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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0127
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— 2204

-L- Alles schon

Bei der Zuckeröebatte hat's mir um die Stirn
wie Sturm und Wetter und klaget gepfiffen;

Und wer keinen Zucker kocht hat sich ans Hirn
Mit heftigem Schütteln des Roxfes gegriffen.

Denn des Veitstanzes Anblick hat ihm erregt
Lin seekrankes Schwindelgefühl, ein fatales,

Als die Herren sich xrämienbegierig gelegt
Auf die tollsten der logischen Saltomortales.

Sie verübten beim dialektischen Spiel
Gewagtere Sprünge als scherzende Affen;

Sie sagten, es sei ihr ersehntestes Ziel
Die Prämien, die schädlichen, abzuschaffen,

Doch komme man damit direkt nicht vom Fleck,

Denn das Viereck sei rund und der Rreis, der fei länglich,
Und um zu erreichen so löblichen Zweck,

Sei eine — Erhöhung ganz unumgänglich.

Erstaunlich — gewiß! Aber staunt nicht zu sehr,

Als ob aus der Welt nun die Logik entflöhe;

Ls stand, was wir schaudernd erlebten bisher,

Im Grunde auf gleicher erstaunlicher Höhe,

Und selber der Spießer mit baumelndem Zopf,

Längst hätte der flammende Zorn ihn bemeistert,
wäre das bischen Gehirn in dem steinharten Aoxf
Nicht seit Gründung des Reiches gelähmt und verkleistert.

öagewesen! ^

Denn hieß es nicht oftmals, es gelte zur Zeit,
Uofackifchem Hochmnth mit Nachdruck zu wehren,

Ls gelte, durch friedliche Absicht gefeit,

Den Stolz des Germanen heraus nun zu kehren,

Und machte man solches dem Russen nicht klar,

Indein man sich bückte herab auf den Rasen,

Um mit zärtlichem Munde dem Väterchen Zar
Von den Stiefeln den Staub der Straße zu blasen?

Und hat nicht der Junker aus edlem Geschlecht
Für die Lauterkeit christlich-germanischer Sitten,

Für die hehre Moral und das ewige Recht
Mit der Feder, dem Wort, der Pistole gestritten,

Und hat er nicht oft uns pathetisch gesagt,

Das solches sein ehrliches Herz ihm befohlen.

Und hat er nicht schließlich das Letzte gewagt
Und ritterlich Witwen und Waisen bestohlen?

wir haben es Alle mit Staunen erlebt,

wie ein Dompfaff, ein Ringer nach strahlenden Zielen,

Mit heißem und zähem Bemühen gestrebt,

Den Luther der irrenden Neuzeit zu spielen.

Und wie er, verzichtend auf irdischen Lohn,

Mit Liebe umfassend die feindlichen Thoren,

Vom Fimmel gepanzert für weltlichen Hohn,
Gelegentlich auch mal — den Meineid geschworen.

wer das Alles erlebt und den schönen Rontrast,

Daß mit Liebe zum Frieden ein Jeder sich brüstet
Und dennoch verstört und in angstvoller Hast
Für ein riesiges, schreckliches Blutbad sich rüstet,

Den läßt hier mit Unrecht sein Gleichmuth im Stich,
Der furchtlos gewandert durch nächtliches Grauen,
Der, geht es zunächst ihm auch wider den Strich,
Der — kann auch die Zuckerdebatten verdauen!

Nus der poetischen Mappe eines
Negierungsraths.

Äie bin ich doch so gut daran!
wer mag mir widerspreche»?

Ich brauche über die Politik
Nie meinen Kopf zu zerbrechen.

Ls sorgt für mich, es denkt für mich
Die Vorgesetzte Regierung,

Sie schreibt mir meine Gesinnung vor.
Bewahrt mich vor Irreführung.

Der Bürger im Schweiß seines Angesichts
Muß sinnen, forschen, errathen;

Das Hab' ich nicht nöthig, Gott sei Dank!
Und kann statt dessen skaten.

Und macht das Ministerium
Aach rechts oder links eine Schwenkung,
So laß ich die alte Ansicht flugs
verschwinden in der Versenkung.

Aur manchmal huscht ein Schatten vorbei
An meinem frommen Gemüthe:

Die Regierungsansicht wechselt so rasch
Wie die Mode der Damenhüte!

Ich sorge, daß ich des Abends einmal
Bekämpfe die Doppelwährung,

Indessen Mittags schon in Berlin
Erfolgte Pauli Bekehrung!

Und wenn ich schwärme für ein Gesetz,
Das den Arbeitern sollte frommen.

