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beamte suchten mehrere Stunden im Schweiße
ihres Angesichts. Es war vergeblich. Nichts
wurde gefrmden.
„So muß man den Redakteur ver-
haften", entgegnete Schnauzer. Er hatte
der Staatsanwaltschaft bereits von einem
„großen Aktendiebstahl" gemeldet, dessen
Spuren nach der Redaktion der „Morgensonne" hinwiesen, und bei
den mangelhaften Garantieen für persönliche Freiheit, welche nament-
lich den Sozialdemokraten gegenüber im Lande herrschten, gelang es
Schnauzer leicht, die sofortige Vorführung des Redakteurs vor den
Staatsanwalt zu erwirken. Es handelte sich zunächst um ein Zeugen-
verhör gegen „Unbekannt" — das ist der Mann, den die Nürnberger
nicht zu hängen pflegten, gegen den man aber heutzutage in politischen
Angelegenheiteir häufig prozessirt. Der Redakteur der „Morgensonne"
sollte über die Person dieses „Unbekannt", tvelcher ihn: das geheime
Aktenstück geliefert haben nrußte, Aufschluß geben, widrigenfalls Zeugniß-
|?ftn8 in Aussicht stand. Der Polizeidirektor, als besonders bei der
a(-9e interessirt, wohnte der Vernehmung bei.
Mit sorglosester Miene erschien der Redakteur der „Morgensonne"
dvr dem Staatsanwalt, nahm Platz und gab seine den Behörden längst
^kannten Personalnotizen zu Protokoll.
„Schon bestraft?" fragte der Staatsanwalt.
„Allerdings", antwortete der Redakteur. „Wegen Tadclns öffentlicher
ss^elstairdc, wegen Wahrheitsliebe, wegen Volksaufklärung —"
„Genug" — wurde er unterbrochen; man kam zur Sache, legte
^ „Morgensonne" vor und forderte den Namen des Gewährsmannes,
den geheimen Erlaß an das Blatt geliefert hatte.
„Es ist bei uns üblich, die Namen von Gewährsmännern nur
ln*t deren Einverständniß zu nennen", erklärte der Redakteur.
„Sic müssen ihn angeben, den Dieb, den Räuber, den staats-
ö^ährlichen!" rief Schnauzer dazwischen.
„Da ich die Erlaubniß meines Getvährsmannes in diesem Augen-
^icke besitze", fuhr der Redakteur fort, „so werde ich die Antwort auf
Äre Frage nicht verweigern."
Die Beamten zeigten erstaunte und frohe Mienen.
„Gut also", sagte der Staatsanwalt und gab seinem Schreiber
«neu Wink, dainit er genau protokollire. „Wer setzte Sie also in die
^ 3e' zunächst in einer Ihrer früheren Nummern die Mittheilung
.suchen ju können, es sei ein vertraulicher Erlaß des Ministeriums an
,e hiesige Polizei in Betreff Ihrer Partei ergangen?"
r "Der Herr Polizeidirektor Schnauzer war so liebenswürdig",
,llerftc der Redakteur.
Schnauzer sprang entrüstet von seinem Stuhle auf. Der Staats-
Anwalt aber fuhr fort:
„Erklären Sie das näher."
„Sehr gern; ich hatte neulich eine polizeiliche Vernehmung über
n>e der vielen kleine» Beanstandungen, mit denen die Polizei uns
Kurzweil schafft. Als ich zur Unterzeichnung des
Protokolls an den Schreibtisch des Herrn Direktors
herantrat, lagen dort die soeben eingegangenen Post-
sachen. DaS ministerielle Schreiben lag obenauf,
deshalb mußte ich es sehen."
„Aber es war dann noch geschlossen, Sie sahen
höchstens die Adresse", bemerkte der Staatsanwalt.
„Gewiß", gab der Zeuge zu, „die Adresse
genügte mir als Material für meine Notiz voll-
ständig. Sie nannte Absender und Adressaten, sie
trug die Vernrerke „Vertraulich" und „Betreffend
Sozialdemokratie". Da ich sowohl den Herrn
Minister wie den Herrn Polizeidirektor Schnauzer
genügend kenne, so habe ich kombinirt, daß diese
beiden Herren wahrscheinlich nicht über Verthei-
lung von Landgütern an die Sozialdemokraten,
sondern weit eher über Beschränkung unserer Staats-
bürgerrechte vertraulich korrespondiren werden."
„Unglaublich!" rief Schnauzer dazwischen.
Soviel Kombinationstalent war ihin in seiner
ganzen Amtsthätigkeit noch nicht vorgekommen.
