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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0199
2274
wie es auch John Stuart Mich Henry George
und Andere gethan. Der Kongreß verlangte
dagegen zur Lösung der Agrarfrage die Ver-
gesellschaftlichung des Grund und Bodens im
Verein mit der Vergesellschaftlichung der an-
dern Produktionsmittel und zu dem Zwecke
der Bebauung im Gemeininteresse der Gesell-
schaft, d. h. er erklärte die kapitalistische Ge-
sellschaft für unfähig, die Agrarfrage zu lösen
Jaurös-Paris.
und wies diese Lösung der sozialistischen Gesell-
schaft zu. Und als nächste praktische Aufgabe,
welche die Arbeiterparteien ans dem flachen
Lande zu erfüllen haben, bezeichnete er die Or-
ganisirung des Landproletariats zum Kampf
gegen seine Ausbeuter, und nicht etwa die Er-
haltung des kleinen Grundeigeuthums. Er
lehnte es entschieden ab, für die staatssozia-
listischen Forderungen einzutreteu, die von vielen
englischen Sozialisten zur Milderung der Agrar-
krise gefordert werden, Verstaatlichung der
Eisenbahnen und Schaffung staatlicher Arbeits-
kolonien auf dem Lande zur Aufnahme der
Arbeitslosen. Für England mögen diese For-
derungen angebracht sein. In Deutfchland,
Oesterreich, Rußland sind diese Forderungen
zum Theil durchgeführt, ohne den geringsten
Nutzen für die Bauern und Landarbeiter, und
die Proletarier dieser Länder haben nicht das
geringste Verlangen, die Macht ihrer Regie-
rungen durch weitere Fortschritte in staats-
sozialistischer Richtung gestärkt zu sehen.
Noch eine Resolution ist zu erwähnen, die
über die politische Aktion.
Bei dieser Resolution fällt zunächst auf, daß
sie auf die Forderung der Stichwahlen so
großen Nachdruck legt. Sie erklärt das all-
gemeine Wahlrecht und die Stichwahlen
für unumgängliche Vorbedingungen eines wirk-
samen politischen Kampfes der Arbeiterklasse.
Die besondere Betonung der Stichwahlen ist
dem Betreiben der englischen Sozialisten zuzu-
schreiben. Bei den englischen Parlamentswahlen
giebt es keine Stichwahlen und dadurch wird
die Loslösung der Arbeiter von den bürger-
lichen Parteien sehr erschwert. Die Stimmen,
welche die sozialistischen Kandidaten bei den
Wahlen erringen, werden in viel höherem Maße
den Radikalen, als den Konservativen ab-
genommen. Wenn nur ein Wahlgang zulässig
ist, bedeutet also jede sozialistische Kandidatur,
die nicht zur Wahl des Sozialisten führt, eine
Schwächung des radikalen Kandidaten zu Gunsten
des konservativen. Dazu wollen sich die Arbeiter
nur ungern verstehen. Wo daher nicht der
Sozialist Aussicht hat, gewählt zu werden,
stimmen sie für den bürgerlichen Radikalen.
Das System der Stichwahlen würde dem
rasch ein Ende machen und die englischen Ar-
Di\ Adler-Wien.
beiter daran gewöhnen, für sozialistische Kan-
didaten auch dort zu stimmen, wo diefe nicht
sicher sind, sofort gewählt zu werden.
Aber die Resolution über die politische
Thätigkeit ist noch viel bemerkenswerther durch
einen anderen Punkt, in dein es sich ebenfalls
vornehmlich um die Engländer handelt; einen
Punkt, der die Diskussion über diese Resolution
in den Vordergrund der Verhandlungen des
Kongresses stellte; sie rief die besten Redner
auf den Plan und veranlaßte die besten Reden,
die auf dem Kongresse gehalten worden, die
beiden mit höchster Begeisterung aufgenommenen
Reden von Bebel und Jaurös. Es handelte
sich um eine Frage, die eigentlich nur noch in
England eine Frage ist, die in der Arbeiter-
bewegung anderer Länder bereits entschieden
worden, um die Frage, ob die Arbeiterklasse
ihre politischen Kämpfe unabhängig von den
bürgerlichen Parteien zu führen und sich als
selbständige politische Partei zu organisiren hat.
