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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0228
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• 2302

Herault. Ja, Camille, wir wollen uns bei einander setzen und
schreien; nichts dummer, als die Lippen zusammen zu pressen, wenn
einem was weh thut. — Griechen und Götter schrieen, Römer und
Stoiker machten die heroische Fratze.

Danton. Die einen waren so gute Epikuräer, wie die anderen. Sie
machten sich ein ganz behagliches Selbstgefühl zurecht. Es ist nicht so
übel, seine Toga zu drapiren und sich umzusehen, ob man einen langen
Schatten wirft. Was sollen wir uns zieren? Ob wir uns nun Lorbeer-
blätter, Rosenkränze oder Weinlaub vorbinden oder uns nackt tragen?

Philippeau. Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch über
der Erde zu stehen, um von all dem wirren Schwanken und Flimmern
nichts mehr zu sehen und die Augen nur von einigen großen, göttlichen
Linien erfüllt zu haben. Es giebt ein Ohr, für welches das Jneinander-
schreien und der Zeter, die uns betäuben, ein Strom von Harmonien sind.

Danton. Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper
die Instrumente. Sind denn die häßlichen Töne, welche auf ihnen heraus-
gepfuscht werden, nur da, um höher und höher dringend und endlich leise
verhallend wie ein wollüstiger Hauch in himmlischen Ohren zu sterben?

Herault. Sind wir wie Ferkel, die man für fürstliche Tafeln
mit Ruthen todt peitscht, damit ihr Fleisch schmackhafter werde?

Danton. Sind wir Kinder, die in den glühenden Molochsarmen
dieser Welt gebraten und mit Lichtstrahlen gekitzelt werden, damit die
Götter sich über ihr Lachen freuen?

Camille. Ist denn der Aether mit seinen Goldaugen eine
Schüssel mit Goldkarpfen, die am Tische der seligen Götter steht, und
die seligen Götter lachen ewig, und die Fische sterben ewig, und die
Götter erfreuen sich ewig am Farbenspiel des Todeskampfes?

Danton. Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu
gebärende Weltgott. (Der Schließer tritt ein.)

Schließer. Meine Herren, Sie können abfahren, die Wagen
halten vor der Thür."

Philippeau. Gute Nacht, meine Freunde, legen wir ruhig die
große Decke über uns, unter welcher alle Herzen ausglühen und alle
Augen zerfallen. <Sie umarmen einander.)

Herault (nimmt Camille's Arm). Freue dich, Camille, wir bekommen
eine schöne Nacht. Die Wolken hängen am stillen Abendhimmel wie
ein ausglühender Olymp mit verbleichenden, versinkenden Götter-
gestalten. (Sie gehen ab.) -

Der Kevolirlionsxlsh.

(Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine. Männer und Weiber singen
und tanzen die Carmagnole. Die Gefangenen stimmen die Marseillaise an.)

Ein Weib mit Kindern. Platz! Platz! Die Kinder schreien,
sie haben Hunger. Ich muß sie zusehen machen, daß sie still sind. Platz!

Camille. Verfluchte Hexen! Ihr werdet noch schreien: ihr Berge
fallet auf uns!

Ein Weib. Der Berg ist auf euch, oder ihr seid ihn vielmehr
hinunter gefallen.

Dantoutz» Camille). Ruhig, mein Junge, du hast dich heiser geschrieen.

Camille (giebt dem Fuhrmann Geld). Da, alter Charon, dein Karren
ist ein guter Präsentirteller. — Meine Herren, ich will mich zuerst
serviren. Das ist ein klassisches Gastmahl, wir liegen auf unseren
Plätzen und verschütten etwas Blut als Libation. Adieu, Danton.

(Er besteigt das Blutgerüst, die Gefangenen folgen ihm, einer nach dem anderen. Danton
steigt zuletzt hinauf.)

Danton. Adieu, mein Freund. Die Guillotine ist der beste Arzt.

Eine Zlrafze.

Lu eile.* ** Es ist doch was wie Ernst daran. Ich will einmal Nach-
denken. Ich fange an, so was zu begreifen. Sterben — Sterben! — Es
darf ja Alles leben, Alles, die kleine Mücke da, der Vogel. Warum denn
er nicht? Der Strom des Lebens müßte stocken, wenn nur der eine
Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte eine Wunde bekommen von
dem Streich. — Es regt sich Alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen,
die Leute laufen, das Wasser rinnt, und so Alles weiter bis da, dahin!
— Nein, es darf nicht geschehen, nein, ich will mich auf den Boden setzen
und schreien, daß erschrocken Alles stockt, sich nichts mehr reget. (Sie setzt

* Die Karren des Henkers.

** Lucile, die Frau von Camille DeSmoulinS.

sich nieder, verhüllt sich die Augen und stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich.)

Das hilft nichts, das ist noch Alles wie sonst, die Häuser, die Gasse, der
Wind geht, die Wolken ziehen. Wir müssen's wohl leiden.

(Einige Weiber kommen die Gasse herunter.)

Erstes Weib. Ein hübscher Mann, der Hörault!

Zweites Weib. Wie er beim Konstitutionsfeste so im Triumph-
bogen stand, da dacht' ich so, der muß sich gut auf der Guillotine
ausnehmen, dacht' ich. Das war so eine Ahnung.

Drittes Weib. Ja, man muß die Leute in allen Verhältnissen
sehen; es ist recht gut, daß das Sterben so öffentlich wird.

(Sie gehen vorbei.)

Lucile. Mein Camille! Wo soll ich dich jetzt suchen? '

Der Kevolukionsfflah.

(Zwei Henker an der Guillotine beschästigt.)

Erster Henker (steht auf der Guillotine und singt):

Und wenn ich hame geh'

Scheint der Mond so scheh —

Zweiter Henker. He, holla! Bist bald fertig?

Erster Henker. Gleich, gleich! (Singt):

Scheint in meines Ellervaters Fenster —

Kerl, wo bleibst so lange bei die Menscher?

So! die Jacke her! (Sie gehen singend ab):

Und wenn ich hame geh'

Scheint der Mond so scheh —

Lucile (tritt auf und setzt sich auf die Stufen der Guilloiine). Ich setze mich
auf deinen Schooß, du stiller Todesengel. (Sie singt):

Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,

Hat Gewalt vom höchsten Gott.

Du liebe Wiege, die du meinen Camille in Schlaf gelullt, ihn unter
deinen Rosen erstickt hast. Du Todtenglocke, die du ihn mit deiner
süßen Zunge zu Grabe sangst. (Sw singy:

Viel hunderttausend sind ungezählt,

Was nur unter die Sichel fällt.

(Eine Patrouille tritt auf.)

Ein Bürger. He, wer da?

Lucile (sinnend und wie einen Entschluß fassend, plötzlich): Es lebe der König! *
Bürger. Im Namen der Republik!

(Sie wird von der Wache umringt und weggefllhrt.)

* Der Ausruf: „ES lebe der König!" zog in der Regel die Enthauptung nach sich.
Lucile starb dann auch wenige Tage darauf auf dem Schaffst.

Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz tn Stuttgart.
 
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