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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0132
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2209 •

im

,, ^an^e/ er war überall dort, wo sein Wort oder sein Rath

von Nutzen sein konnte.

nl0 ^cbncr! Es genügt, ihn einmal auf der Tribüne
ue cycn zu haben, NM ihn im Geiste immer wieder zu sehen: hochauf-
g uchtct aus den muskulösen Beinen, groß, breitschultrig, mit um-
ge chlagcncm ossenem Kragen, der den kräftigen Hals sehen läßt, aus
'tu'as tctnglid^n ©efic^t bcn Ausdruck der Begeisterung und un-
,,' 3'"'»^ Energie Schnnrrbbrt und Haare goldbraun, die Stimme
nEschem Klang, jede Geste abgerundet, groß und kraftvoll, das
Vu fT-' °tm U"b l'i'n-ißend, wie es die Masse gewinnt.

Freunde von ihm: Sein Wesen war gcmüth-
fassender Guiianii^",' .^""ßl^stoh und schweigsam; von tiefer, um-
persönlick'ru sein ml ^tC . ^onguiuiker ziemlich empfindlich, ohne
und wcni? miiis/'s, Cm^r neil3ter’3 betreffs der Angelegenheiten Anderer

-'--rn --'-«-»»ich <>" »°!--ch-

doch dabei ninu/.^ >omperament, das leben- und kraftstrotzend und
bock, sesiöüe,,!.. ? ^>nger als grob war; die ihm erwiesene Zuneigung
der Erst,«>>,. ' ^^""^ewingbarcin Muthe: so wird Jean Volders in
^ fortleben, die ihn gekannt haben,

an w fsi ? Organisator! Muß man an dieser Stelle noch
neun ^abre ^lg'scheu Arbeiterbewegung während der letzten

.. ... 1007. 'na' »ProSr®s<<

_der »Populaire« in Sutti ) »Alliance« in Me-
in Jvkimont; des »Werker« in Antwerpen, n0* anderer Ge-
mälle; der »Lnelre« in Berviers und Hersta tragischen Er-

nosscnschaften? Bedarf cS noch eines Henwels c^rc 1889?

eignisse des Jahres 1886 und das große K p 1 der belgischen
Der Erinnerung an den Aussehen erregenden ^ternationalen Kon-
Arbeiterpartei? Die vorzügliche Organisatio Belgien zu

gresses zu Brüssel 1891? Die Manisestatwu> 9„ Äunbgeb«ngcn

Gunsten des allgemeinen Stimmrechts, unddre natron ^
von 1886 und an, rn .n

u iööU und am 10. August 1890? Muß ^ Meetings erinnern?
ganz Belgien veranstalteten Versammlung klerikalen, der rcaktro-
- den Generalstreik, welcher den erschreckten 1 . Pluralstimmen

's Mehrheit, 'das 'allgemeine - allerdings^ durch™ ?

-seote aber doch das allgemeine Stmmu , LcgiÄatw-

Das Jahr 1894! Die Arbeiterpartei tragt^ici
'.en vom r h '

Wahlen i3oin"u^V! *

Sieg davon äJf‘c®cr einen glänzenden, die Gegner verblüffenden

der r.lPf1- ^cr allen Kämpfen im heißesten Treffen gestanden,
blick d, Schlacht gefehlt hatte, Jean Volders brach iin Augen-
a»i 14 st)il'VIUmWi:? zusammen. Als die sozialistischen Abgeordneten
tiefe T"'. ^ vvember ihren Einzug in die Kammer hielten, mußten sie,
gcuosll,^"^' Herzen, dcö unerschrockenen, opferfreudigen Kampfcs-
Der ca ^denken, dessen Kraft am Vorabend des Sieges erschöpft war.
all sck >CUcvalJlvct£ von 1893 war die letzte große Schlacht, in der er
der cme Posten Fähigkeiten des Geistes und Charakters bethätigte, in
»,rk1' einer Kühnheit und Energie ohnegleichen kämpfte. Jean

Exs i, drr allem ein Mann der That. Kaltblütig wagte er
fcticmat '"vernahm er alles; an das Vollbringen ging er mit jenem
>°NWen Glauben, der Berge versetzt.

