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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0206
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2280 •—

ZtlmtSriitß Popoffs Traum.

Satirisches Gedicht von Graf A. K. Tolstoi.

Deutsch

I von

Hw Ldgnr Steiger.

edlen Staatsrath Po-
p°ff träumt' einmal
Ein dummer Traum—wa-
rum, weiß Gott allein.
Zum Gratulircn in den
Ahncnsaal

Des Herrn Aiinisters trat er fröhlich ein
Und hatte keine Hosen an! — Die Zahl
Der Orden stimmt — er ist rasirt — wie fein
Die blanke Degentroddel sitzt! Indessen
Das leidige Hosenpaar hat er vergessen!

Zum Unglück merkt er's drin erst im Gedränge.
Was thun? Er denkt, sich sachtsam sortznschleichen,
Umsonst! Er überschaut des Saales ,Länge:
Unmöglich, jetzt den Ausgang zu erreichen!
Bekannte rings in dichtgcschaarter Menge. —

Das gab' ja ein Gelächter ohne Gleichen!
Spießruthen ohne Hosen hier zu laufen?

Gott sei davor! Ich bleib'im großen Haufen!

Doch halt! Was könnt' ich gleich nur vor mich

schieben,

Damit sie nicht mich Alle sehn und necken?

Mein Obertheil seh' Jeder nach Belieben!

Fürs Andre werd' ich's schon Freund Iwan stecken!
Das Plätzchen am Kamin ist freigeblieben —

Dort wird der Ofenschirm mich keusch verdecken!
Hätt' ich das Dienerpack nur bei den Ohren! —
Jndeß, was hilft's? Noch bin ich nicht verloren.

Das raunt und murmelt. Enger wird der Kreis
Besternter feierlicher Würdenträger.

Wie Jeder doch sich vorzudrängen weiß.

Ob schon Gcheimrath oder Stellenjäger!

Aus einmal mäuschenstill! Dann stolz und leis
Läuft, hoch den Degen, durch den Saal der Pfleger
Der hohen Etikette mit Gekcuche,

Und die Kouriere ziehen ein die Bäuche.

Der Herr Minister kommt, ein schlichter Mann
Mit seiner Haltung, freundlichem Gesicht,

Ein einfach zugestutztes Röckchen an,

So ganz, als sagt' er: Protzen lieb' ich nicht;
Schlichtbürgerlich sei Jeder, wo er kann!

Ob auch die Uniform ins Auge sticht,

Von Förmlichkeiten ward noch Keiner fett —

Als Sohn der Neuzeit trag' ich das Jacket.

Das Alles merkt sich Freund Popoff anfS Best'.
Wiewohl er träumt! So geht cs in der Welt:

Wer am Ertrinken, hält am Dorn sich fest.
„Wie?" denkt er, „wenn mein Anzug ihm gefüllt?
Das ist ein Mann, der mit sich reden laßt,

Der nichts von allem äußern Flitter hält!

Wer weiß? Am Ende gar? — Das ist's ja eben!
Doch warten wir! Wir werden's noch erleben!"

Jndeß verneigt sich der Minister sehr:

„Ich danke, meine Herrn, daß Sie erschienen,

Und hoffe, daß Sie fürder, wie bisher,

Dem Vaterland, dem Thron und Altar dienen.
Sie fassen wohl die Worte inhaltsschwer?

In metaphorischer Kürze sag' ich Ihnen:

Mein Ideal ist Freiheit, Volkesrecht

Mein letzter Zweck, ich bin des Volkes Knecht!

„Vergangen sind die jammervollen Tage,

Da sich das Volk, ein Wurm, am Boden wand,
Und freche Willkür lohnte Schweiß und Plage.

Es fiel das Sklavenjoch. Das Volk erstand.

Es lebt und athmet — das ist keine Frage —
Doch strauchelt's noch. Drum reicht ihm treu die Hand
Und helft dem zagen Reiter in den Bügel,

Und reicht getrost ihm der Regierung Zügel!

„Kein ander Band kann uns als Vorbild gelten,
Wer sollte nur? Der Freiheit Ideal
Sucht Ihr vergeblich in den neuen Welten:
Amerika kniet vor dem Kapital!

Und auch Britannien muß der Weise schelten:

In seinem Fleisch steckt des Gesetzes Pfahl!

Es bleibt dabei, mag auch der Schein bestechen:
Gesetz ist Zwang, und Zwang ist ein Verbrechen!

„Nein, meine Herrn, nur Rußland wird es finden.
Das hohe Ziel, das alle Welt erstrebt,
Vergangenheit und Zukunft zu verbinden,

Und eine Form, die Alles, was da lebt,

Für alle Zeiten liebend soll umwinden,

Daß Arin und Reich sich gegenseitig hebt,

Und Arbeit und Genuß in allen Landen —

Nicht wahr? Die Herren haben mich verstanden?"

