neben ihm.
Es war der Erpedient Walter, der scheinbar zufällig über den Platz schritt.

E »Ach, rathen Sie mir", sprach Tappel ängstlich. „Ich war soeben
bei dem fremden Genossen, dein Doktor Berthier "

„In solche, gefährliche Gesellschaft wagen Sie sich?" fragte Walter.

„ln hat mir etlvas zu trinke» gegeben, darauf ist mir Übel geworden."

„Sic sehen allerdings aus wie der Tod", bemerkte der Andere. „Aber
Sorgen brauchen Sie sich nicht zu mache». Doktor Berthier ist allerdings
ein Propagandist der Thal und arbeitet sogar mit Gift, aber er geht sehr
vorsichtig zu Werke und vergiftet nur ganz notorische Polizeispitzel."

Tappel stieß einen Schrei a>is. „Was? Er vergiftet . . .?"

„So seien Sie doch ruhig, was geht denn Cie das an! Ich sag'
es sa, er vergiftet nur Spitzel."

„Ich bin verloren!" schrie Tappel. „In zwei Stunden ist Alles
vorüber, hat er gesagt. Einen Arzt! Polizei!"

Die sonderbaren Empfindungen, die er schon im Magen gehabt hatte,
erstreckten sich auf alle Gedärme. Tappel lvar nicht mehr int Zweifel, er
hatte Gift getrunken! Er wankte zur nahen Apotheke und flehte um Hilfe,
^a er vergiftet worden sei von Sozialdemokraten oder Anarchisten, als
^pfer politischer Rache, weil er der Polizeibehörde Dienste geleistet habe.

„So, so!" bemerkte Walter zu diesem Geständniß des Verzweifelten.

Man gab ihin ein Brechmittel, und es war inzwischen von den
Leuten, die sich zufällig in der Apotheke als Käufer befunden hatten,
die Kunde von der politischen Mordthat mit Blitzesschnelle über den
ganzen Markt verbreitet worden. Neugierige belagerten die Apotheke,
um das Opfer zu sehen, Gendarmen erschienen, endlich kam auch ein
Kommissar der politischen Polizei.

„Was Teufel ist denn mit Ihnen vorgegangen, Tappel?" fragte
dieser, den Kranken erkennend, der vor Angst mehr todt als lebendig war.

„Ach, ich bin vergiftet. . . Doktor Berthier ... verhaften Sie ihn!"

„Was? Doktor Berthier?" fragte der Koinmissar. „Da haben
Sic uns eine fatale Sache eingebrockt. Ich komme eben aus der sozial-
demokratischen Druckerei."

„Haben Sie das Flugblatt des Anarchisten? Dann wissen Sie
ja, daß er der Schuldige ist!"

„Ich weiß, daß Sie ein Esel sind", platzte der Kommissar heraus.
„Das Flugblatt handelt von der Vertilgung des Bandwurms!"

Der Koinmissar hatte leise gesprochen, um von den übrigen An-
wesenden nicht gehört zu
werden, trotzdem war
dem Erpedienteir Wal-
ter, der genau anf-
horchte, kein Wort ent-
gangen. Er trat jetzt vor.

„Sic müssen Ihren
Kollegen Tappel schvji
entschuldigen", sagte er
zu dem Kommissar. „Er
hat Ihnen unser Wahl-
flugblatt verrathen, und
so mußte er uns auch
zur Revanche verhelfen,
die durch das Gaudium,
lvclcheö der polizeilich
beschützte, staatserhal-
tendc Bandwurm er-
regen lvird, bestens be-
sorgt ist. Mehr lvie ein-
mal lassen wir uns von
einem Spitzel nicht aufs
Eis führen."

„Tappel ist also in
eine Falle gegangen",
konstatirte der Kom-

'SÜP*' missar. „Aberwie kommt

er in diesen Zustand?"

„Ganz einfach", erklärte Walter, „Tappel ging zu dem angeblichen
Anarchisten Doktor Berthier, um ihn auszuhorchen und dann zu denun-
ziren. Der gute Bandwurin-Doktor hat aber lveder von Anarchismus
noch von Spitzelei irgendwelche Ahnung, er konnte daher den edlen
Zlveck des Besuchers nicht durchschauen. Er hielt den lvackeren Tappel
für einen Bandwurmleidenden und gab ihm sein Mittel, welches jede»
Bandwurni in zlvei Stunden vertilgt. Tappel lvird dafür zlvanzig Mark
zahlen müssen, weitere Gefahren bestehen für ihn nicht."

Tappel sprang vergnügt auf. „So biir ich nicht vergiftet?"

„Nein, trösten Sie sich: Unkraut verdirbt nicht", beinerkte Walter,
„aber hüten Sie sich, jemals lvieder bei den Sozialdemokraten sich
blicken zu lassen, sonst könnte mau Ihnen leicht zur Nachkur einige
ungebrailnte Asche verordnen."

Tappel beherzigte diese Warnung und verließ in einigen Tagen
die Stadt. Das konfiszirte Wahlflugblatt der Sozialdemokraten war
bald durch ein neues ersetzt, welches unbehelligt erschien, dein: die
Blamage, welche sich die Polizei durch die Konfiskation der Bandwurm-
reklamc und durch Tappels Vcrgiftungsaffaire zugezogen, hatte ihr
die Lust ;n weiteren Großthateu einstweilen benommen.

Die Sozialdemokraten aber hatten nicht nur die Lacher auf ihrer
Seite, sondern Jeder, der kleinliche Maßregeln und Spitzelest» verachtet,
wandte ihnen sein Interesse zu, lind der Wahlkreis lvnrde von der
Sozialdemokratie glänzend erobert. ^
 
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