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t^=€5>« Der Kalif von Bagdad. -es
Lin Märchen.
In mürrischer
Laune lag Hassan,
der junge Kalif von
Bagdad, auf seinem
Ruhebett. DieOhreu
thaten ihm weh von
den vielen Schnrei-
cheleien, welche die
Großen seines Rei-
ches ihm während
der Empfangs-
stunde gesagt hat-
ten. Er wußte
es ja längst: er
war der edelste,
größte und wei-
seste Herrscher,
er hatte sein Volk
glücklich gemacht
und sein Volk betete ihn an. Der Kalif hatte Befehl ge-
geben, allein gelassen zu iverden. Selbst seinen Groß-
ivessier Nickel-Pascha sollte man abweisen. Daher wunderte
ec sich nicht wenig, daß sein Lieblingösklave — ein Neger,
schwarz wie Ebenholz — eintrat und durch seine stumme
Verbeugung zu erkennen gab, daß er eine Meldung zu
machen habe. „Rede, Sklave!" sprach Hassan.
„Erhabener Herr!" begann der Schwarze, die Arme
über die Brust kreuzend und sich tief verneigend, „es ist
ein alter Jude draußen, der behauptet, er sei gekommen,
um Dir ein Geschenk zu machen, so kostbar und werth-
voll, wie Du noch keines besäßest."
„Also ein Narr", sprach der Kalif verächtlich. Den»
er besaß die köstlichsten Edelsteine und Diamanten von
ganz Asien — was konnte ein hergelaufener Jude ihm
noch schenken? Aber der Zwischenfall war dem mächtigen
Herrscher zur Kurzweil willkommen.
„Führe den Juden herein", befahl er.
Alsbald erschien ein ehrwürdiger alter Manu mit laugwallendem
schneeweißen Barte und in ein langes, schwarzes Gewand gehüllt. Er
trug ein unscheinbares Bündel unterm Arme und
grüßte den Herrscher.
„Du willst mich beschenken, Jude", sagte
Hassan mit wohllvollendcm Spott. „Also heraus,
was bringst Du?"
„Das seltenste Gut, das unerreichbarste für
den Herrscher — die Wahrheit", sprach der Alte
feierlich.
Dabei enthüllte er sein Bündel, es war ei»
landesübliches graues Bcttlergewand.
„Das Gewand eines Bettlers — willst Du
mich höhnen, Jude?" rief der Kalif mit zorn-
funkelnden Augen.
„Höre mich an, o Herrscher", erklärte der
Alte unerschrocken, „dieses schlichte Gewand hat
die wunderbare Eigenschaft, seinen Träger
unsichtbar zu machen. Legst Du es an und
schreitest durch die Gassen Deiner Hauptstadt,
so Ivirst Du erfahren, tvie unzufrieden Dein
Volk und wie schlecht die Großen Deines
Reiches sind."
Jetzt faßte den Kalifen ernster Zorn. „Was
sagst Du, Verwegener!" donnert er. „Mein Volk
unzufrieden — zu dessen Wohle ich eine glänzende
Armee halte, die seinen häuslichen Herd gegen
die Einfälle der Ungläubigen schützt! Mein Volk
unzufrieden, dessen Handel und Wandel ich durck
! weise Gesetze fördere, dcsteu Arme und Gebrechliche ich durch reiche
Liebcsgabeu erquicke!"
Der Jude neigte sich tief vor dem Gewaltigen.
„Nimm und höre selbst!" Damit legte er das Bettlergewand zu
den Füßen des Fürsten und schritt erhobenen Hauptes aus dem Saale.
Der Kalif versank in tiefes Nachdenken. Als die Schatten der
Nacht sich auf die glänzende Kalifenstadt niedersenkten, umhüllte sich
der Herrscher mit dem grauen Gewand und schritt an den Wachen
j vorüber aus den Hallen des Palastes heraus. Die Wächter beachteten
ihn nicht, Niemand grüßte ihn.
„Welch' ein wunderbarer Zauber — ich bin wirklich unsichtbar",
dachte Hassan bei sich. Er schritt durch die Reihen der glänzenden
Paläste, welche sein Schloß umgaben und stieg hinunter in die Stadt-
viertel, wo die Bürger und die Arbeiter wohnten. Niemand schien
ihn zu sehen, doch um so eifriger musterte er-seine Uuigebung. Er
sah bald, daß noch viele Arme in Bettlergewändern die Straßen durch-
irrten, er sah, daß die Hütten der Bewohner armselig waren und der
Glanz der Paläste hier seine Kehrseite fand.
Auf eine Steinbank ließ er sich nieder, ganz in der Nähe zweier
Handwerker, die sich eifrig unterhielten.
„Schlechte Zeiten!" rief der Eine. „Handel und Wandel stocken,
weil die Großen von jeder Waare Steuer und Zins nehmen, und
obendrein müssen wir noch solche Faullenzer ernähren."
Die letzten Worte ivaren aus einen Offizier des Kalifenhecres ge-
münzt, welcher breitspurig vorüberschritt.
„Murre nicht, Gesindel!" rief der Offizier, „wo bliebet Ihr, wenn
nicht der Soldat Euer Haus und Euren Herd beschützte."