Hat Herr von Ztumm inzwischen vielleicht
Schon Vberwasser bekommen!

Mit klugem Vorbehalten drum
will einige Hinterthüren
Ich offen lassen stets; so kann
Uein Mißgeschick mir passiren.

Noch rin Veremsgesetz-Prozeh.

Die Lorbeeren der Berliner Justiz, welche ihr
aus dem Prozeß gegen den sozialdemokratischen
Partcivorstand und die Wahlvereine erwachsen
ivareti, ließen auch die Behörden von Posemuckel
nicht schlafen, und sie strengten im Geiste des
verflossenen Köller einen gleichen Prozeß an, um
auch ihrerseits etwas zur Erhaltung des bedrohten
Staates beizutragen.

Die zahlreichen Spitzel von Posemuckel hatten
seit langer Zeit schon gearbeitet, um das bei solchen
Prozessen immerhin nicht ganz überflüssige Beweis-
material herbeizuschaffen, und die große Aktion
begann.

Auf der Anklagebank mußten eine Anzahl
friedlicher Bürger Platz nehmen, ivelche nach Mei-
nung des Staatsanwalts „hinreichend verdächtig"
waren, mit einander in Verbindung gestanden zu
sein. Die Tribünen ivaren überfüllt von Publikum
und im Zeugenzimmer war ein solches Gedränge
von Spitzeln, daß schon vor Beginn der Ver-
handlung zivei Fensterscheiben von kräftigen, langen
Polizeinasen eingestoßen worden waren.

lieber die Verhandlung selbst ging uns fol-
gender stenographische Bericht zu.

Präsident: Ich eröffne die Verhandlungen.

(Die Personalien der Angeklagten werden festgestellt.)

Verth ei diger: Bevor wir in das Thatsüch-
liche eintreten, muß ich bemerken, daß gar keine
Anklage vorliegt, und daß wir deswegen eigentlich
auch gar keine Verhandlung führen können.

Präsident (sucht i» den Akte», dann unterm Tische
und in einigen Schubkästen, verlegen): In der That, ich

finde keine Anklage; der Herr Staatsanwalt wird
gebeten, Aufschluß über den Verbleib derselben zu
geben.

Staatsanwalt (sucht in seinen Taschen): Ich
weiß wirklich nicht ... ich muß sie vermaku-
lirt haben ... ich war heute Morgen ... doch
das gehört nicht hierher. Der Herr Gerichts-

schreiber wird die Güte haben, eine andere An-
klage zu schreiben, (es geschieht.)

Präsident: Was haben die Angeklagten auf
diese Beschuldigiing zu erwidern?

(Sämrntliche Angeklagte erklären sich für nichtschuldig;
sie haben auf dem Gebiete des Vereinswesens nichts weiter
gethan, als was Richter, Staatsanwalt und jeder andere
Bürger jederzeit auch thut.)

Staatsanwalt: Wir haben glücklicherweise
einen Kronzeugen, der die Angeklagten völlig über-
führen wird. Ich bitte, denselben zu vernehmen.

Präsident: Der Zeuge Kriminalinspektor
Hühnerauge soll eintreten. (Es geschieht.) Ist
Ihnen bekannt, daß die gegenwärtig Angeklagten
verbotenen Vereinen angehörten oder sonstwie das
Gesetz verletzten?

Hühnerauge: Allerdings; sie sind sämmtlich
schiildig.

Vertheidiger: Woher wissen Sie das?

Hühnerauge: Die Obsthändlerin am Markt
gleich links hat von der Schwester der Wirthin ihrer
Cousine erfahren, daß der Bruder eines Regiments-
kameraden ihres ehemaligen Liebhabers von der
verstorbenen Ochsenwirthin erfahren hat, es habe
in: dortigen Gasthause einmal eine Versamnilung
stattgefunoen, an welcher einer der Angeklagten
möglicherweise theilgenommen haben könnte.

Vertheidiger: Wissen Sie aus eigener Er-
fahrung und Anschauung nichts zu sagen?

H üh n er a u g e: Allerdings nicht, aber ich dächte
doch, das Gesagte wäre wichtig und schwerwiegend
genug.

Staatsanwalt: Vielleicht besinnt sich der
Zeuge noch auf etwas.

Präsident: Wir wollen ihm Bedenkzeit geben
und einstweilen die übrigen Zeugen vernehmen.
Der Zeuge Lehmkiepe soll vortreten. (Es geschieht.)
Was sind Sie von Beruf?

Lehmkiepc: Ich diene dem Staat als Acht-
groschenjunge. Außerdem begleite ich Abends
Mädchen, um sie vor der Sittenkontrolle zu
schützen.
 
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