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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0195
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2270

Interessen geboten, und das genügte ihm. Damals wie heute, wo der
ultramontane Trutz sich läirgst in den allgemeinen Brei nationaler
Gesinnungstüchtigkeit aufgelöst hat.

Das Sedanfest von 1874 siel gänzlich ins Wasser. Es war eine
offizielle Mache, nichts weiter: ein Volksfest, dem in allem lärmenden
Tamtam doch eine Kleinigkeit fehlte, nämlich das Volk.

* *

*

Und so ist eS dreimal sieben Jahre geblieben: nur daß all-
mälig auch der offizielle und offiziöse Tamtani daran erlahinte, den
Stein ans die Spitze des Berges zu wälzen, um ihn sofort auf der
anderen Seite herabpoltern zu sehen. Erst im vergangenen Jahre
wurde wieder zur fünfundzwanzigjährigeil Jubelfeier des neuen deutschen
Reichs ein großer Anlauf unternommen, um den Sedantag zu einem
allgemeinen Nationalfeste zu machen. Mochte jetzt nur noch von
allen oppositionellen Parteien die Sozialdemokratie allein sich dem
gewaltsamen Versuche entgegensteminen, dem Volke Empfindungen
und Gefühle aufzudrängen, von denen es aus guten Gründen nichts
weiß und nichts wissen will, so genügte dieser Widerstand vollständig,
denn inzwischen war die Sozialdemokratie die stärkste Partei des Reichs
geworden.

Die Vorgänge, die sich an die vorjährige Scdanfeier knüpften,
ausführlich zu schildern, würde einen eigenen Aufsatz erfordern. Auch
haften sie noch zu frisch in der allgemeinen Erinnerung, als daß sie
eingehend erzählt zu werden brauchten. Es sei nur daran erinnert,
daß der Kaiser, getäuscht von seinen verantwortlichen Rathgebern, die
ihm den offenen Protest der Arbeiterklasse gegen die Sedanfeier als
eine „Schmähung des Volkes" darzustellen gewußt hatten, von einer
„Rotte von Menschen" sprach, die nicht werth seien, den Namen Deutsche
zu tragen, daß er, falls das ganze Volk nicht in sich die Kraft finde,
„diese unerhörten Angriffe zurückzuweisen", die Garden aufrief, „um
der hochverrätherischen Schaar zu wehren, um einen Kainpf zu führen,
der uns befreit von solchen Elementen." Es folgte der Septemberkurs.
Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte bemühten sich mit heißem Eifer,
dem klassenbewnßten Proletariat endlich die nöthige Ehrfurcht vor dein
Sedantage einzubläuen.

Natürlich hatte dieser neueste Polizeikurs genau denselben Erfolg,
wie die alten Polizeikurse Bismarcks. Er kostete dem Proletariat eine
Anzahl schmerzlicher Opfer, aber stärkte sein Ansehen ebenso, wie er
das Ansehen des Sedantages herunterbrachte. Und das Ansehen der
deutschen Rechtspflege dazu. Ein und derselbe Artikel der sozialdemo-
kratischen Presse wurde in Nürnberg freigesprochen und in Leipzig ver-
urtheilt. Die Gerichte in Hannover vermochten in einer Kritik ver-
storbener Hohenzollern keine Majestätsbeleidigung zu finden, während
die Gerichte in Breslau eine Beleidigung der lebenden Majestät in der
historisch unanfechtbaren Behauptung entdeckten, daß längst verstorbene
Majestäten die deutsche Krone an den ineistbietenden Ausländer ver-
schachert und bei der Einziehung der Kirchengüter lange Finger gemacht
haben. Die Lorbeeren in diesem Kriege für den Sedantag errang
jener ungerechte Richter, dessen Namen wegen seiner ungeschminkten
Parteilichkeit gegenüber den Vertretern des klassenbewußten Proletariats
längst west und breit berüchtigt war, jener Herr Brausewetter, der
wenige Wochen später, ein anderer Jeffreys, von der Nemesis in wilden
Wahnsinnsdelirien dahingerafft wurde.

Im Saufe eines Vierteljahrhunderts blieb der Sedantag sich selbst
getreu. Wie er begann mit der Kettenaffäre von Lötzen, so schloß er
mit der Opferung schuldloser Männer durch einen geisteskranken Richter.
Mit diesen Erinnerungen belastet, mag der Unheilstag den herrschenden
Klassen dazu dienen, ihr allgemeines Trübsalblasen durch krankhaft
überreizte Triumphgesänge einmal im Jahr zu unterbrechen. Wer
wäre so grausam, ihnen dieses Vergnügen zu mißgönnen! Das klassen-
bewußte Proletariat gewiß nicht. Gegen den Sedantag als ein Fest
der herrschenden Klassen wird es kein Wort des Protestes verlieren;
wogegen es protestirt hat und immer protestiren wird, das ist die Zu-
muthnng, diesen Tag zu den Saturnalien des modernen Proletariats zu
macheu. Dazu kann und dazu wird es keine Macht der Welt zwingen.

Die arbeitenden Klassen feiern an einem sonnigen Maitage ihre
große Zuknnft, in der sie Alles gewinnen werden. Wollen die besitzen-
den Klassen sich daran genügen lassen, sich selbst in dem künstlichen
Rausche eines welkenden Herbsttages darüber zu täuschen, daß sie
bereits Alles verloren haben, so wäre das eine schiedlich - friedliche
Trennung, mit der gewiß beide Theile zufrieden sein könnten.

