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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0192
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Die Geschichte öes Keöantages.

Zur Zeit als die deutschen Stämme das napoleonische Joch ab-
geschüttelt hatten, um unter das schmählichere Joch des heimischen Zwerg-
despotismus zu gerathen, war die Feier der Leipziger Schlacht der letzte
Protest der Massen gegen eine ruchlose Kabinetspolitik.

Am vierten Jahrestage dieser Schlacht fand das Wartburgfest statt,
wo die Burschenschaft die Schriften der „schuftigen Schmalzgesellen"
und „alle das Vaterland entehrenden und schändenden Zeitungen" ver-
brannte, dazu einen Uhlanenschnürleib, einen Zopf und einen Korporal-
stock als „Flügelmänner des Kamaschendienstes, die Schmach des
ernsten heiligen Wehrstandes." Es >var eine sehr unklare Bewegung,
denn auch der Code Napoleon, das bürgerliche Gesetzbuch Frankreichs,
wanderte in die Flammen, rnrd nran liest heute nicht ohne Lächeln,
wie die Theilnehmer an der Wartburgsfeier sie rühmten als „ein Ereigniß,
auf welches Deutschlands Völker noch nach Jahrhunderten stolz sein
werden, das, wie alles Große nie in der Geschichte wicderkehren und
in seinem dunklen Schoße fruchtbare, auf Jahrhunderte wirkende Keime
enthalten könne." Aber eS war die letzte Regung des Trotzes in den
genasführten und gcmißhandelten Massen.

Das Wartburgfest gab das Signal zu der reaktionären Hetze, die
zwei Jahre später in der Schmach der Karlsbader Beschlüsse explodirte.
Dann flammten wohl noch einige Jahre hier oder da anr Abend des
18. Oktober die Holzstöße auf den Bergen, bis auch sie erloschen.
Was sich noch in den Massen erhielt, war eine dumpfe Erinnerung
an die Feier der Leipziger Schlacht als an eine volksthümliche Kund-
gebung. Eine Erinnerung, die durch jede lebhaftere Volksbewegung
wieder aufgefrischt wurde. Der fünfzigste Jahrestag der Leipziger Schlacht
wurde auf dein Schlachtfelde selbst mit friedlichem Gepränge von der
bürgerlichen Klasse begangen, die damals einen neuen — und den
letzten — Versuch machte, mit dem Absolutismus und Feudalismus

abzurecknen. * *

*

An diese Erinnerungen knüpften die Biedermänner an, die nach
der Gründung des neuen deutschen Reiches den Schlachttag von Sedan
zu einem nationalen Festtage machen wollten. Zwar lag eö auf der
Hand, daß sie dainit die Dinge auf den Kopf stellten. Die Leipziger
Schlacht war gefeiert worden nicht als ein Tag des Massenmordes,
nicht als ein Tag offizieller Ehren, sondern umgekehrt als ein Tag des
Protestes dagegen, daß die Tausende, die bei Leipzig freudig gestorben
waren, weil sie glaubten, für die Einheit und Freiheit des Vaterlandes
zu sterben, ihr Blut für die Knechtschaft verschüttet haben sollten. Da-
gegen sollte der Tag von Sedan gefeiert werden als ein Tag der Er-
füllung alles dessen, was die deutsche Nation seit Jahrhunderten ersehnt
und erträumt hatte, als ein Tag des Dankes dafür, daß im Kriege
gegen Frankreich kein Tropfen Blut umsonst geflossen sei. Das Sedan-
fest lief von vornherein auf eine Täuschung der Massen hinaus. Sie
wllten sich mit einem glänzenden Spielzeuge darüber trösten, daß der
eutsch-französische Krieg für sie mit einer ähnlichen oder noch ärgeren
. uttäuschung geendet hatte, wie einst die Kriege gegen den napoleoni-
Despotismus.

leuc, ^ ^'e&e die Augen vor der Wahrheit verschließen, wenn man
eine'’eit sollte, daß der Krieg von 1870 in seinen Anfängen wirklich
der beuf^1'^611 ®e^ gehabt hat. Zu tief lebte das Verlangen nach
lange,,' i ®"cheit in den Gemüthern, und zu tief wurzelte das Ver-
Aussicht'" f ökonomisch-politischen Entwicklung, als daß die endliche
Polles , ■ lC'”e Befriedigung nicht in den breitesten Schichten des
Sache b ,1Ut Begeisterung ergriffen worden wäre. Freilich hatte die
die deutln" övrneherein ihre zwei Seiten. Es lag auf der Hand, daß
Juteress ^ Legierung den Krieg als einen Kabinetskrieg für dynastische
c" führte, und was damals für sehende Augen schon durch-

sichtig Ivar,

So enthüllen beispielsweise die Denkwürdigkeiten des Königs

das ist inzwischen durch die vielfältigsten Zeugnisse bestätigt

Beilage

zum „wahren Jacob" Nr. 264.

