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^As~ Den Reichen. DvD--
Die ihr mit Salbung sprecht: „Der Arinuth Last
wird leicht, wenn inan genügsam sich bescheiöet",
wie schön euch diese graue Weisheit kleidet,
Derweilen ihr am Mahl des Glückes praßt!
Mag sein, daß euch ein Armer drum nicht haßt,
wenn ihr den Blick an goldnen Schätzen weidet,
Daß er genügsam Frost und junger leidet
Und sich in mancher Noch ergeben faßt.
Doch wie sich auch der Leib begnügen mag,
Der Geist flucht seinem Schicksal jeden Tag,
wenn Armuth ihn in ew'ge Retten zwingt.
Er sieht, wie frei und leicht sich aufwärts schwingt
Manch andrer Geist, und tief im Herzen schreit
Mit heißen Dualen auf gerechter Neid.
Gegen die Trunksucht.
Line staatsrechtliche Abhandlung.
[er „Verein zur Vertilgung geistiger Getränke" hat
eine Agitation für die Wieder-Einbringung des
Trunksnchtsgesetzes beschlossen, welches seiner Zeit
wie ein echter Trinker unter den Tisch gefallen ist.
Wir können dieses Vorgehen nur korrekt fin-
den, denn in einer Zeit, in welcher alles geistige
Leben unter der strengsten Fuchtel steht, sehen
wir nicht ein, warum gerade die geistigen Ge-
tränke allein noch Freiheit genießen sollen.
In welcher Weise die Sache in Angriff zn nehmen ist, darüber
kann wohl kein Zweifel herrschen. Man muß das Nebel bei der Wurzel
packen und vor Allem den Vätern der geistigen Getränke, den Schnaps-
brennern, zu Leibe gehen. Dieselben bezogen bisher für ihre „Be-
geisterung" der Menschheit eine Liebesgabe von vielen Millionen aus
der Staatskasse. Das muß natürlich anders werden. Die Liebesgabe
wird konfiszirt und die Brenner selbst lverden in Besserungs-Anstalten
untergebracht, wo ihnen das Schnapsbrennen abzugewöhnen ist.
Da sich jedoch die Trunksucht nicht auf Schnaps allein beschränkt,
sondern in noch viel höherem Maße Wein und besonders Champagner
zur Erzeugung eines Rausches benutzt wird, so muß das Gesetz auch
die Trinker schwerer Weine strengstens überwachen. Wie man nach
aufklärenden Schriften haussucht, so sollten auch die Keller nach Wein
abgesucht werden, rind wenn mau beispielsweise in den Kellern des Königs
Stumm etwas Anderes fäirde, als Grüneberger Schattenseite, so müßte
er wegen Vorbereitung zu einem Brande nlindestens drei Monate Kaffce-
düten kleben, damit er auf nüchterne Gedanken kälne.
Es ist schon in dem früheren Trnnksuchts-Gesctzentlvurf der Vor-
schlag gemacht worden, daß Gewohnheitstrinker entmündigt
werden sollen. Das ist ein großartiger Gedanke, der den Schlüssel
bietet, um allerlei Schwierigkeiten spielend zu lösen. Bekanntlich ist
jeder Mensch ein Gewohnheitstrinker, beim es hat noch Niemand vor
seinem Tode der Gewohnheit des Trinkens entsagt. Wenn nun z. B.
ein Reichstag Beschlüsse faßt, die der Negierung unangenehm sind, so
kann man die Mitglieder der Majorität einfach als Gewohnheitstrinker
entmündigen, dann sind ihre Mandate ungiltig. Wenn ein Redakteur
unangenehme Wahrheiten veröffentlicht, entmündigt man ihn als
Gewohnheitstrinker; wenn irgendwelche Stadtvätcr kein Geld zu Kirchen-
bauten bewilligen, braucht man sie nicht erst als Kameele zn verewigen,
sondern sie verfallen als Gewohnheitstrinker der Strenge des Gesetzes.
Nur eine bedenkliche Seite hat die Unterdrückung der geistigen
Getränke, und das ist die Kolonialpolitik. Wenn wir den Schnaps
mcht mehr als preußische Kulturmacht anerkennen, dann können wir
ihn auch nicht mehr nach Afrika senden. Und wenn die Afrikaner keinen
Schnaps mehr kriegen, so werden sie uns den Rücken zukehren, denn
unsere übrigen Vorzüge imponireu ihnen begreiflicherweise nicht.
Diese Seite der Sache möge der Verein zur Vertilgung geistiger
Getränke noch einmal gründlich erwägen, bevor er seine große Aktion
gegen den Spiritus beginnt.
