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ii beit Beamtenkreisen der Stabt M. herrschte Bestürzung,
in ber Bürgerschaft Erstaunen und ein gutes Theil
Schabenfreube — bas Lokalblatt ber Sozialdemokraten,
bie „Morgensonne", hatte beit Staatsgewaltigen wieder
einen argen Streich gespielt.
Es war in der „Morgensonne" zu lesen, der Minister
des Innern habe dem Polizeidirektor zu M., Herrn
Schnauzer, gewisse Verhaltungsvorschriften gegeben, nach denen er bei
Verfolgung der Sozialdemokraten verfahren solle, um sie in ihrer Thätig-
keit, besonders in der Ausübung des Vereins- und Versammlnngsrechtes
zu behindern, ohne daß die Gesetze in direkter augenfälliger Weise ver-
letzt würden. Die „Morgensonne" fügte hinzu, dieser Ministerialerlaß
sei streng vertraulich und ganz geheim, ihre geehrten Leser dürften
also gegen Niemand etwas davon verlauten lassen, sondern höchstens
heimlich unter vier Augen dem Polizeidirektor davon Mittheilung machen,
denn nur für diesen allein sei die Kundgebung bestimmt.
Herr Polizeidirektor Schnauzer war außer sich. Wie konnte diese
vertrauliche Zuschrift des Ministers zur Kenntniß der Sozialdemokraten
gekommen sein? Das Schriftstück eristirte in einem einzigen Exemplar
und dieses einzige Exemplar besaß Herr Schnatizer, der Niemandem Ein-
blick in dasselbe gewährt hatte. Ueberhaupt war es erst vor zwei Tagen
eingelaufen und Schnauzer hatte es unter sicherem Verschluß gehalten.
Jetzt zog er es hervor, faltete es um und um, und betrachtete es
von allen Seiten in sorgsamster Weise, aber es ließ sich keine Spur
einer fremden Hand daran erblicken.
Aergerlich warf Schnauzer das Papier auf den Tisch und berief
mittels des Zimmertelegraphen seinen Inspektor Klugmaier zu sich, um
mit ihnt über den Fall zu berathen.
Klugntaier vernahm den Sachverhalt, überlegte, und da er ebenso
wenig wie sein Chef eine Möglichkeit entdecken konnte, wie die Sozial-
demokraten von einem Dokument Kenntniß zu erlangen vermochten,
welches der Polizeidirektor allein besaß und kannte, so meinte er endlich:
„Was sollen wir uns den Kopf zerbrechen? Wir haben das
Dokument, die Sozialdemokraten besitzen es also nicht. Da sie es nicht
haben, können sie auch nicht beweisen, daß es vorhanden ist. Wir erlassen
daher eine Berichtigung, laut welcher die ganze Sache erfunden und ein
solches Dokument niemals eristirt hat. Die sozialdemokratische Redaktion
zwingen wir auf Grund des Paragraphen 11 des Preßgesetzes, diese
Berichtigtmg aufzunehmen, dann ist die ganze fatale Geschichte aus der
Welt geschafft."
Der Polizeidirektor nahm diesen Vorschlag mit Freuden auf; das
war allerdings das sicherste und obendrein das einfachste Auskunfts-
mittel. Die Berichtigung mußte nur recht scharf, recht positiv abgefaßt
werden, dann würde der Minister, falls ihm die Sache zur Kenntniß
käme, daraus ersehen, daß ein Schuldbewußtsein hinsichtlich der geschehenen
Indiskretion bei der diesseitigen Amtsstelle keineswegs vorliege. Und das
Publikum? Das muß einfach glauben, was die Polizei versichert; wer
daran zweifelt, macht sich einer Amtsehrenbeleidigung schuldig.
Von diesen Gedanken beherrscht, griff der Polizeidirektor nach dem
ersten besten unbeschriebenen Bogen Papier, der im Bereich seiner Hand
lag, schrieb darauf seine fulminante Berichtigung, drückte den Amts-
stempel darunter, schob den Bogen in eines der großen Kouverts, die
amtlichen Schriftstücken ein recht gewichtiges Aussehen geben sollen, und
Polizei-Inspektor Klugmaier mußte den Brief selbst auf die Redaktion
der „Morgensonne" tragen, um dort zu fordern, daß die Berichtigung
in der nächsten Nummer noch erscheine.