Der Staatsanwalt ließ die Aussage proto-
kolliren und fuhr dann fort: „Sie bringen nun heute den ganzen
Wortlaut des Erlasses, der inzwischen auf räthselhafte Weise verschwunden
ist. Haben Sie den Wortlaut auch kombinirt?"
„O nein, den habe ich direkt vom Original abgedruckt."
„Sie besitzen also das Original?"
„Gewiß, ich habe es in der Tasche!"
„Wo haben Sie es her?"
„Woher anders, als ans dein Bureau des Herrn Direktor
Schnauzer!" Er nahm ein Papier aus der Tasche. „Hier ist das
gesiichtc Schriftstück. Der Polizei-Inspektor Klugmaier brachte es mir
gestern int Aufträge des Herrn Direktors mit der bestimmten Weisung,
es heute in der „Morgensonne" abzudrucken. Diesem Wunsche bin ich
nachgekommen — was
wollen Sie mehr?"
Schnauzer und der
f Staatsanwalt starrten be-
troffen auf das Papier. Die Außenseite ent-
hielt Schnauzers fulminante Berichtigung, die
Innenseiten enthielten den Ministerialerlaß.
Dem Polizeidirektor dämmerte die Lösung des
Räthsels dunkel auf. Er hatte gestern das
Schriftstück hin und her gewendet, um zu sehen, ob eine Berührung
durch frenide Hand vielleicht kenntlich sei. Dabei hatte er die unbe-
schriebenen Seiten nach außen gebracht und später int Eifer, die Berichti-
gung zu formuliren, den scheinbar leeren Bogen benützt 'und so den
geheimen Erlaß selbst in die sozialdemokratische Redaktion gesandt.
„Wenn die Sache so steht, dann können wir das Verhör schließen",
sagte der Staatsanwalt gedehnt.
„O, diese verwünschte Umsturzpartei!" seufzte Schnauzer, dem schon
im Geiste die riesige Nase vorschwebtc, die er aus dein Ministerium
erhalten würde.
Der Redakteur einpfahl sich ihnr freundlichst, indem er noch
bemerkte: „Ich hätte Sic nicht als Gewährsmann genannt, wenn Sie
nicht ausdrücklich diese Namensnennung gewünscht hätten. Bedenken
Sie das und entziehen Sie der „Morgensonne" auch ferner Ihre hoch-
geschätzte Mitarbeiterschaft nicht." M
beamte suchten mehrere Stunden im Schweiße
ihres Angesichts. Es war vergeblich. Nichts
wurde gefrmden.
„So muß man den Redakteur ver-
haften", entgegnete Schnauzer. Er hatte
der Staatsanwaltschaft bereits von einem
„großen Aktendiebstahl" gemeldet, dessen
Spuren nach der Redaktion der „Morgensonne" hinwiesen, und bei
den mangelhaften Garantieen für persönliche Freiheit, welche nament-
lich den Sozialdemokraten gegenüber im Lande herrschten, gelang es
Schnauzer leicht, die sofortige Vorführung des Redakteurs vor den
Staatsanwalt zu erwirken. Es handelte sich zunächst um ein Zeugen-
verhör gegen „Unbekannt" — das ist der Mann, den die Nürnberger
nicht zu hängen pflegten, gegen den man aber heutzutage in politischen
Angelegenheiteir häufig prozessirt. Der Redakteur der „Morgensonne"
sollte über die Person dieses „Unbekannt", tvelcher ihn: das geheime
Aktenstück geliefert haben nrußte, Aufschluß geben, widrigenfalls Zeugniß-
|?ftn8 in Aussicht stand. Der Polizeidirektor, als besonders bei der
a(-9e interessirt, wohnte der Vernehmung bei.
Mit sorglosester Miene erschien der Redakteur der „Morgensonne"
dvr dem Staatsanwalt, nahm Platz und gab seine den Behörden längst
^kannten Personalnotizen zu Protokoll.
„Schon bestraft?" fragte der Staatsanwalt.
„Allerdings", antwortete der Redakteur. „Wegen Tadclns öffentlicher
ss^elstairdc, wegen Wahrheitsliebe, wegen Volksaufklärung —"
„Genug" — wurde er unterbrochen; man kam zur Sache, legte
^ „Morgensonne" vor und forderte den Namen des Gewährsmannes,
den geheimen Erlaß an das Blatt geliefert hatte.
„Es ist bei uns üblich, die Namen von Gewährsmännern nur
ln*t deren Einverständniß zu nennen", erklärte der Redakteur.
„Sic müssen ihn angeben, den Dieb, den Räuber, den staats-
ö^ährlichen!" rief Schnauzer dazwischen.