Der heruntergekommene Toö.
Line Phantasie.
s in der Welt hat sein Anpassungs-
vermögen !" Ich blickte verwundert auf,
als mir dieser Satz plötzlich in die
Ohren schlug. Seltsam, dachte
ich mir, in dieser gott-
verlassenen Kneipe einen
Philosophen zu finden.
Das war ich bisher
nicht gewohnt gewesen.
Hier verkehrte ja aller-
lei Zeug, gutmüthige
alte Spießbürger mit
ihren breiten behäbigen
Mäulern, alte Känze,
die ehemals im hoch-
löblichen Rath gesessen
hatten und die aller-
höchsten „Güter der
Nation" erwogen, fidele
Studenten, besonders
um die Mitternachts-
stunde, und schließlich eine
Horde von sozusagen Künstlern,
die zwar, so alt sie waren, ihr großes
Lebenswerk bisher noch nicht geschaffen
hatten, aber täglich versicherten, daß sie nahe
daran seien, es jetzt allmälig zu beginnen.
Also diese Gesellschaft kannte ich. Aber ein Philo-
soph war bisher nicht darunter gewesen.
Und nochmals hörte ich es, deutlich und vernehmbar: „Alles in
der Welt hat sein Anpassungsvermögen!"
Nun allerdings mußte ich mich völlig aus meiner faulen Lage in
der Ecke aufrichten und umwenden. Und beinahe hätte ich hellauf ge-
lacht. Vor mir saß ein elegant gekleideter Herr. Soviel sah ich auf
den ersten Blick: hellen, großkarrirten Anzug, der noch nach dem Schneider
roch, ebenso hellen, unmöglichen Hut, hohen, unendlich hohen Stehkragen,
Monocle mit breitem, schwarzem, baumelndem Band, unsinnig rothen,
leuchtenden, grellen Shlips — also ein Prachtexemplar.
Merkwürdig war aber auch, daß man vom Gesicht nichts Rechtes
entdecken konnte. Den Hut hatte er so tief in die Stirne herabgedrückt
und der Stehkragen stand so hoch nach oben, daß nur ein winzig
schmaler Zwischenraum blieb, aus dem zwei hohle dunkle Augen glühten:
ein Auge mit dem Monocle bewaffnet. Und der Mensch begann mich
zu interessiren. Eine Weile beobachtete ich ihn scharf, ohne daß er es
zu bemerken schien. Unverwandt sah er auf sein noch vollgefülltes
Glas nieder. Und dann bewegte sich plötzlich wieder etwas unter dem
Kragen und dumpf klang es hervor, diesmal noch schmerzlicher und
verzweifelter als früher:
„Alles in der Welt hat sein Anpassungsvermögen!"
Nun belustigte mich die Geschichte. Ich beugte mich weit über
den Tisch vor und sagte halblaut:
„Herr, wie meinen Sie das?"
Mein vis-ä-vis zuckte merklich zusammen. Wahrscheinlich hatte
er nicht erwartet, daß Jemand sein Selbstgespräch belausche. Ich hoffte
schon, daß er mich anblicken werde, um zu sehen, wer ihn denn eigentlich
in seinem Gedankengang störe. Aber das that er nicht. Er beugte
sich noch tiefer auf den Tisch, stützte den Kopf auf den rechten Arm
und seufzte:
„Hm-ja!"
Dieser rechte Arm hatte etwas recht Sonderbares. Bei einem
gesunden lebenden Menschen hatte ich noch nie einen so dürren, unge-
heuer langen rechten Arm gesehen. Blos von meiner Großmutter wußte
ich einen ähnlichen zu verzeichnen. Aber meine Großmutter war da-
mals achtzig Jahre alt.
Eine Weile schwieg mein seltsamer Tischgenosse. Offenbar suchte er
seine tiefsinnige Theorie vom Anpassungsvermögen nach allen Richtungen
durchzudenken. Als mir das aber zu lange dauerte, versuchte ich noch-
^As~ Den Reichen. DvD--
Die ihr mit Salbung sprecht: „Der Arinuth Last
wird leicht, wenn inan genügsam sich bescheiöet",
wie schön euch diese graue Weisheit kleidet,
Derweilen ihr am Mahl des Glückes praßt!
Mag sein, daß euch ein Armer drum nicht haßt,
wenn ihr den Blick an goldnen Schätzen weidet,
Daß er genügsam Frost und junger leidet
Und sich in mancher Noch ergeben faßt.