Als diese wichtige Angelegenheit erledigt war, schloß Herr Schnauzer
sein Privatbureau und begab sich, zufrieden mit seiner Energie und
Umsicht, zum Abendschoppen.
Am nächsten Vormittag machten die Kolporteure der „Morgen-
sonne" ein glänzendes Geschäft. Die Leute rissen sich förmlich um das
Blatt, Alle wollten mit eigenen Augen die wunderbare Mär lesen, die
darin stand, und man lachte, lachte aus vollem Halse und gab lachend
bas Blatt weiter.
Was war es aber, was die „Morgensonne" so heiter beleuchtete?
Da stand zuerst, an der Spitze des Blattes, mit dicken Leitern,
die Berichtigung des Polizeidirektors Schnauzer, laut welcher ein Erlaß
des Ministers an ihn, irgendwelche sozialdemokratische Angelegenheiten
betreffend, niemals eingelaufen sei, niemals eristirt habe und niemals
zu erwarten wäre.
Dieser Berichtigung fügte die „Morgensonne" lakonisch hinzu:
„Der niemals vorhanden gewesene geheime Ministerialerlaß hat
folgenden Wortlaut:"
Und nun folgte die wörtliche Wiedergabe des polizeilich verleugneten
Schriftstückes mit Datum, Aktenzeichen und ihrem ganzen, die Rechts-
sicherheit der Sozialdemokraten bedrohenden Inhalt, durch welchen die Ver-
waltungsorgane in den Augen jedes gerechten Mannes kompromittirt
wurden, denn es war die Polizei angewiesen, unbescholtene Staats-
bürger mit zweierlei Maß zu messen, was bekanntlich nur in reaktionär-
korrumpirten Staatswesen Vorkommen kann.
Direktor Schnauzer hatte von dem Ereigniß noch keine Ahnung.
Er stärkte sich in der Weinstube zum „Rebstock" durch einen Morgen-
trunk für die bevorstehenden Strapazen des Tages, da näherte sich ihm
ein Bürger, der ihn kannte und legte ihm schmunzelnd die neueste
Nummer der „Morgensonne" vor.
Mit zufriedenen Mienen überlas Schnauzer seine Berichtigtmg —
dann wurde er plötzlich ganz blaß und ließ das Blatt sinken.
„Können die Kerle hexen?" murmelte er.
Der Bürger erkundigte sich scheinbar theilnehmend, was den Herrn
Direktor so alterire, und Schnauzer ließ sich zu einigen, mit seiner
„Berichtigung" nicht übereinstintmenden Bekenntnissen herbei.
„Ein Aktenstück, welches ich unter eigenem Verschluß habe. . .
welches einzig an mich gerichtet wurde, denn es ist lediglich auf die
Verhältnisse in unserer Stadt berechnet, eristirt also nicht in mehreren
Ereinplaren... das drucken die Sozialdemokraten in ihre Zeitung!"
„Dann hat man vielleicht das Polizeigebäude mit Röntgenschen
X-Strahlen photographirt ttttb damit alle Geheimnisse herausgeholt",
meinte der zuvorkommende Bürger. ,
Schnauzer achtete nicht auf diesen Spott. Ein schrecklicher Ge-
danke beherrschte ihn. „Man muß einen Einbruch in mein Amtslokal
verübt haben", erklärte er. „Sofort werde ich die Untersuchung eröfsiten."
Er trank seinen Wein nicht aus, sondern stürmte ins Amtsgebäude,
wo sein verfrühtes Erscheinen Verwunderung erregte; Inspektor Klug-
maier eilte herbei, erfuhr von dem schrecklichen Verdacht seines Chefs,
und es erfolgte eine gründliche Betrachtung von Thür, Fenster, Mobiliar
und Aktenmaterial im Direktorialzimmer. Man fand: Alles stand und
lag am gewohnten Orte, nirgends die Spur einer fremden Hand —
aber das verhängnißvolle Aktenstück war wirklich verschwunden, blos der
Umschlag desselben lag noch in demselben Fache, wo er früher gelegen.
