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von Carmaux zu provoziren suchten. Der Präfekt
des Departements warf außer der Gendarnierie
noch Militär in den Streikbezirk, über den eine
Art Belagerungszustand verhängt wurde. Er ließ
die Streikkasse mit Beschlag belegen.
Jaures — der seit drei Monaten seine Kraft
so gut wie ausschließlich in den Dienst der
Streikenden gestellt hatte, bald in Carmaux die
Begeisterung frisch anfachend und zur Besonnen-
heit mahnend, bald am anderen Ende Frankreichs
die Sympathie für die Kämpfenden weckend —
Jaures wurde in seinem Hotel überfallen und
behaussucht. Die Polizei beschlagnahmte nicht blos
machen wollte. Der Stadtrath von Paris votirte
ihnen eine Unterstützung von 20 000 Francs, der
Generalrath des Seinedepartements von 10000
Francs. Der Staatsrath annullirte die Be-
schlüsse, wie die Departementspräsekten ähnliche
Voten seitens sozialistischer Gemeinderäthe für
null und nichtig erklärten.
Es war ein offenes Geheimniß, daß die ein-
zelnen Organe der Staatsgewalt zwitscherten, wie
das bis auf die Knochen kapitalistisch gesinnte
Kabinet Ribot sang. Der wirthschaftliche Kampf
zwischen einer Handvoll Glasarbeiter und ihrem
Ausbeuter war zu einem Klassenkampf, zu einem
sie alle schirmend und gegen die Arbeiter hetzend
das Kabinet Ribot. Kläglich nahmen sich den
wuchtigen, von Millerand unterstützten Anklagen
gegenüber die gestotterten Vertheidigungsversuche
des ministeriellen Kleeblatts Ribot, Leygues und
Trarieux aus. Zwar war die kapitalistische Mehr-
heit der Kammer stark genug, um dem Ersuchen
der Regierung entsprechend den Antrag Jaures
zu Fall zu bringen und ein Vertrauensvotum für
das Kabinet durchzudrücken. Aber vor dem Lande
blieb das Ministerium moralisch verurtheilt und
gerichtet. Sein etliche Tage später durch die sozia-
listische Interpellation über das Kleinpanama des
Das Vsnqriel tttt Ärrien.
die politische, sondern auch die private Korrespon-
denz, welche er bei sich trug, den Brief der über
Alles geliebten Mutter einbegriffen, welche den
Sohn mit Worten der Liebe und des Verständ-
nisses stärkte. Ein Schrei der Entrüstung ob
solchen Vorgehens hallte durch die werkthätigcn
Massen Frankreichs und fand ein lautes Echo in
den Kreisen des Kleinbürgerthums, der bürger-
lichen Demokratie. Außer den sozialistischen er-
öffneten nun auch fast alle radikalen bürgerlichen
Blätter Sammellisten für die Glasarbeiter. Die
Menge der Sammclstellen, wo in Paris „der
Streiksou" entgegeugcnommen wurde, war zahl-
los. In den proletarischen Kreisen offenbarte sich
eine rührende, glänzende Opferfreudigkeit, aber
auch bürgerliche Elenrente trugen reichlich zu den
Sammlungen bei. In weniger als einem Monat
wurden über 60000 Francs Denen gesendet,
welche der Protz Resseguier durch Hunger kirre
politischen Kampf zwischen Proletariat und Bour-
geoisie geworden. Das Parlament wurde natur-
geinäß zum Blachfeld, in dem Arbeiterrecht und
Kapitalistenmacht sich miteinander maßen. Jaures,
der feurige Tribun der Enterbten, brachte in der
Kanimcr eine Interpellation über die Vorgänge
in Carmaux ein und forderte im Namen der
Glasarbeiter die Einsetzung eines Schiedsgerichts.
Der Kammerpräsident, der Radikale Brisson,
sollte den Vorsitz übernehmen, die Regierung aber
sollte Herrn Resseguier auffordern, in ein Schieds-
gericht zu willigen und wie die Arbeiter sich seinem
Spruch zu unterwerfen. Meisterhaft rollte Jaures
die Frage auf, „die ewige Gerechtigkeit schien
durch seinen Mund zu sprechen". Seine Inter-
pellation verwandelte sich in eine Anklage. Ueber-
wältigend wies er als Schuldige an dem Kon-
flikt nach: den rücksichtslosen, herrschgewohnteu
Ausbeuter, die Behörden des Departements und
Südbahnskandals bewirkter Sturz vollendete nur,
was die Interpellation über seine Haltung in
Sachen des Streiks von Carmaux begonnen.
Das folgende radikale Kabinet Bourgeois be-
obachtete den kämpfenden Glasarbeitern gegen-
über eine wohlwollende Neutralität. Es machte
alle provokatorischen Maßregeln des Ministeriums
Ribot rückgängig, gab den Streikfonds frei, hob
die Verfügungen betreffs der Unterstützungen der
Gemeinde- und Generalräthe auf rc. Der Prä-
fekt des Departements ersuchte nun das Streik-
komite, mit ihm zusammen über Mittel zur Bei-
legung des Konflikts zu berathen. Der Minister
des Innern forderte Resseguier auf, den vierten
Schmelzofen wieder anzuzünden. Gestützt auf das
Gesetz vom 27. Dezember 1892 über Schieds-
und Einigungsämtcr, empfahl die Regierung den«
Direktor, in die Einsetzung eines Schiedsgerichts
zu willigen. Resseguier wies das Ersuchen zurück.