Aber bei der Bedeutung, die England für die
Arbeiterbewegung besitzt, ist es von höchster
Wichtigkeit, daß auch dort sich das gesummte
kämpfende Proletariat auf dieselbe politische
Grundlage stellt, wie die ihrer Aufgaben bewußte
Arbeiterschaft der gesammten übrigen Welt.
Und darum ist es von der weittragendsten
Bedeutung, daß der Antrag der Kommission
auf selbständige politische Aktion fast einstimmig
Hyndman-London.
von dem Kongresse angenommen wurde und
auch die große Mehrheit unter den Engländern
fand. Ohne die Rückwirkung dieses Beschlusses
auf die englische Arbeiterbewegung zu über-
schätzen und anzunehmen, daß diese sofort die
Bahnen verlassen werde, in denen sie fast ein
halbes Jahrhundert lang gewandelt, darf man
doch sagen, der Kongreß hat gezeigt, daß die
bereits bestehenden Ansätze zu einer selbständigen
politischen Thätigkeit des englischen Prole-
tariats stärker sind, wie man erwartet, und er
hat zu ihrer weiteren Stärkung wesentlich bei-
getragen.
Mit der Annahme der Erklärung zu Gunsten
der unabhängigen politischen Thätigkeit der
Arbeiterschaft ist der letzte Ring in der Kette
der internationalen Solidarität des Proletariats
geschlossen, zu der die ersten Glieder auf dem
Pariser Kongreß von 1889 geschmiedet worden.
Keir Hardie- Glasgow.
Und darin liegt die Bedeutung des internatio-
nalen Kongresses von 1896. Das Proletariat
aller Länder hat sich nun ausdrücklich in allen
wesentlichen Punkten, nicht nur in wirthschaft-
licher, sondern auch in politischer Beziehung
auf dieselbe Grundlage gestellt. Bei aller Ver-
schiedenheit der Taktik kämpft es nun überall
bewußt und ausgesprochen für dasselbe Ziel
mit denselben Mitteln.
Von nun an fällt den internationalen Kon-
gressen eine neue Aufgabe zu: auf den Grund-
lagen, die jetzt gelegt, weiter zu bauen, eine
Einheitlichkeit in praktischen, aktuellen Fragen
anzubahnen und zu dokumentiren.
Der nächste internationale Kongreß soll,
wenn die politischen Verhältnisse es erlauben,
1899 in Deutschland stattfinden. Wir zweifeln
nicht im Mindesten, daß es der deutschen Sozial-
demokratie gelingen wird, so weit es an ihr
liegt, den nächsten Kongreß feinen Vorgängern
nicht nur ebenbürtig zu machen, sondern ihn sie
überragen zu lassen. Die Lehren des Londoner
Kongresses werden beherzigt werden.
Dieser Kongreß war entschieden besser als
sein Ruf, in den ihn das Gebühren der An-
archisten und die Berichte ihrer Verbündeten,
der bürgerlichen Zeitungen, gebracht. Er hat
trotz der größten Schwierigkeiten eine achtuugs-
werthe Arbeit geleistet.
Aber das genügt nicht. Wir müssen mit
den internationalen Kongressen dahin kommen,
wohin in den meisten Ländern bereits die Kon-
gresse der einzelnen Arbeiterparteien gekommen
sind, daß sie nicht blos nützliche Arbeit leisten,
sondern auch diefe Arbeit in einer Weise leisten,
die den Neid und die Bewunderung selbst unserer
entschiedensten Gegner erregt und die auch dem
Blindesten deutlich die Fähigkeit des Proletariats
beweist, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen.
Die bürgerliche Welt kennt nur internationale
Fachkongresse. Den« Proletariat war es Vor-
behalten, auf internationalen Kongressen die
schwierigsten politischen und sozialen Fragen
zur Behandlung und Entscheidung zu bringen.
Es hat das erste internationale Parlament ins
Leben gerufen. Es wird ihm auch gelingen,
dieses zu einem tadellosen Funktioniren z»
bringen.
Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
wie es auch John Stuart Mich Henry George
und Andere gethan. Der Kongreß verlangte
dagegen zur Lösung der Agrarfrage die Ver-
gesellschaftlichung des Grund und Bodens im
Verein mit der Vergesellschaftlichung der an-
dern Produktionsmittel und zu dem Zwecke
der Bebauung im Gemeininteresse der Gesell-
schaft, d. h. er erklärte die kapitalistische Ge-
sellschaft für unfähig, die Agrarfrage zu lösen
Jaurös-Paris.
und wies diese Lösung der sozialistischen Gesell-
schaft zu. Und als nächste praktische Aufgabe,
welche die Arbeiterparteien ans dem flachen
Lande zu erfüllen haben, bezeichnete er die Or-
ganisirung des Landproletariats zum Kampf
gegen seine Ausbeuter, und nicht etwa die Er-
haltung des kleinen Grundeigeuthums. Er
lehnte es entschieden ab, für die staatssozia-
listischen Forderungen einzutreteu, die von vielen
englischen Sozialisten zur Milderung der Agrar-
krise gefordert werden, Verstaatlichung der
Eisenbahnen und Schaffung staatlicher Arbeits-
kolonien auf dem Lande zur Aufnahme der
Arbeitslosen. Für England mögen diese For-
derungen angebracht sein. In Deutfchland,
Oesterreich, Rußland sind diese Forderungen
zum Theil durchgeführt, ohne den geringsten
Nutzen für die Bauern und Landarbeiter, und
die Proletarier dieser Länder haben nicht das
geringste Verlangen, die Macht ihrer Regie-
rungen durch weitere Fortschritte in staats-
sozialistischer Richtung gestärkt zu sehen.
Noch eine Resolution ist zu erwähnen, die
über die politische Aktion.
Bei dieser Resolution fällt zunächst auf, daß
sie auf die Forderung der Stichwahlen so
großen Nachdruck legt. Sie erklärt das all-
gemeine Wahlrecht und die Stichwahlen
für unumgängliche Vorbedingungen eines wirk-
samen politischen Kampfes der Arbeiterklasse.
Die besondere Betonung der Stichwahlen ist
dem Betreiben der englischen Sozialisten zuzu-
schreiben. Bei den englischen Parlamentswahlen
giebt es keine Stichwahlen und dadurch wird
die Loslösung der Arbeiter von den bürger-
lichen Parteien sehr erschwert. Die Stimmen,
welche die sozialistischen Kandidaten bei den
Wahlen erringen, werden in viel höherem Maße
den Radikalen, als den Konservativen ab-
genommen. Wenn nur ein Wahlgang zulässig
ist, bedeutet also jede sozialistische Kandidatur,
die nicht zur Wahl des Sozialisten führt, eine
Schwächung des radikalen Kandidaten zu Gunsten
des konservativen. Dazu wollen sich die Arbeiter
nur ungern verstehen. Wo daher nicht der
Sozialist Aussicht hat, gewählt zu werden,
stimmen sie für den bürgerlichen Radikalen.
Das System der Stichwahlen würde dem
rasch ein Ende machen und die englischen Ar-
Di\ Adler-Wien.
beiter daran gewöhnen, für sozialistische Kan-
didaten auch dort zu stimmen, wo diefe nicht
sicher sind, sofort gewählt zu werden.
Aber die Resolution über die politische
Thätigkeit ist noch viel bemerkenswerther durch
einen anderen Punkt, in dein es sich ebenfalls
vornehmlich um die Engländer handelt; einen
Punkt, der die Diskussion über diese Resolution
in den Vordergrund der Verhandlungen des
Kongresses stellte; sie rief die besten Redner
auf den Plan und veranlaßte die besten Reden,
die auf dem Kongresse gehalten worden, die
beiden mit höchster Begeisterung aufgenommenen
Reden von Bebel und Jaurös. Es handelte
sich um eine Frage, die eigentlich nur noch in
England eine Frage ist, die in der Arbeiter-
bewegung anderer Länder bereits entschieden
worden, um die Frage, ob die Arbeiterklasse
ihre politischen Kämpfe unabhängig von den
bürgerlichen Parteien zu führen und sich als
selbständige politische Partei zu organisiren hat.