„Da ich die Erlaubniß meines Getvährsmannes in diesem Augen-
^icke besitze", fuhr der Redakteur fort, „so werde ich die Antwort auf
Äre Frage nicht verweigern."
Die Beamten zeigten erstaunte und frohe Mienen.
„Gut also", sagte der Staatsanwalt und gab seinem Schreiber
«neu Wink, dainit er genau protokollire. „Wer setzte Sie also in die
^ 3e' zunächst in einer Ihrer früheren Nummern die Mittheilung
.suchen ju können, es sei ein vertraulicher Erlaß des Ministeriums an
,e hiesige Polizei in Betreff Ihrer Partei ergangen?"
r "Der Herr Polizeidirektor Schnauzer war so liebenswürdig",
,llerftc der Redakteur.
Schnauzer sprang entrüstet von seinem Stuhle auf. Der Staats-
Anwalt aber fuhr fort:
„Erklären Sie das näher."
„Sehr gern; ich hatte neulich eine polizeiliche Vernehmung über
n>e der vielen kleine» Beanstandungen, mit denen die Polizei uns
Kurzweil schafft. Als ich zur Unterzeichnung des
Protokolls an den Schreibtisch des Herrn Direktors
herantrat, lagen dort die soeben eingegangenen Post-
sachen. DaS ministerielle Schreiben lag obenauf,
deshalb mußte ich es sehen."
„Aber es war dann noch geschlossen, Sie sahen
höchstens die Adresse", bemerkte der Staatsanwalt.
„Gewiß", gab der Zeuge zu, „die Adresse
genügte mir als Material für meine Notiz voll-
ständig. Sie nannte Absender und Adressaten, sie
trug die Vernrerke „Vertraulich" und „Betreffend
Sozialdemokratie". Da ich sowohl den Herrn
Minister wie den Herrn Polizeidirektor Schnauzer
genügend kenne, so habe ich kombinirt, daß diese
beiden Herren wahrscheinlich nicht über Verthei-
lung von Landgütern an die Sozialdemokraten,
sondern weit eher über Beschränkung unserer Staats-
bürgerrechte vertraulich korrespondiren werden."
„Unglaublich!" rief Schnauzer dazwischen.
Soviel Kombinationstalent war ihin in seiner
ganzen Amtsthätigkeit noch nicht vorgekommen.
Der Staatsanwalt ließ die Aussage proto-
kolliren und fuhr dann fort: „Sie bringen nun heute den ganzen
Wortlaut des Erlasses, der inzwischen auf räthselhafte Weise verschwunden
ist. Haben Sie den Wortlaut auch kombinirt?"
„O nein, den habe ich direkt vom Original abgedruckt."
„Sie besitzen also das Original?"
„Gewiß, ich habe es in der Tasche!"
„Wo haben Sie es her?"
„Woher anders, als ans dein Bureau des Herrn Direktor
Schnauzer!" Er nahm ein Papier aus der Tasche. „Hier ist das
gesiichtc Schriftstück. Der Polizei-Inspektor Klugmaier brachte es mir
gestern int Aufträge des Herrn Direktors mit der bestimmten Weisung,
es heute in der „Morgensonne" abzudrucken. Diesem Wunsche bin ich
nachgekommen — was
wollen Sie mehr?"
Schnauzer und der
f Staatsanwalt starrten be-
troffen auf das Papier. Die Außenseite ent-
hielt Schnauzers fulminante Berichtigung, die
Innenseiten enthielten den Ministerialerlaß.
Dem Polizeidirektor dämmerte die Lösung des
Räthsels dunkel auf. Er hatte gestern das
Schriftstück hin und her gewendet, um zu sehen, ob eine Berührung
durch frenide Hand vielleicht kenntlich sei. Dabei hatte er die unbe-
schriebenen Seiten nach außen gebracht und später int Eifer, die Berichti-
gung zu formuliren, den scheinbar leeren Bogen benützt 'und so den
geheimen Erlaß selbst in die sozialdemokratische Redaktion gesandt.
„Wenn die Sache so steht, dann können wir das Verhör schließen",
sagte der Staatsanwalt gedehnt.
„O, diese verwünschte Umsturzpartei!" seufzte Schnauzer, dem schon
im Geiste die riesige Nase vorschwebtc, die er aus dein Ministerium
erhalten würde.
Der Redakteur einpfahl sich ihnr freundlichst, indem er noch
bemerkte: „Ich hätte Sic nicht als Gewährsmann genannt, wenn Sie
nicht ausdrücklich diese Namensnennung gewünscht hätten. Bedenken
Sie das und entziehen Sie der „Morgensonne" auch ferner Ihre hoch-
geschätzte Mitarbeiterschaft nicht." M