Ein schmunzelnd Murmeln ging von Mund zu Munde.
Der Herr Minister neigte sich aufs Neue,

Und gnädig blickend schritt er durch die Runde.
„Was machen Sie denn Gut's „ Wie ich mich freue,
Sie hier zu sehn!" — „Wie gcht's tut Ehebunde?
Die Frau Gemahlin wohl?" — „Aha! Der treue
Sidor Timofäitsch! Gott grüß' Dich, Lieber!" —
„Servus, Elpidifor Koulissenschieber!"

Verborgen stand mit schmutzigem Hemdenkragen
Ein Registrator scheu im Hintergrund.

Kaum sieht er den, beginnt er gleich zu fragen:
„Sieh da! Antipater! Was macht Ihr Hund?

Er war so niedlich! — Wie? — Sie schmerzt der

Magen? —

Das thut mir leid! Doch sonst sind Sie gesund? —
Dann giebt sich auch das Andre bald, das weiß ich!
Besuchen Sie auch das Theater fleißig?"

So schreitet der Minister durch die Reih'ii,

Läßt rechts und links der Gnade Perlen fallen.
Den ladet er zur Mittagsmahlzeit ein,

Dem nickt er heimlich blinzelnd zu vor Allen,

Den streift nur flüchtig seiner Augen Schein
Und dem bezeugt er laut sein Wohlgefallen,

Bis jetzt sein Blick aus Popoff haften bleibt,

Der sich mit Warten bang die Zeit vertreibt.

„Was sch' ich? Titus EufKtsch! Ei! ei!

Was hast Du Dich so seltsam dort verkrochen?
Des Ofenschirmes Papagei
Paßt schlecht zu Deinen derben Backenknochen!
Halb Mann, halb Vogel, Väterchen? Herbei!

Du hast Dir doch die Beine nicht gebrochen?
Tritt her! Ich schaute gern den ganzen Mann
Vom Scheitel bis zur großen Zehe an!"

Auf Popofss Herzen liegt ein dumpfer Druck,

Als er sich zeigt in Morgentoilette.

„Wie? Ist das Wahrheit oder Teufelsspuck?"
Und schaudernd greift der Höfliirg zur Lorgnette.
„Sie haben keine Hosen an? Guck'! Guck'!

Das hat wohl seinen liefern Grund, ich wette!"
Und dunkle Gluth umflammt das Angesicht
Des Manns, der für des Volkes Rechte ficht.

„Was soll das heißen? Wo sind Sie zu Haus?
Auf Schottlands Höhn? Sie thun, als wär' es Nacht,
Und ziehn am Ofen hier die Hosen aus!

Hat Walter Scott Sie ganz verrückt gemacht?
Trägt die Antike Schuld an diesem Graus?

Will prunken Er in alter Römertracht?

Wie? — Oder wär dies dürftige Negligs
Ein leibhaft Bild vom russischen Budget?"

Viel schöner, als in Gnaden anzuschauen,

Strahlt der Minister jetzt im Zornesfeuer.
Versengend fährt der Blitz aus dunkeln Brauen:
„O Titus EufMsch! Du warst mir theuer!
Schmachvoll betrogen hast Du mein Vertrauen!
Erbärmlich! Pfui! Erbärmlich!" — „Euer — Euer
Ex'llenz — ich zog — die Hosen gar nicht ans —
Die Herrn sind Zeugen — ich kam so von Haus!"

„Sie wagten's, Herr, so vor mir zu erscheinen,
Mit Ihrer Blöße schamlos noch zu glänzen,
Moral und Anstand hämisch zu verneinen?
Verworfner! Klar durchschau'ich die Tendenzen!
Zum Staatsanwalt mit Ihren nackten Beinen!
Der mag sich selbst den schweren Fall ergänzen. —
Schreibt, Schreiber: Popoff denkt bei Tag und Nacht
An frechen Umsturz von Gesetz und Macht!

„Doch Dank dem Herrn Minister N. und Gott,
Gerettet ward das theure Vaterland,

Entdeckt das nächtlich tagende Komplott!

Noch ward die Tugend an der Newa Strand,
Noch ward die Keuschheit nicht zum Kinderspott!
Herr Staatsanwalt, Euch geb' ich in die Hand
Den Frevler, den wir ohne Hosen trafen,

Nach Recht und nach Gesetz ihn zu bestrafen! -

„Doch nein! Zu mild verfährt das Volksgericht,
Freisprechen könnten Sie den Nackendbeinigen
Aus Unverstand. Und hieße solches nicht
Den offnen Umsturz feierlich bescheinigen?

Hier ist die höchste Strenge heil'ge Pflicht:

Den Fall mag das Geheimgericht bereinigen,
Abtheilung III: Popoff denkt Tag und Nacht
An frechen Umsturz von Gesetz und Macht.

„Ja, den Gesetzen beut er ew'gen Streit,

Und der Gesellschaft droht er mit dem Schwert!
Wer weiß? Das mangelhafte Unterkleid
Ist im Verwaltungswege Goldes werth.
 
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