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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0095
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T)er König Winter saß einmal in seinem Palais und hatte große
Soraen Er dachte darüber nach, wie er es machen müsse, um König zu
bleiben Er hatte ein Herz für die Menschheit, und darum wollte er auch
so gern König bleiben. Denn er wußte ganz genau, daß die Menschen
sich nur unter seinem Szepter wohl fühlen konnten, und wenn sie laut
mit den Zähnen klapperten und mit den Gedärmen knurrten, so riefen
seine Räthe: „Nun hören Majestät blos mal, wie die Leute sich freuen!"
Und der König glaubte auch alles, was angenehm zu hören war.

Nun war es aber draußen in der Welt März geworden und
allerlei verdächtige Stimmen wurden laut, allerlei bedrohliche Zeichen
machten sich an Himmel und Erde bemerkbar. Anfangs hatten die
besorgten Diener dem König diese Vorkommnisse verheimlicht; aber bald
war das Aergerniß nicht mehr zu verbergen. Irgendwo hatte ein
frecher Vogel zu piepsen gewagt;
in verschiedenen Gräben und
Bächen war eine Bewegung ent-
standen; eine geheime Verbin-
dung von ausgewiesenenStaaren
war ohne behördliche Erlaubniß
zurückgekehrt und hatte eine Ver-
sammlung ab gehalten — noch
dazu unter freiem Himmel! —
hier und da waren sogar Blätter
hcrausgekommen, und was des
groben Unfugs mehr war. Diese
Blätter waren nun zwar gleich
in der Nacht nach ihrem Er-
scheinen konfiszirt worden; was
sich aber nicht konfisziren ließ,
das war die Sonne, diese drei-
mal vermaledeite Aufwieglerin.

Mit einer pomadigen Unver-
schämtheit, die wirklich ihres-
gleichen suchte, stieg diese Brand-
stifterin von Tag zu Tag höher,
blickte sie mit jedem Tage zuver-
sichtlicher, lächelnder, Heller,
klarer, ja mit einem Worte
ordnungsfeindlicher vom azur-
blauen Himmel herab.

Als der König Winter
von diesem märzlichen Treiben hörte, von dein hetzerischen Vorgehen
der Sonne und von den Hoffnungen der Menschen, die bereits an-
fingen, von einer wahnwitzigen Utopie zu fabeln, die sie „Frühling"
nannten und die natürlich niemals realisirt werden konnte, vielmehr
nur von gemeinen Demagogen ersonnen war, um die Massen irre-
zuleiten als alle diese Dinge zu den Allerhöchsten Ohren kainen,
da war er zuerst und vor allem davon überzeugt, daß Er es schon
init der Sonne aufnehmen könne und daß Er mit der ganzen Lum-
perei schon fertig werden wolle. Etwas schwieriger als diese Ueber-
zeugung war schon die Frage, was denn geschehen solle. Aber ein alter
Rath des Königs war schnell mit einem genialen Mittel bei der Hand:
„Alles gefrieren lassen, Majestät, Stein und Bein; den Frost über das
Lumpenpack! Das ist das Einzige, was hilft, und das Einzige, was ich
weiß." Und König Winter ließ nun seiner erstauitlichen Begabung freien
Lauf. Er fuhr mit dem größten Vergnügen durch die Lande und in wenigen
Tagen und Nächten war wirklich alles verwüstet, was einen Frühling hatte
erhoffen lassen: Die Gräben, Bäche, Ströme und Seen lagen in Fesseln,
alles was Bewegung hatte, war zu Tod oder Gefangenschaft verurtheilt;
die Schneeglöckchen und Primeln, die ersten zarten Blättchen an Bäumen
mw Büschen starben und verdarben; viele Vöglein fielen todt aus dem
Neste und mancher arme Mensch, der nichts gegen Hunger und Kälte
)atte, erfror. Gut erging es nur den bravgesinnten Menschen, welche
decke Pelze und warme Oefcn hatten, und den Thieren, die in Ver-