Mühen dis Ucbcranstrengung, das Zuviel an Arbeit und

3 Kündige Auf und Ab von großen Hoffnungen und schweren

-.W-M. ffÄ'SfcSP*

Erregungen, welche die Mcnschenbrust » des. „ - ->,can

auch den robusten Organismus unserer b" - inc8 Leidens. ^

1890 zeigten sich die ersten mUfrW«

Volders, der allzeit Gute, Milde, hatte Aul Me aujricht'g li '
Heftigkeit, schwer zu meisternden Zornes. Er. dem internationalen

sah rings um sich nur Feindseligkeit. D verschlimmerten st
Kongreß von 1891 verknüpften '9 llättc er ausruhen muste -

Zustand. Dem Rache seiner Freunde folgs'' , ) feiner Part«

Aber er wollte um keinen Preis aus Rech daS Wahlrechi ,

dem Augenblick treten, wo der gewaltiAe K pN^ Der Ge» '

bclgifchcn Arbeitern politisch das Vaterland üitcruationalcu Kong b
streik gab ihm den Rest. Bereits ans dem ™ n ^ Dre Rechn

zu Zürich fiel seine sonderbare 5)altung d n o aufhaltcn- Vo

nach Paris und Algier konnten bas U Energie geblicbei - >

fühlte feinen Verfall; was ihm an sollten Schrecken bemerk '

da« bot er auf, um ihn zu bekämpfen-, ^ ^rten, die n<HM

datz fein Gedächtniß schwand, seine ^steci s ) war vag

Worte ausblieben. Sein Ringen Men Boden.

Langsam, aber unerbittlich schlug ihn du . Geisteskranke zu E '

Im Juli 1894 mußte er im Asyl st'r hat es lebeud

einer Vorstadt von Brüssel, untergebracht wervv .

nicht wieder verlassen. In den kurzen Momenten geistiger Klarheit,
die schrecklicher als seine Umnachtung waren, freute er sich deö Siegs
der Arbeiterheere, die er selbst für den glorreichen Kampf geschult und
disziplinirt hatte, und wieder und wieder flehte er seine Freunde in-
ständig an, ihn nach dem »Lalson du Peuple« zu bringen, de»
.Mittelpunkt seiner Gedanken und Sympathien; die Stätte, wo er so
viel gearbeitet und gelitten hatte, an der sein ganzes Herz hing, und
an die er nur am 13. Mai für etliche Stunden zurückkehren sollte, ehe
er zu seiner letzten Ruhestatt getragen ward.

Volders starb am 11. Mai.

O Jean Volders, nie hast Du erfahren, in wie vielen Herzen
Dil Dir Liebe und Dankbarkeit erworben hast. Solange eS eine
Arbeiterpartei giebt, wird Dein Name von Geschlecht zu Geschlecht fort-
leben. Das Schicksal konnte uns Deine sterbliche Hülle entreißen, aber
Du hast die wahre Unsterblichkeit errungen, die Unsterblichkeit Deiner
Thatc» und der Liebe, die Du Dir erworben.