Die nächste Maßregel, die Schnauzer anorduete, war eine gründ-
liche Haussuchung in der sozialdemokratischen Redaktion. Das ganze
Haus der „Morgensonne" wurde von Gendarmen umstellt, sechs Kriminal-
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ii beit Beamtenkreisen der Stabt M. herrschte Bestürzung,
in ber Bürgerschaft Erstaunen und ein gutes Theil
Schabenfreube — bas Lokalblatt ber Sozialdemokraten,
bie „Morgensonne", hatte beit Staatsgewaltigen wieder
einen argen Streich gespielt.
Es war in der „Morgensonne" zu lesen, der Minister
des Innern habe dem Polizeidirektor zu M., Herrn
Schnauzer, gewisse Verhaltungsvorschriften gegeben, nach denen er bei
Verfolgung der Sozialdemokraten verfahren solle, um sie in ihrer Thätig-
keit, besonders in der Ausübung des Vereins- und Versammlnngsrechtes
zu behindern, ohne daß die Gesetze in direkter augenfälliger Weise ver-
letzt würden. Die „Morgensonne" fügte hinzu, dieser Ministerialerlaß
sei streng vertraulich und ganz geheim, ihre geehrten Leser dürften
also gegen Niemand etwas davon verlauten lassen, sondern höchstens
heimlich unter vier Augen dem Polizeidirektor davon Mittheilung machen,
denn nur für diesen allein sei die Kundgebung bestimmt.
Herr Polizeidirektor Schnauzer war außer sich. Wie konnte diese
vertrauliche Zuschrift des Ministers zur Kenntniß der Sozialdemokraten
gekommen sein? Das Schriftstück eristirte in einem einzigen Exemplar
und dieses einzige Exemplar besaß Herr Schnatizer, der Niemandem Ein-
blick in dasselbe gewährt hatte. Ueberhaupt war es erst vor zwei Tagen
eingelaufen und Schnauzer hatte es unter sicherem Verschluß gehalten.
Jetzt zog er es hervor, faltete es um und um, und betrachtete es
von allen Seiten in sorgsamster Weise, aber es ließ sich keine Spur
einer fremden Hand daran erblicken.
Aergerlich warf Schnauzer das Papier auf den Tisch und berief
mittels des Zimmertelegraphen seinen Inspektor Klugmaier zu sich, um
mit ihnt über den Fall zu berathen.
Klugntaier vernahm den Sachverhalt, überlegte, und da er ebenso
wenig wie sein Chef eine Möglichkeit entdecken konnte, wie die Sozial-
demokraten von einem Dokument Kenntniß zu erlangen vermochten,
welches der Polizeidirektor allein besaß und kannte, so meinte er endlich:
„Was sollen wir uns den Kopf zerbrechen? Wir haben das
Dokument, die Sozialdemokraten besitzen es also nicht. Da sie es nicht
haben, können sie auch nicht beweisen, daß es vorhanden ist. Wir erlassen
daher eine Berichtigung, laut welcher die ganze Sache erfunden und ein
solches Dokument niemals eristirt hat. Die sozialdemokratische Redaktion
zwingen wir auf Grund des Paragraphen 11 des Preßgesetzes, diese
Berichtigtmg aufzunehmen, dann ist die ganze fatale Geschichte aus der
Welt geschafft."
Der Polizeidirektor nahm diesen Vorschlag mit Freuden auf; das
war allerdings das sicherste und obendrein das einfachste Auskunfts-
mittel. Die Berichtigung mußte nur recht scharf, recht positiv abgefaßt
werden, dann würde der Minister, falls ihm die Sache zur Kenntniß
käme, daraus ersehen, daß ein Schuldbewußtsein hinsichtlich der geschehenen
Indiskretion bei der diesseitigen Amtsstelle keineswegs vorliege. Und das
Publikum? Das muß einfach glauben, was die Polizei versichert; wer
daran zweifelt, macht sich einer Amtsehrenbeleidigung schuldig.
Von diesen Gedanken beherrscht, griff der Polizeidirektor nach dem
ersten besten unbeschriebenen Bogen Papier, der im Bereich seiner Hand
lag, schrieb darauf seine fulminante Berichtigung, drückte den Amts-
stempel darunter, schob den Bogen in eines der großen Kouverts, die
amtlichen Schriftstücken ein recht gewichtiges Aussehen geben sollen, und
Polizei-Inspektor Klugmaier mußte den Brief selbst auf die Redaktion
der „Morgensonne" tragen, um dort zu fordern, daß die Berichtigung
in der nächsten Nummer noch erscheine.