borgenheit einen langen Schlaf hielten, sowie all den Thieren und
Pflanzen, die sich gesagt hatten: Wir wollen klug und vorsichtig sein
und uns nicht eher hervorwagen, als bis die Witterung günstig ist.
Um die Wirkung dieses ausnahmsweise harten Frostes noch zu erhöhen,
schneite Se. Majestät noch obendrein, und zwar so heftig, daß Weg und
Steg versperrt waren und die Leute kaum aus der Thür kommen
konnten, sich mithin in einem förnrlichen Belagerungszustand befanden.
Unter dem Schnee allerdings organisirte sich heimlich das neue Leben
und was inzwischen gemächlich immer höher stieg, das war die Sonne.

Die Sonne stieg, trotzdem König Winter doch wiederholt deutlich
genug zu erkennen gegeben hatte, daß ihm das persönlich unangenehm
sei. Was war zu thun? Das Frieren und Schneien hatte nichts
geholfen, und da der vorerwähnte königliche Rath mit seinem Latein zu

Ende war, so wurde er in Un-
gnaden entlassen. Es standen
aber andere Räthe auf, die dein
Könige zusprachen, es einmal
mit sanfteren Mitteln zu ver-
suchen. „Wehen Eure Maje-
stät", riefen sie, „nebeln Eure
Majestät, regnen Eure Maje-
stät, hageln Eure Majestät!
EureMajestät können ja alles!"
Und der König beschloß zu
wehen, ja zeitweise recht ein-
drucksvoll zu stürmen, zu or-
kanen.

Unb er fuhr wiederum durch
die Lande Tags und Nachts und
machte Wind und hatte an allen
Ecken und Kanten das große
Wort: die Thürme wollte er
Umstürzen und die Bäume zer-
brechen, wem: sie sich ihm ent-
gegenstemmten, und er fordere
Menschen, Thiere und Pflanzen
auf, sich den gesunden Sinn
nicht durch die Versprechungen
und Vorspiegelungen der Sonne
verwirren zu lassen, sondern
ihm treu unterworfen und un-
bedingt gehorsam zu bleiben; denn ihm zu gehorchen sei eine Freude,
besonders aber eine Ehre und außerdem eine Auszeichnung. Jetzt
Ivarne er noch; wenn er aber keinen Erfolg sehe, so werde er ihnen
schon zeigen, was er könne. Einige spröde Naturen unter den Bäumen
leisteten ihm wirklich Widerstand, und er zerbrach sie oder Ivarf sie zu
Boden, aber die meisten ließen das Unwetter über sich hingehen, duckten
sich und kicherten dabei vor Vergnügen, und die Sonne lachte, daß ihr
die goldenen Thränen aus den Augen rannen. Denn man darf nicht
vergessen, daß ja die Sonne indessen immer höher stieg.

Ja, König Winter mußte mit tiefem Schmerze bemerken, baß die
Sonne stieg und daß dagegen sogar das Windmachen nichts verschlug.
Ein ehrwürdiger Rath aber, dem zwei Eiszapfen unter der Nase hingen,
meinte: „Majestät, nebeln wir doch mal! Das wirkt aufs Gemüth!
Wir müssen mehr das Gemüth berücksichtigen. So ein rechter dicker
Nebel drückt aufs Genrüth, macht demüthig und läßt dafür den sündigen
Verstand nicht aufkommen." „Gut", sagte Se. Majestät, „nebeln
Wir!" Und nun stieg überall aus Gründen und Schlünden, aus
Grüftcir und Schlüfteir ein faustdicker Nebel herarif, der alles ver-
finsterte, so daß Menschen und Thiere im tiefsten Dunkel wandelten
und Keiner den Anden: erblicken konnte und die angebrannten Laternen
erblindeten und völlig unsichtbar wurden. Wie kaltfeuchte Kirchenluft
und Modcrduft erfüllte es die ganze Welt; Menschen unb Thiere
wurden kopfhängerisch und hofften von der Erde und vom Frühling
 
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