Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0103
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2182

das Geleit. Straßen und Plätze, sowie die Fenster der Häuser und
selbst die Dächer waren von Menschen dicht besetzt, Taschentücher wehten,
Blumen fielen vor seinen Füßen nieder und tausendstimmig erscholl
es: „Heil dem ruhmreichen Helden, dem edlen Ritter Scharf von der
Saara, dem Befreier des Vaterlandes von dem Drachen der Sozial-
demokratie! Heil! Heil!"

Aber rief man nicht wirklich so? Er erwachte. Es war lichter
Tag und er vernahm ein Stimnrengebrause und jetzt auch Musik. Der
Schloßherr hatte vermuthlich seine Unterthanen versammelt, um den
berühmten Gast zu begrüßen. Zum Danke mußte er sich den Leuten
wenigstens zeigen, und er kleidete sich an, so sauer es ihm wurde.
Denn er fühlte sich in allen Gliedern wie gebrochen. In der That
herrschte vor dem Hause ein großes buntes Gewühl von Männern,
Frauen und Kindern, alle im Sonntagsstaat. TheilS saßen sie an
Tischen und aßen und tranken, theils tuuunelten sie sich auf dem freien
Platze und die Musik spielte lustige Weisen auf. Wie die lange, hagere
Gestalt des sinnreichen Junkers mit verbundenem Kopf und dem bloßen
Degen unter dem Arm vor dem Hause erschien, liefen Alle neugierig
herbei und die Musik brach mitten im Takt ab. Die wunderliche

komische Figur aber winkte herablassend mit der Hand und schnitt ein
Gesicht, das Freundlichkeit bedeuten sollte. „Meine lieben Freunde",
begann er, ward aber sogleich mit dem Zuruf von allen Seiten unter-
brochen: „Auf die Rcdnerbühne!" Das Lachen, das sich darein mischte,
überhörte er in seiner geschmeichelten Eitelkeit, daß man eigens eine
Rednerbühne für ihn errichtet hatte. Plötzlich aber ward es ihm blut-
roth vor den Augen. Denn dort wallte und wogte eine rothe Fahne
in den Lüften mit den golden leuchtenden Worten: „Proletarier aller
Länder, vereinigt euch!" Auch bemerkte er jetzt, daß die Männer und
selbst die Knaben rothe Blumen im Knopfloch trugen, während rothe
Schleifen die Kleider der Frauen und Mädchen zierten. Kein Zweifel:
er befand sich im Hauptquartier der Sozialdemokraten. Sofort loderte

sein Hcldenniuth hoch auf und er donnerte: „Ha, Ihr Umstürzler!
Vaterlandslose Rotte! Buddhisten!" Jedes dieser Worte erregte einen
Sturm von Heiterkeit. Er aber schrie: „Euer Maß ist voll! Nicht
länger sollt Ihr Gesetz und Ordnung unter die Füße treten." Eine
tiefe Stimme ergänzte: „Und die Familie und die Sitte!" Andere
riefen: „Ruhe! Stille! Hört, hört!" Immer lauter und lustiger
wurde der Lärm. Der Junker kreischte, purpurroth vor Anstrengung:
„Ich bin der Würgengel Gottes, ausgesandt, daß ich Euch alle hinweg-
mähe mit der Schärfe meines Schtvertes." Schallendes Gelächter,
rasendes Händeklatschen, schrilles Pfeifen erstickten seine Stimme. Da-
zwischen rief es: „Der Kerl ist verrückt! — Nach Dalldorf mit ihm!
Nein, unter die Pumpe!" Um sich Gehör zu verschaffen, fuchtelte
Junker Scharf von der Saara mit seinem Degen in der Luft. Ein
Schlosser, der ihm zunächst stand, packte ihn aber mit solcher Kraft am
rechten Handgelenk, daß er die Waffe fallen lassen mußte. „Auswurf
der Menschheit", gellte er noch; eö war sein letztes. „Ein Sturzbad!"
„Unter die Punipe!" Im Nu war er trotz allen Sträubens über-
wältigt • und mit einer Wäscheleine, die eine von den Mägden flink
zur Stelle geschafft hatte, an Händen und Füßen gebunden.

Unterdessen war Hans Dickwanst von betn Lärm erwacht und
erschien just auf der Wahlstätte, als sich unter dem Lachen und Jubeln
der Arbeiter das kalte Wasser der Pumpe auf das Haupt seines Herrn
ergoß. Sein Bemühen, ihm zu helfen, erntete nichts als Schubse und
Stöße, die ihn wie einen Ball hin und her warfen, und weil er dabei
eine Unmasse Unsinn von den Heldenthaten des Junkers schwatzte, so
drohte ihm dasselbe Schicksal wie diesem. Das Erscheinen eines Fremden,
der soeben in einem Wagen angekommen war, bewahrte ihn davor.
Es war der Doktor, den ein glücklicher Zufall die Spur des sinn-
reichen Junkers hatte finden lassen. Wenige Worte von ihm genügten,
um sich mit den Arbeitern zu verständigen. Hans kam durch ein paar
Seidel Bier, die man ihm reichte, wieder ins Gleichgewicht mit der
schnöden Welt. Sein Herr wurde aus der Taufe gehoben, die ihn:
sehr gut gethan zu haben schien; denn er verhielt sich ganz still. Sorg-
lich in eine Pferdedecke gehüllt, wurde er von den Arbeitern in den
Wagen des Arztes gehoben, der ihn nach Hause fahren wollte. Aber
jetzt kam der Wirth herbei und forderte Berichtigung seiner Rechnung,
die gerade nicht klein war. Der sinnreiche Junker warf dem schäbigen
Kastellan einen verächtlichen Blick zu. Erinnerte er sich doch nicht
gelesen zu haben, daß der heilige Georg Geld in seinen Beutel gethan
habe, als er zunr Kampfe mit dem Drachen auszog. Der Doktor
bezahlte für ihn. Der Ruhe mißtrauend, mit welcher der Junker alles
mit sich geschehen ließ, hielt es der Arzt für gerathen, seinen Patienten
in dem gebundenen Zustande zu lassen. Dieser dachte jedoch nicht an
Flucht, sondern brütete über der Sage von dem Riesen Antäus, der
die verlorene Kraft wieder gewinnt, sobald er mit seiner Hand seine
Mutter Erde berührt. Er war unheilbar. Hans kletterte trübselig zu
dem Rosselenker auf den Bock. Ach, Ivie sollte er seiner Frau unter
die Augen treten, da er nicht als Minister zurückkam!

„Hoch der tapfere Junker Scharf von der Saara! Hoch der
Sozialistentödter!" So riefen die Arbeiter lustig dem Wagen nach,
hinter dem das lahme Strcitroß mit der Blechrüstung und der wohl-
genährte Esel des Schildknappen angebunden waren. Dann stimmten
Männer und Frauen, jung und alt, die Arbeiter-Marseillaise an, die
Musik fiel ein, und weithin tönte der markige Gesang unter dem
sonnigen Maihimmel.

verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
Annotationen