Schnitzel.

Krieg.

I.

Ein Philosoph sprach nach tiefem Sinnen:
„Der Krieg ist ein Hebel der Kultur!" —
Was thut's, daß er denen von Vortheil nur
Die ihm glücklich und unversehrt entrinnen?
Die Hunderttausend, die gefallen,

Vielleicht die edelsten von allen,

Die mögen verfaulen auf fremder Flur
Ohne den Segen der neuen Kultur!
n.

„Der Krieg ist ein Hebel der Kultur —"

So kann's gescheht«, daß in Blüthe steht
Kunst, Wissenschaft und Literatur
Und daneben — die Bestialität.

Arbrttrrschutz.

Ich wüßte nicht, was uns noch unterscheidet
Von Christus selbst: So liebreich sind wir jetzt!
Dem ärmsten Fröhner Schutz! — vorausgesetzt,
Daß nicht das Kapital darunter leidet.

Herr und Knecht.

Der Knecht vcrdient's,

Der Herr gewinnt's;

Der Herr verliert's,

Der Knecht verspürt's.

Uebrrflust.

„Den vaterländischen Sinn zu wecken,

Von frecher Empörung zurückzuschrecken,

Sollte die Schule recht oft die Verbrechen
Der Revolution besprechen."

Ihr edlen Herren, geduldet euch fein!

Die Schule haspelt jahraus, jahrein
Noch immer an endlos verworrenen Knäueln
Von Fürsten-, Minister- und Pfafsengreueln.

Briefkasten.

(Unverlangte Manuskripte werden nicht zurückgesandt.)

F. in Berlin. Die Sache verhält sich anders. Das
Gedicht von Hunold „Das Grab bei Eastbourne", welches tm
„Neuen Welt-Kalender" und im „Wahren Jacob" zum Abdruck
gelangte, ist seiner Zeit an beide Redaktionen gesandt und
auch von beiden acceptirt worden. Durch eine seltsame Ver-
kettung von Umständen erfuhr der Verfasser dies so spät,
daß an eine Aenderung nicht mehr zu denken war. So steht
nun das prächtige Gedicht an zwei Stellen als Original-
Beitrag, was hiermit konstatirt werden soll. Die Leser
des „Neuen Welt-Kalender" und des „Wahren Jacob" dürften
damit sehr zufrieden sein und die bösen Mäuler sind hiermit
gestopft.

Lin Genosse in Berlin. Die Geschichte mit dem „patrio-
tischen Gaul" ist seit lange bekannt. Der liegende Gaul
ist ein Gegenstück zu Wilhelm und Alexander von Humboldt,
die vor der Berliner Universität sitzen.

L. H. 10. Ihre Einsendung können wir nicht aufnehmen.
Damit würden wir uns eine hübsche Suppe einbrocken.
Mk. 1.—, welche Sie für den Preßfond bestimmten, über-
wiesen wir dem Unterstützungsfond.

F. R. in H. Leider können wir Ihren Wunsch nicht
erfüllen, die Gedichte müssen ungedruckt bleiben. Wir stimmen
mit Ihnen überein, daß den „Fabrikanten am 1. Mai nicht
wohl wird", nicht aber, daß das Unwohlsein der Fabrikanten
das sicherste Zeichen dafür ist, daß wir den 1. Mai schreiben.

w. M. in £. Sie haben ganz recht, „es ist geradezu
zum Dreinschlagen, wenn man den Luxus der oberen
Zehntausend und die Noth der Proletarier kritisch betrachtet."
Aber müssen es denn Gedichte sein, die man zum Drein-
schlagen gebraucht?

Alter Abonnent in M. Ihre Idee wurde bereits in
Nr. 222 ds. Bl. zum Ausdruck gebracht.

X. in St. Oignez un vilain, et il vous poindra, so
lautet ein französisches Sprichwort, welches in deutscher Ueber-
setzung heißt: Behandelt man einen gemeinen Menschen wohl-
wollend, so wird er Einem Verdruß bereiten.

Hans p. Wir bitten Sie u. A. dringend, uns mit Ein-
sendung von Gedichten zu verschonen. Die Dichteritis grassirt
dermalen so stark, daß nur ein Hochofen die Krankheitspro-
dukte beseitigen kann.

N. in Potsdam. Ihr Vorhaben, die Seelen berühmter
Männer mittelst der X-Strahlen zu photographiren und die
Seelen-Photographien sodann im Parteiarchiv niederzulegen.

ist großartig; wir wünschen Ihnen Glück dazu. Lassen Sie
sich Ihre Erfindung patentiren.

A. K. in w. Wir haben bereits die Porträts von Lassalle,
Marx und Engels gebracht, ebenso auch ihr Gedächtniß gefeiert.
Eine Wiederholung ohne besondere Veranlassung ist daher nicht
angänglich. Ihr Gedicht zur Lassalle-Feier dankend abgelehnt.

Urtheile über Gedichte werden nicht abgegeben.

Nicht verwendbar: K. S. in H., L. A. S. in w.,
L. I. Or. in B., R. <D. S.

Rebus.

Auflösung des Rebus in Nr. 261:

Das Raubthier zeigt seine Natur, wenn es Blut, der Mensch,
wenn er Geld sieht.

Verantwortlich für die Restaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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