„Murre nicht, Gesindel", rief der Offizier.
t^=€5>« Der Kalif von Bagdad. -es
Lin Märchen.
In mürrischer
Laune lag Hassan,
der junge Kalif von
Bagdad, auf seinem
Ruhebett. DieOhreu
thaten ihm weh von
den vielen Schnrei-
cheleien, welche die
Großen seines Rei-
ches ihm während
der Empfangs-
stunde gesagt hat-
ten. Er wußte
es ja längst: er
war der edelste,
größte und wei-
seste Herrscher,
er hatte sein Volk
glücklich gemacht
und sein Volk betete ihn an. Der Kalif hatte Befehl ge-
geben, allein gelassen zu iverden. Selbst seinen Groß-
ivessier Nickel-Pascha sollte man abweisen. Daher wunderte
ec sich nicht wenig, daß sein Lieblingösklave — ein Neger,
schwarz wie Ebenholz — eintrat und durch seine stumme
Verbeugung zu erkennen gab, daß er eine Meldung zu
machen habe. „Rede, Sklave!" sprach Hassan.
„Erhabener Herr!" begann der Schwarze, die Arme
über die Brust kreuzend und sich tief verneigend, „es ist
ein alter Jude draußen, der behauptet, er sei gekommen,
um Dir ein Geschenk zu machen, so kostbar und werth-
voll, wie Du noch keines besäßest."
„Also ein Narr", sprach der Kalif verächtlich. Den»
er besaß die köstlichsten Edelsteine und Diamanten von
ganz Asien — was konnte ein hergelaufener Jude ihm
noch schenken? Aber der Zwischenfall war dem mächtigen
Herrscher zur Kurzweil willkommen.
„Führe den Juden herein", befahl er.
Alsbald erschien ein ehrwürdiger alter Manu mit laugwallendem
schneeweißen Barte und in ein langes, schwarzes Gewand gehüllt. Er
trug ein unscheinbares Bündel unterm Arme und
grüßte den Herrscher.
„Du willst mich beschenken, Jude", sagte
Hassan mit wohllvollendcm Spott. „Also heraus,
was bringst Du?"
„Das seltenste Gut, das unerreichbarste für
den Herrscher — die Wahrheit", sprach der Alte
feierlich.
Dabei enthüllte er sein Bündel, es war ei»
landesübliches graues Bcttlergewand.
„Das Gewand eines Bettlers — willst Du
mich höhnen, Jude?" rief der Kalif mit zorn-
funkelnden Augen.
„Höre mich an, o Herrscher", erklärte der
Alte unerschrocken, „dieses schlichte Gewand hat
die wunderbare Eigenschaft, seinen Träger
unsichtbar zu machen. Legst Du es an und
schreitest durch die Gassen Deiner Hauptstadt,
so Ivirst Du erfahren, tvie unzufrieden Dein
Volk und wie schlecht die Großen Deines
Reiches sind."
Jetzt faßte den Kalifen ernster Zorn. „Was
sagst Du, Verwegener!" donnert er. „Mein Volk
unzufrieden — zu dessen Wohle ich eine glänzende
Armee halte, die seinen häuslichen Herd gegen
die Einfälle der Ungläubigen schützt! Mein Volk
unzufrieden, dessen Handel und Wandel ich durck
! weise Gesetze fördere, dcsteu Arme und Gebrechliche ich durch reiche
Liebcsgabeu erquicke!"
Der Jude neigte sich tief vor dem Gewaltigen.
„Nimm und höre selbst!" Damit legte er das Bettlergewand zu
den Füßen des Fürsten und schritt erhobenen Hauptes aus dem Saale.
Der Kalif versank in tiefes Nachdenken. Als die Schatten der
Nacht sich auf die glänzende Kalifenstadt niedersenkten, umhüllte sich
der Herrscher mit dem grauen Gewand und schritt an den Wachen
j vorüber aus den Hallen des Palastes heraus. Die Wächter beachteten
ihn nicht, Niemand grüßte ihn.
„Welch' ein wunderbarer Zauber — ich bin wirklich unsichtbar",
dachte Hassan bei sich. Er schritt durch die Reihen der glänzenden
Paläste, welche sein Schloß umgaben und stieg hinunter in die Stadt-
viertel, wo die Bürger und die Arbeiter wohnten. Niemand schien
ihn zu sehen, doch um so eifriger musterte er-seine Uuigebung. Er
sah bald, daß noch viele Arme in Bettlergewändern die Straßen durch-
irrten, er sah, daß die Hütten der Bewohner armselig waren und der
Glanz der Paläste hier seine Kehrseite fand.
Auf eine Steinbank ließ er sich nieder, ganz in der Nähe zweier
Handwerker, die sich eifrig unterhielten.
„Schlechte Zeiten!" rief der Eine. „Handel und Wandel stocken,
weil die Großen von jeder Waare Steuer und Zins nehmen, und
obendrein müssen wir noch solche Faullenzer ernähren."
Die letzten Worte ivaren aus einen Offizier des Kalifenhecres ge-
münzt, welcher breitspurig vorüberschritt.
„Murre nicht, Gesindel!" rief der Offizier, „wo bliebet Ihr, wenn
nicht der Soldat Euer Haus und Euren Herd beschützte."
„Murre nicht, Gesindel", rief der Offizier.