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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0225
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Aus „Dairtcms Toö!'

von Georg Büchner.

Ein Zimmer.

Aobrsprerre. Danton. Paris.

Robespierre. Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt wenn
ich das Schwert ziehe, ist mein Feind, - seine Absicht thut nichts zur
Sache; wer mich verhindert, mich zil verteidigen, tödtet mich so gut,
als wenn er mich angriffe.

Danton. Wo die Nothwehr aufhört, fängt der Mord an; ich
sehe keinen Grund, der uiis länger zum Tödten zwänge.

Robespierre. Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer
eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die
gute Gesellschaft ist noch nicht todt, die gesunde Volkskraft muß sich an
die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das
Laster muß bestraftwer-
dcn, die Tugend muß
durch den Schrecken
herrschen.

Danton. Ich ver-
stehe das Wort Strafe
nicht. — Mit deiner
Tugend, Robespierre!

— Du hast kein Geld
genommen, du hast keine
Schulden gemacht, du
hast bei keinem Weibe
geschlafen, du hast im-
mer einen anständigen
Rock getragen und dich
nie betrunken. Robes-
pierre, du bist empö-
rend rechtschaffen. Ich
würde mich schämen,
dreißig Jahre lang mit
der nämlichen Moral-
physiognomie zwischen
Himmel und Erde her-
umzulaufen, blos um
des elenden Vergnü-
gens willen, Andere
schlechter zu finden, als
mich. — Ist penn nichts
in dir, was dir nicht

manchmal ganz leise, heimlich sagte- du lügst, du lügst?!

Robespierre. Mein Gewissen ist rein.

Danton. Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Asse sich
quält; jeder putzt sich, wie er kann und geht auf seine eigene Art auf
seinen Spaß dabei aus. Das ist der Mühe werth, sich darüber in den
Haaren zu liegen. Jeder mag sich wehren, wenn ein anderer ihm
den Spaß verdirbt. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen
Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren ab-
geschlagenen Köpfen Flcckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen,
weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? In- bu
dich wehren, wenn sie dir darauf spucken oder Löcher hmeinreißen ,
aber was geht's dich an, so lange sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie
sich nicht geniren, so herum zu gehen, hast du deswegen das Recht, sie
ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Hnnmels?
und - kannst du es nicht eben so gut mit ansehen, als dein lieber
Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen.

Robespierre. Du leugnest die Tugend?

Danton. Und das Laster. Es giebt nur Epikuräer, und zwar
grobe und feine; Christus war der feinste; das ist der einzige Unter-
schied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder
handelt seiner Natur gemäß, das heißt, er thut, was ihm wohl thut.

~~~ Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von
den Schuhen zu treten?

Robespierre. Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hoch-
verrath.

Robespierre und Danton

Danton. Du darfst es nicht proskribiren, ums Himmelswillen
nicht, das wäre undankbar, du bist ihm zu viel schuldig, durch den
Kontrast nämlich. — Uebrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben,
unsere Streiche müssen der Republik nützlich sein, man darf nicht die
Unschuldigen mit den Schuldigen treffen.

Robespierre. Wer sagt dir denn, daß ein Unschuldiger ge-
troffen worden sei?

Danton. Hörst du, Fabricius? Es starb kein Unschuldiger!
(Er geht; im Hinausgehen zu Paris:) Wir dürfen keinen Augenblick verlieren,
wir müssen uns zeigen! (Danton und Paris ab.)

Robespierre lallein). Geh' nur! Er will die Rosse der Revo-
lution am Bordell halten machen, wie ein Kutscher seine dressirten
Gäule; sie werden Kraft genug haben, ihn zum Revolutionsplatz

zu schleifen. — Mir
die Absätze von den
Schuhen treten! — Um
bei deinen Begriffen zu
bleiben! — Halt! Halt!
Jst's das eigentlich? —
Sie werden sagen:
seine gigantische Gestalt
hätte zu viel Schatten
auf mich geworfen, ich
hätte ihn deswegen aus
der Sonne gehen heißen.
— Und wenn sie Recht
hätten? — Jst's denn
so nothwendig? Ja, ja,
die Republik! Er muß
weg! — Es ist lächer-
lich, wie meine Gedan-
ken einander beaufsich-
tigen. — Er muß weg.
Wer in einer Masse,
die vorwärts drängt,
stehen bleibt, leistet so
gut Widerstand, als
trat’ er ihr entgegen,
er wird zertreten. —
Wir werden das Schiff

lim Hintergrund Paris). der Revolution nicht

auf den seichten Be-
rechnungen und den Schlammbänken dieser Leute stranden lassen, wir
müssen die Hand abhaucn, die es zu halten wagt, und wenn er es
mit den Zähnen packte! — Weg mit einer Gesellschaft, die der todten
Aristokratie die Kleider ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat. —
Keine Tugend! die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen
Begriffen! — Wie das immer wieder kommt. — Warum kann ich
den Gedanken nicht los werden? Er deutet mit blutigem Finger
immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln, als ich
will, das Blut schlägt immer durch. — (Nach einer Pause:) Ich weiß
nicht, was in mir das Andere belügt. (Tritt ans Fenster.) Die Nacht
schnarcht über der Erde und wälzt sich in wüstem Trauni. Gedanken,
Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu vor des Tages
Licht sich verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlett
sich in das stille Haus des Traumes. Sie öffnen die Thüren, sie sehen
aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken
sich im Schlaf, die Lippen murmeln. — Und ist nicht unser Wachen
ein hellerer Trauni, sind wir nicht Nachtwandler, ist nicht unser Handeln
wie das im Traum, — nur deutlicher, bestimmter, durchgeführter?
Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist
mehr Thaten des Gedankens, als der träge Organismus unseres
Leibes in Jahren nachzuthun vermag. Die Sünde ist im Gedanken.
Ob der Gedanke That wird, ob ihn der Körper nachspielt, das ist
Zufall.

Zweite Beilage zum „wahren Jacob" Ar. 2S7.
 
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