Als diese wichtige Angelegenheit erledigt war, schloß Herr Schnauzer
sein Privatbureau und begab sich, zufrieden mit seiner Energie und
Umsicht, zum Abendschoppen.
Am nächsten Vormittag machten die Kolporteure der „Morgen-
sonne" ein glänzendes Geschäft. Die Leute rissen sich förmlich um das
Blatt, Alle wollten mit eigenen Augen die wunderbare Mär lesen, die
darin stand, und man lachte, lachte aus vollem Halse und gab lachend
bas Blatt weiter.
Was war es aber, was die „Morgensonne" so heiter beleuchtete?
Da stand zuerst, an der Spitze des Blattes, mit dicken Leitern,
die Berichtigung des Polizeidirektors Schnauzer, laut welcher ein Erlaß
des Ministers an ihn, irgendwelche sozialdemokratische Angelegenheiten
betreffend, niemals eingelaufen sei, niemals eristirt habe und niemals
zu erwarten wäre.
Dieser Berichtigung fügte die „Morgensonne" lakonisch hinzu:
„Der niemals vorhanden gewesene geheime Ministerialerlaß hat
folgenden Wortlaut:"
Und nun folgte die wörtliche Wiedergabe des polizeilich verleugneten
Schriftstückes mit Datum, Aktenzeichen und ihrem ganzen, die Rechts-
sicherheit der Sozialdemokraten bedrohenden Inhalt, durch welchen die Ver-
waltungsorgane in den Augen jedes gerechten Mannes kompromittirt
wurden, denn es war die Polizei angewiesen, unbescholtene Staats-
bürger mit zweierlei Maß zu messen, was bekanntlich nur in reaktionär-
korrumpirten Staatswesen Vorkommen kann.
Direktor Schnauzer hatte von dem Ereigniß noch keine Ahnung.
Er stärkte sich in der Weinstube zum „Rebstock" durch einen Morgen-
trunk für die bevorstehenden Strapazen des Tages, da näherte sich ihm
ein Bürger, der ihn kannte und legte ihm schmunzelnd die neueste
Nummer der „Morgensonne" vor.
Mit zufriedenen Mienen überlas Schnauzer seine Berichtigtmg —
dann wurde er plötzlich ganz blaß und ließ das Blatt sinken.
„Können die Kerle hexen?" murmelte er.
Der Bürger erkundigte sich scheinbar theilnehmend, was den Herrn
Direktor so alterire, und Schnauzer ließ sich zu einigen, mit seiner
„Berichtigung" nicht übereinstintmenden Bekenntnissen herbei.
„Ein Aktenstück, welches ich unter eigenem Verschluß habe. . .
welches einzig an mich gerichtet wurde, denn es ist lediglich auf die
Verhältnisse in unserer Stadt berechnet, eristirt also nicht in mehreren
Ereinplaren... das drucken die Sozialdemokraten in ihre Zeitung!"
„Dann hat man vielleicht das Polizeigebäude mit Röntgenschen
X-Strahlen photographirt ttttb damit alle Geheimnisse herausgeholt",
meinte der zuvorkommende Bürger. ,
Schnauzer achtete nicht auf diesen Spott. Ein schrecklicher Ge-
danke beherrschte ihn. „Man muß einen Einbruch in mein Amtslokal
verübt haben", erklärte er. „Sofort werde ich die Untersuchung eröfsiten."
Er trank seinen Wein nicht aus, sondern stürmte ins Amtsgebäude,
wo sein verfrühtes Erscheinen Verwunderung erregte; Inspektor Klug-
maier eilte herbei, erfuhr von dem schrecklichen Verdacht seines Chefs,
und es erfolgte eine gründliche Betrachtung von Thür, Fenster, Mobiliar
und Aktenmaterial im Direktorialzimmer. Man fand: Alles stand und
lag am gewohnten Orte, nirgends die Spur einer fremden Hand —
aber das verhängnißvolle Aktenstück war wirklich verschwunden, blos der
Umschlag desselben lag noch in demselben Fache, wo er früher gelegen.
Die nächste Maßregel, die Schnauzer anorduete, war eine gründ-
liche Haussuchung in der sozialdemokratischen Redaktion. Das ganze
Haus der „Morgensonne" wurde von Gendarmen umstellt, sechs Kriminal-