Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0215
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— 2289

Mister Well sich anmelden und über seine Per-
sonalien Auskunft geben solle. Da ich ihn gerade
auseinandergeschraubt hatte, konnte ich ihm den
Gang zur Polizei nicht zumuthen, und ging au
seiner Statt selbst.

„Wann ist Mister Well geboren?" fragte ei»
Beamter, nachdem er einen Bogen Papier mit
einigen einleitenden Formeln bedeckt hatte, die zur
Protokollaufnahme seiner Ansicht nach nöthig
waren.

„Mister Well ist zwei und ein halbes Jahr-
alt", berichtete ich.

„Unsinn", sagte der Beamte, „dann wäre
dieser Gentleman ja ein minderjähriger kleiner
Bursche!"

„O nein, er wiegt gut drei Zentner", be-
merkte ich.

„Die Gewichtsangabe ist im Protokoll nicht
erforderlich", belehrte mich der Amtliche. „Wo ist
Mister Well geboren?"

„Sein Kopf", gab ich an, „stammt aus New
Dork, die Beine sind aus Pcnnsylvanien, den
Brustton seiner Neberzeugung schöpft er direkt aus
Edison's Werkstatt, sein Rücken und .. ."

„Genug!" rief der Beamte, „Sie scheinen
stark gefrühstückt zu haben. Ich werde mir Herrn
Well persönlich vorladen." Und er schrieb eine
Verfügung, laut welcher mein eiserner Mann
persönlich an Anltsstclle zu erscheinen habe, bei
Vermeidung von Strafe und polizeilicher Vor-
führung.

Mister Well hatte keine Ahnung von dieser
schrecklichen Gefahr, die ihm drohte. Ich stellte
ihn zusammen und setzte ihm seinen Kopf auf.
Dann zog ich ihm meinen besten Frack an und
ließ ihn durch drei starke Männer in das Ver-
sanunlungslokal einschinuggeln, wo ich mit ihm
in einer Nische nahe der Rednertribüne Platz
nahm.

Der Saal füllte sich nach und nach und end-
lich wurde die Versammlung eröffnet, indem ein
Männlein auf der Tribüne hcrumschwänzelte,
das den geehrten Anwesenden für ihr Erscheinen
dankte und dem Referenten, Herrn Professor
Or. Lügenbeutel, das Wort ertheilte.

Dieser Referent erging sich in langen Lobes-
erhebungen über das allgewaltige Deutsche Reich,
rühmte auch speziell den unentwegten Mannes-
muth der Nationalliberalen, welche zum Ausbau
des Reiches so Großes geleistet hätten durch Zu-
stimmung zu allen Regierungsvorlagen, endlich
schilderte der Redner die segensreiche, alles be-
fruchtende Wirksamkeit des Kapitals, das alle
Menschen glücklich und zufrieden mache mit Aus-
nahme der unzufriedenen Sozialdemokraten, die
man eben gewaltsam unterdrücken müsse, nach
dem bewährten Rezept des großen eisernen Bis-
inarck, des gewaltigsten Mannes unseres Jahr-
hunderts.

„Ra wartet, jetzt sollt Ihr noch einen ganz
anderen eisernen Mann kennen lernen", sagte
ich mir, während die anderen Anwesenden Bei-
fall klatschten. Ich setzte Mffter Wells Mechanik
in Thätigkeit und er schnellte rasselnd von seinem
Sitze empor.

„Ich bitte ums Wort!" donnerte er. „Mister
Well aus New Mrk", ergänzte ich. Man er-
theilte ihm das Wort ohne Schwierigkeiten und
Mister Well begann:

„Nationalliberale! Feigstes Gesindel aller fünf
Erdtheile! Geht in Euch und schämt Euch! Groß-
mäulig seid Ihr wie der genieine Hai in den
westindischen Gewässern, frech wie der Floh im
Pelze eines hypnotisirten Kaninchens! Aber wenn
die Regierung niest, da fallt Ihr platt auf den
Bauch und leckt den Ministern die Wichse von
den Stiefeln herunter. Die letzten Freiheiten des
deutschen Volkes habt Ihr verrathen, so schänd-
lich, daß Judas Jscharioth vor Euch ausspucken

würde, wenn er Euch zufällig am Jungfernstieg
begegnete...."

„Oho! ... Zur Ordnung!" unterbrachen
mehrere Stimmen.

Aber Mister Well ließ sich natürlich nicht
irre machen. Er schlug mit seiner Eisenfaust
auf den Tisch, daß mehrere Biergläser hoch
empor flogen und ihren Inhalt auf die in der
Nähe befindlichen Personen ergossen. Dann ging
mein eiserner Redner auf die deutschen Zustände
über und gab davon in seiner drastischen Weise
verschiedene Streiflichter, welche den überwachen-
den Kommissar zum Einspruch veranlaßten.

Aber auf polizeiliche Einsprüche war mein
amerikanischer Agitator nicht geaicht; sie störten
ihn gar nicht, sondern er kan: jetzt zu einer Kritik
der Minister und der Polizei, wobei er behauptete,
gewisse Amtspersonen seien aus den Irrenhäusern
derHottentotten entsprungen, das von den National-
liberalen noch immer vertretene Bismarcksche
System sei in seinen Grundzügen den Statuten
einer brasilianischen Räuberbande entnommen re.