Fortsetzung siehe Seite 23t.
von Carmaux zu provoziren suchten. Der Präfekt
des Departements warf außer der Gendarnierie
noch Militär in den Streikbezirk, über den eine
Art Belagerungszustand verhängt wurde. Er ließ
die Streikkasse mit Beschlag belegen.
Jaures — der seit drei Monaten seine Kraft
so gut wie ausschließlich in den Dienst der
Streikenden gestellt hatte, bald in Carmaux die
Begeisterung frisch anfachend und zur Besonnen-
heit mahnend, bald am anderen Ende Frankreichs
die Sympathie für die Kämpfenden weckend —
Jaures wurde in seinem Hotel überfallen und
behaussucht. Die Polizei beschlagnahmte nicht blos
machen wollte. Der Stadtrath von Paris votirte
ihnen eine Unterstützung von 20 000 Francs, der
Generalrath des Seinedepartements von 10000
Francs. Der Staatsrath annullirte die Be-
schlüsse, wie die Departementspräsekten ähnliche
Voten seitens sozialistischer Gemeinderäthe für
null und nichtig erklärten.
Es war ein offenes Geheimniß, daß die ein-
zelnen Organe der Staatsgewalt zwitscherten, wie
das bis auf die Knochen kapitalistisch gesinnte
Kabinet Ribot sang. Der wirthschaftliche Kampf
zwischen einer Handvoll Glasarbeiter und ihrem
Ausbeuter war zu einem Klassenkampf, zu einem
sie alle schirmend und gegen die Arbeiter hetzend
das Kabinet Ribot. Kläglich nahmen sich den
wuchtigen, von Millerand unterstützten Anklagen
gegenüber die gestotterten Vertheidigungsversuche
des ministeriellen Kleeblatts Ribot, Leygues und
Trarieux aus. Zwar war die kapitalistische Mehr-
heit der Kammer stark genug, um dem Ersuchen
der Regierung entsprechend den Antrag Jaures
zu Fall zu bringen und ein Vertrauensvotum für
das Kabinet durchzudrücken. Aber vor dem Lande
blieb das Ministerium moralisch verurtheilt und
gerichtet. Sein etliche Tage später durch die sozia-
listische Interpellation über das Kleinpanama des
Das Vsnqriel tttt Ärrien.
die politische, sondern auch die private Korrespon-
denz, welche er bei sich trug, den Brief der über
Alles geliebten Mutter einbegriffen, welche den
Sohn mit Worten der Liebe und des Verständ-
nisses stärkte. Ein Schrei der Entrüstung ob
solchen Vorgehens hallte durch die werkthätigcn
Massen Frankreichs und fand ein lautes Echo in
den Kreisen des Kleinbürgerthums, der bürger-
lichen Demokratie. Außer den sozialistischen er-
öffneten nun auch fast alle radikalen bürgerlichen
Blätter Sammellisten für die Glasarbeiter. Die
Menge der Sammclstellen, wo in Paris „der
Streiksou" entgegeugcnommen wurde, war zahl-
los. In den proletarischen Kreisen offenbarte sich
eine rührende, glänzende Opferfreudigkeit, aber
auch bürgerliche Elenrente trugen reichlich zu den
Sammlungen bei. In weniger als einem Monat
wurden über 60000 Francs Denen gesendet,
welche der Protz Resseguier durch Hunger kirre
politischen Kampf zwischen Proletariat und Bour-
geoisie geworden. Das Parlament wurde natur-
geinäß zum Blachfeld, in dem Arbeiterrecht und
Kapitalistenmacht sich miteinander maßen. Jaures,
der feurige Tribun der Enterbten, brachte in der
Kanimcr eine Interpellation über die Vorgänge
in Carmaux ein und forderte im Namen der
Glasarbeiter die Einsetzung eines Schiedsgerichts.
Der Kammerpräsident, der Radikale Brisson,
sollte den Vorsitz übernehmen, die Regierung aber
sollte Herrn Resseguier auffordern, in ein Schieds-
gericht zu willigen und wie die Arbeiter sich seinem
Spruch zu unterwerfen. Meisterhaft rollte Jaures
die Frage auf, „die ewige Gerechtigkeit schien
durch seinen Mund zu sprechen". Seine Inter-
pellation verwandelte sich in eine Anklage. Ueber-
wältigend wies er als Schuldige an dem Kon-
flikt nach: den rücksichtslosen, herrschgewohnteu
Ausbeuter, die Behörden des Departements und
Südbahnskandals bewirkter Sturz vollendete nur,
was die Interpellation über seine Haltung in
Sachen des Streiks von Carmaux begonnen.
Das folgende radikale Kabinet Bourgeois be-
obachtete den kämpfenden Glasarbeitern gegen-
über eine wohlwollende Neutralität. Es machte
alle provokatorischen Maßregeln des Ministeriums
Ribot rückgängig, gab den Streikfonds frei, hob
die Verfügungen betreffs der Unterstützungen der
Gemeinde- und Generalräthe auf rc. Der Prä-
fekt des Departements ersuchte nun das Streik-
komite, mit ihm zusammen über Mittel zur Bei-
legung des Konflikts zu berathen. Der Minister
des Innern forderte Resseguier auf, den vierten
Schmelzofen wieder anzuzünden. Gestützt auf das
Gesetz vom 27. Dezember 1892 über Schieds-
und Einigungsämtcr, empfahl die Regierung den«
Direktor, in die Einsetzung eines Schiedsgerichts
zu willigen. Resseguier wies das Ersuchen zurück.
Fortsetzung siehe Seite 23t.