Aber bei der Bedeutung, die England für die
Arbeiterbewegung besitzt, ist es von höchster
Wichtigkeit, daß auch dort sich das gesummte
kämpfende Proletariat auf dieselbe politische
Grundlage stellt, wie die ihrer Aufgaben bewußte
Arbeiterschaft der gesammten übrigen Welt.
Und darum ist es von der weittragendsten
Bedeutung, daß der Antrag der Kommission
auf selbständige politische Aktion fast einstimmig
Hyndman-London.
von dem Kongresse angenommen wurde und
auch die große Mehrheit unter den Engländern
fand. Ohne die Rückwirkung dieses Beschlusses
auf die englische Arbeiterbewegung zu über-
schätzen und anzunehmen, daß diese sofort die
Bahnen verlassen werde, in denen sie fast ein
halbes Jahrhundert lang gewandelt, darf man
doch sagen, der Kongreß hat gezeigt, daß die
bereits bestehenden Ansätze zu einer selbständigen
politischen Thätigkeit des englischen Prole-
tariats stärker sind, wie man erwartet, und er
hat zu ihrer weiteren Stärkung wesentlich bei-
getragen.
Mit der Annahme der Erklärung zu Gunsten
der unabhängigen politischen Thätigkeit der
Arbeiterschaft ist der letzte Ring in der Kette
der internationalen Solidarität des Proletariats
geschlossen, zu der die ersten Glieder auf dem
Pariser Kongreß von 1889 geschmiedet worden.
Keir Hardie- Glasgow.
Und darin liegt die Bedeutung des internatio-
nalen Kongresses von 1896. Das Proletariat
aller Länder hat sich nun ausdrücklich in allen
wesentlichen Punkten, nicht nur in wirthschaft-
licher, sondern auch in politischer Beziehung
auf dieselbe Grundlage gestellt. Bei aller Ver-
schiedenheit der Taktik kämpft es nun überall
bewußt und ausgesprochen für dasselbe Ziel
mit denselben Mitteln.
Von nun an fällt den internationalen Kon-
gressen eine neue Aufgabe zu: auf den Grund-
lagen, die jetzt gelegt, weiter zu bauen, eine
Einheitlichkeit in praktischen, aktuellen Fragen
anzubahnen und zu dokumentiren.
Der nächste internationale Kongreß soll,
wenn die politischen Verhältnisse es erlauben,
1899 in Deutschland stattfinden. Wir zweifeln
nicht im Mindesten, daß es der deutschen Sozial-
demokratie gelingen wird, so weit es an ihr
liegt, den nächsten Kongreß feinen Vorgängern
nicht nur ebenbürtig zu machen, sondern ihn sie
überragen zu lassen. Die Lehren des Londoner
Kongresses werden beherzigt werden.
Dieser Kongreß war entschieden besser als
sein Ruf, in den ihn das Gebühren der An-
archisten und die Berichte ihrer Verbündeten,
der bürgerlichen Zeitungen, gebracht. Er hat
trotz der größten Schwierigkeiten eine achtuugs-
werthe Arbeit geleistet.
Aber das genügt nicht. Wir müssen mit
den internationalen Kongressen dahin kommen,
wohin in den meisten Ländern bereits die Kon-
gresse der einzelnen Arbeiterparteien gekommen
sind, daß sie nicht blos nützliche Arbeit leisten,
sondern auch diefe Arbeit in einer Weise leisten,
die den Neid und die Bewunderung selbst unserer
entschiedensten Gegner erregt und die auch dem
Blindesten deutlich die Fähigkeit des Proletariats
beweist, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen.
Die bürgerliche Welt kennt nur internationale
Fachkongresse. Den« Proletariat war es Vor-
behalten, auf internationalen Kongressen die
schwierigsten politischen und sozialen Fragen
zur Behandlung und Entscheidung zu bringen.
Es hat das erste internationale Parlament ins
Leben gerufen. Es wird ihm auch gelingen,
dieses zu einem tadellosen Funktioniren z»
bringen.
Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.