Nun schritten zwei Polizeibeamte gegen meinen
Mister Well energisch ein, aber mit negativem
Erfolg. Mister Well machte nämlich gerade seine
elektrischen Gestikulationen. Dabei schlug er dem
einen Polizisten, der ihm nahe kaut, die Nase weg,
dem andern gab er einen Schlag auf den Kopf,
so daß der Betroffene die Trümmer seiner Schädel-
decke unter den benachbarten Tischen und Stühlen
zusammensuchen mußte.

Nun packte ein dritter Gendarm den Mister
Well von hinten am Genick, aber dadurch wurde
die Situation nur noch pikanter. Der Angreifende
hatte nämlich zufällig die Feder berührt, die Mister
Well's Revolver in Thätigkeit setzte. Jetzt drehte
sich plötzlich der Kopf des eisernen Redners wie
ein Kreisel und gab nach allen Richtungen Revolver-
schüsse ab. Dabei fungirte sein Sprachorgan ruhig
weiter, es war dem Vorsitzenden absolut unmög-
lich, Mister Well das Wort zu entziehen.

Natürlich entstand eine große Panik. Alles
floh aus dem Saale und die Polizei ließ Militär
requiriren, welches nach zwei Stunden mit klingen-
dem Spiele gegen das Versammlungslokal anrückte.

Inzwischen hatte ich meinen eisernen Redner
auseinandergenommen, in einen Kasten verpackt
und auf einen Dampfer spcdiren lassen, mit dem
ich ihn wieder nach Amerika zurückbeförderte.
Denn die Redefreiheit in Deutschland ist für feilte
kräftige Konstitution etwas zu eng bemessen, und
es mußte mir daher genügen, daß er wenigstens
den Hamburger Nationalliberalen einmal gründ-
lich die Wahrheit gesagt hat.

Hinter Mister Well wurde ein Steckbrief wegen
Aufreizung, Beleidigung re. erlassen, der aber bis
jetzt unerledigt geblieben ist.

Schnitzel.

Der Großkonfektionär Rosenduft, der das Schwitzsystem
nach allen Regeln der Ausbeuterkunst kultivirte, im Uebrigen
aber ein sehr frommer Mann war, fragte seinen im Geruch
eines Propheten und Wundermannes stehenden Rabbiner, ob
er ihm wohl sagen könnte, wann er sterben würde. „Das
kann ich Ihnen sagen," war die Antwort. „Sie werden am
Eres Jomtof (Tag vor einem Festtag) sterben." — „Wie haißt,
am Eres Jomtos?" fragte Rosenduft weiter. — „Nu", ant-
wortete der Rabbi, „wenn Sie werden sterben, werden Ihre
Arbeiter haben am folgenden Tag Jomtof (Festtag)."

Was Hilsts, daß der Hund der Gewalt an die Kette des
Gesetzes gelegt ist, wenn die Auslegung die Kette nach Belieben
verlängert. *

Die Kirche hat die Zivilisation geschaffen, sagen die
Klerikalen. Mein Krähen hat den Aufgang der Sonne herbei-
geführt, sagt der Hahn in der Fabel.

Die Frömmelei läßt die besseren Regungen der Menschen-
natur in Phrasendunst verdampfen, so daß sie keine Thaten
auslösen.

Der Gamaschendienst.

0 welche Lust, Soldat zu sein!

Dem Vaterlande gilt's zu dienen.

Du hörst die Korporale schrei'n
Und bist Gehorsam schuldig ihnen.

Sie schreien: „Kniee durchgedrückt!"
Das ist dem Vaterlande nöthig,

Und bist darin du nicht geschickt.

So sind zu prügeln sie erbötig.

Ls reicht nicht, daß du Gut und Blut
Dem Vaterland dahin willst geben —
Die Knöpfe mußt du putzen gut,

Sonst kannst du große Schmach erleben;
Da bist du „Lsel" und „Kameel",

Da regnet's „Schafs-" und andre Köpfe,
Des tapfern Heeres Kraft und Seel'
Sind einzig ja die blanken Knöpfe.

Gehorchen mußt bu immer stumm,
wenn Vorgesetzte kommandiren.

Doch vor dem lieben Publikum
brauchst du dich wenig zu geniren.
Ihm zeige, daß das Militär
Bevorzugt jedem andern Stande
Und rasi'le stolz mit deiner Wehr —
Das dient zum Wohl dem Vaterlande.

Du kannst, erlaubt's die Instruktion,
Auf Menschen schießen oder schlagen.
Vielleicht erwächst dir dann als Lohn
Lin blanker Knopf an deinem Kragen.
In einem Militärstaat ist —

So sagt die höchste aller Lehren —
Stets eine Null der Zivilist,

Lr darf dich lediglich ernähren.

An die Nationen.

Seid ihr ntit Pulver und Blei bewehrt,

Dann laßt die Diplomaten schalten!

Die werden so lange den Frieden erhalten —
So lange — bis jemand den Krieg erklärt.

Vertrag

zur Lntwicklnngsgeschichte der Menschen erster 8üte.

Vom Hemdenmatz bis zum Minister.
 
Annotationen