Karl von Rumänien urkundlich, daß die spanische Thronkandidatur des
Prinzen von Hohenzollern, die den äußeren Anlaß zum Kriege gab,
von Bismarck als eine Falle für die französische Regierung ausgestellt
worden ist — trotz aller amtlichen Erklärungen, in denen Bismarck
mit bekannter Wahrheitsliebe behauptete, er sei an jener Kandidatur
so unschuldig wie ein Kind im Mutterleibe. Die Mitschuld der preußi-
schen Regierung an dem Kriege veranlaßte bekanntlich Bebel und Lieb-
knecht als Mitglieder des Norddeutschen Reichstages, sich bei der Ab-
stimmung über die Kriegsanleihe im Juli 1870 der Stimme zu enthalten.

Auf der anderen Seite war es aber nicht weniger offenbar, daß
die deutsche Einheit ohne einen entscheidenden Waffengang mit Frank-
reich nicht zu haben war. Der Krieg gegen Deutschland war in den
herrschenden Klassen der französischen Nation sehr populär, populär in
dem Sinne und zu dem Zwecke, das linke Nheinufer von Deutschland
abzureißen und durch einen neuen Rheinbund die deutsche Einheit für
immer zu hindern. Diese Thatsache war gleichfalls ganz unzweifelhaft.
Deshalb stimmten die parlamentarischen Vertreter der Lassalleaner für
die Kriegsanleihe, während im Schoße der Eisenacher die Stimm-
enthaltung Bebels und Liebknechts bekanntlich zu lebhaften Auseinander-
setzungen führte. In den Kundgebungen der Internationalen Arbeiter-
Assoziation wurde der Krieg auf deutscher Seite als ein VerthcidignngS-
kricg anerkannt, dein die deutschen Arbeiter nur nicht erlauben dürften,
seinen streng defensiven Charakter abzustreifen, und mit kernigem Ver-
stände wies Johann Philipp Becker im „Vorboten" den kläglichen
Chauvinismus zurück, der auch unter den bürgerlichen Republikanern
Frankreichs sein Unwesen trieb und eine große Schuld an dem ver-
hängnißvollen Verlaufe des Krieges trug. Damals dankte Frau Marx
dem wackeren Veteranen brieflich für seine vernünftigen Ansichten, mit
dem Seitenblicke selbst auf die französischen Flüchtlinge in London, daß
nmn schon für preußisch gelte, wenn man nicht auf all den franzö-
sischen Firlefanz von Lug und Trug schwören wolle, was ihr platter-
dings unmöglich sei.

Das nationale Ziel des Krieges wurde erreicht am Tage von
Sedan. Dieser Tag sicherte die deutsche Einheit, soweit sie noch erreich-
bar war, nachdem die Feigheit der deutschen Bourgeoisie die ungleich
günstigeren Chancen von 1848 verspielt hatte. Deutschland konnte jetzt
einen Frieden diktiren, der seine Ehre und seine Interessen vollauf
gewahrt, dennoch aber den beiden großen Kulturvölkern des europäischen
Kontinents für die Zukunft ein freundliches Zusammenleben ermöglicht
hätte. Dies verlangten die Sprecher des deutschen Proletariats, das
nunmehr völlig einig handelte, nachdem mit der gleichviel wie erlangten
deutschen Einheit die Widersprüche und Zweifel gelöst waren, womit
seit deni Jahre 1859 die nationale Bewegung so oft die proletarische
Bewegung gekreuzt hatte. Was die deutschen Sozialdemokraten for-
derten, war ebenso durch die nationalen Interessen, wie die einfachsten
Gebote der Gerechtigkeit und Vernunft vorgeschrieben.

Die Antwort, die ihnen die herrschenden Klassen gaben, ist bekannt.
Johann Philipp Becker schrieb darüber: „Die großen Diebe läßt man
nicht blos laufen, sondern man bringt sie in das herrlichste aller Lust-
schlösser nach Wilhelmshöhe zu kaiserlich prunkhafter Bewirthung, da-
gegen hängt man nicht blos die kleinen Diebe, sondern, und zwar mit
der heißesten Vorliebe, auch die ehrlichsten Leute. Gerade diese holt man
jetzt auf bloßen Befehl eines Oberhenkerknechts aus ihren Wohnungen
und führt sie in Eisen gekettet in ein fernes Hundeloch." So in der
That geschah es, und nicht besser erging es den paar bürgerlichen Ideo-
logen, die ähnlich wie der Ausschuß der sozialdemokratischen Arbeiter-
partei, gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen und gegen die Fort-
setzung des Krieges als eines nunmehr reinen Eroberungskrieges
protestirt hatten.

Weniger bekannt, aber deshalb erst recht der Erinnerung werth
ist es, wie sich damals die patriotische Presse und ganz besonders die
 
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