Am 14. Mai fand Volders' Begräbniß statt. Es war des ver-
dienstvollen Todtcn würdig, würdig auch der Partei, welche ihm die
letzte Ehrung erwies. In den Arbeitervierteln schien am Bcgräbnist-
tage das Leben still zu stehen. Kein Lärm, keine Bewegung. Aus
den meisten Häusern wehen rothe Fahnen, mit schwarzem Krcpe um-
hüllt. Voni frühen Morgen an strömen Schaaren von Arbeitern nach
dem »Maison du Peuple«, um dem geliebten Führer die letzte Ehre zu
erweisen. Das »Lalson än Peuple« ist von oben bis unten mit roth
und schwarzen Draperien dekorirt. In einem Saale des Erdgeschosses,
der oft genug von Volders' kraftvoller, zündender Rede getönt, ist die
Leiche aufgebahrt. Die Wände des Saales sind mit schwarzen, silbör-
befransten unb silberbcstcrntcn Behängen geziert, zahlreiche große Wachs-
kerzen flammen im Halbdunkel. Im Hintergrund steht der Katafalk,
der unter Blumen und Palmen fast verschwindet. Blumen und Palmen
thürmen sich rings um ihn in bunter, duftender, reichster Pracht und
Fülle. In schier nicht versiegendem Strom flutheten sie herbei aus
zahllosen Orten Belgiens, aber auch aus dem Ausland; unter Anderem
hatten die deutsche Parteileitung und die Berliner Parteigenossen prächtige
Kränze gesendet.

Zahllos sind auch die Orte, die durch Delegationen ihre Liebe
und Dankbarkeit für den Todten bezeugen. Dreiviertel Stunden reich-
lich dauert allein die Aufstellung des Zuges, der vom »Lalson äu
Peuple« aus VoldcrS das letzte Geleite giebt, und ihm schließen sich
auf dem Wege noch sehr zahlreiche Vereine an. Auf 20000 wird die Zahl
derer geschätzt, die vor und hinter dem Sarge marschiren, der von Ge-
nossen getragen wird. Der Zug wurde durch eine Gruppe von Ordnern
eröffnet, dann folgten ein Eornet von Tambours, Musikkapellen des
»llaison du Peuple« und »de Werkers«, der Vorstand der Brüsseler
Organisation, die Arbeitervereine von Forest und St. Gilles, die Träger
der Kränze und Palmen, das Personal des Tageblatts »Le Peuple«,
der Sarg, die Familienangehörigen, die ausländischen Delegirten, der
Generalrath der Partei, die sozialistischen Abgeordneten i»>d Senatoren,
der Verwaltungsrath dcö »Lalson du Peuple«, die sozialistische Jugend,
die Brüsseler Fabrikarbeiterinnen, Organisationen von Brüssel und Um-
gebung, von Lüttich, Antwerpen, Luxemburg, Limburg, Namur, Ost-
flandern, Westflandern re. re.

lieber dem imposanten Zuge flattern im Frühlingswind zweihundert
rothe Fahnen. Rothe Fahnen, mit Krepe verhüllt, grüßen von sehr
vielen Häusern der inneren Stadt und längs des Wegs zum Friedhof.
Straßen und Plätze von einer dichtgedrängten Menschenmasse erfüllt,
an den Fenstern, auf Dächern und Bäumen ganze Bouguets von Köpfen.
Langsam, unter den Klängen des ergreifenden Chopinschen Trauer-
marsches zieht der Zug dahin. Wo der Sarg erscheint, entblößen die
Männer die Häupter, vielfach tönt Schluchzen aus der Menge. Die
Ordnung bleibt wunderbar gewahrt, unterstützt durch die Ordner der
Partei. Nur zweimal entsteht eine Störung, daö eine Mal durch die
Schuld eines Militärwachtpostens, das andere Mal durch die einer
Gruppe von Wachleuten.

Als der Zug den Friedhof erreicht, gruppiren sich die Träger der
zweihundert Fahnen rechts und links von dem Eingang. Beim Er-
scheinen des Sarges senken sie die Banner, und unter einer roihen,
leuchtenden Wölbung passirt die Bahre, passiren die vielen Tausende,
die ihr folgen. Eine halbe Stunde später war die Feier beendet.

Das kämpfende Proletariat versteht seine Todtcn zu ehren.

Brüssel. Dr. Emil Vinck,

Professor on der „Reuen Universität".
 
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