Doch wie sich auch der Leib begnügen mag,
Der Geist flucht seinem Schicksal jeden Tag,
wenn Armuth ihn in ew'ge Retten zwingt.
Er sieht, wie frei und leicht sich aufwärts schwingt
Manch andrer Geist, und tief im Herzen schreit
Mit heißen Dualen auf gerechter Neid.
Gegen die Trunksucht.
Line staatsrechtliche Abhandlung.
[er „Verein zur Vertilgung geistiger Getränke" hat
eine Agitation für die Wieder-Einbringung des
Trunksnchtsgesetzes beschlossen, welches seiner Zeit
wie ein echter Trinker unter den Tisch gefallen ist.
Wir können dieses Vorgehen nur korrekt fin-
den, denn in einer Zeit, in welcher alles geistige
Leben unter der strengsten Fuchtel steht, sehen
wir nicht ein, warum gerade die geistigen Ge-
tränke allein noch Freiheit genießen sollen.
In welcher Weise die Sache in Angriff zn nehmen ist, darüber
kann wohl kein Zweifel herrschen. Man muß das Nebel bei der Wurzel
packen und vor Allem den Vätern der geistigen Getränke, den Schnaps-
brennern, zu Leibe gehen. Dieselben bezogen bisher für ihre „Be-
geisterung" der Menschheit eine Liebesgabe von vielen Millionen aus
der Staatskasse. Das muß natürlich anders werden. Die Liebesgabe
wird konfiszirt und die Brenner selbst lverden in Besserungs-Anstalten
untergebracht, wo ihnen das Schnapsbrennen abzugewöhnen ist.
Da sich jedoch die Trunksucht nicht auf Schnaps allein beschränkt,
sondern in noch viel höherem Maße Wein und besonders Champagner
zur Erzeugung eines Rausches benutzt wird, so muß das Gesetz auch
die Trinker schwerer Weine strengstens überwachen. Wie man nach
aufklärenden Schriften haussucht, so sollten auch die Keller nach Wein
abgesucht werden, rind wenn mau beispielsweise in den Kellern des Königs
Stumm etwas Anderes fäirde, als Grüneberger Schattenseite, so müßte
er wegen Vorbereitung zu einem Brande nlindestens drei Monate Kaffce-
düten kleben, damit er auf nüchterne Gedanken kälne.
Es ist schon in dem früheren Trnnksuchts-Gesctzentlvurf der Vor-
schlag gemacht worden, daß Gewohnheitstrinker entmündigt
werden sollen. Das ist ein großartiger Gedanke, der den Schlüssel
bietet, um allerlei Schwierigkeiten spielend zu lösen. Bekanntlich ist
jeder Mensch ein Gewohnheitstrinker, beim es hat noch Niemand vor
seinem Tode der Gewohnheit des Trinkens entsagt. Wenn nun z. B.
ein Reichstag Beschlüsse faßt, die der Negierung unangenehm sind, so
kann man die Mitglieder der Majorität einfach als Gewohnheitstrinker
entmündigen, dann sind ihre Mandate ungiltig. Wenn ein Redakteur
unangenehme Wahrheiten veröffentlicht, entmündigt man ihn als
Gewohnheitstrinker; wenn irgendwelche Stadtvätcr kein Geld zu Kirchen-
bauten bewilligen, braucht man sie nicht erst als Kameele zn verewigen,
sondern sie verfallen als Gewohnheitstrinker der Strenge des Gesetzes.
Nur eine bedenkliche Seite hat die Unterdrückung der geistigen
Getränke, und das ist die Kolonialpolitik. Wenn wir den Schnaps
mcht mehr als preußische Kulturmacht anerkennen, dann können wir
ihn auch nicht mehr nach Afrika senden. Und wenn die Afrikaner keinen
Schnaps mehr kriegen, so werden sie uns den Rücken zukehren, denn
unsere übrigen Vorzüge imponireu ihnen begreiflicherweise nicht.
Diese Seite der Sache möge der Verein zur Vertilgung geistiger
Getränke noch einmal gründlich erwägen, bevor er seine große Aktion
gegen den Spiritus beginnt.
Der heruntergekommene Toö.
Line Phantasie.
s in der Welt hat sein Anpassungs-
vermögen !" Ich blickte verwundert auf,
als mir dieser Satz plötzlich in die
Ohren schlug. Seltsam, dachte
ich mir, in dieser gott-
verlassenen Kneipe einen
Philosophen zu finden.
Das war ich bisher
nicht gewohnt gewesen.
Hier verkehrte ja aller-
lei Zeug, gutmüthige
alte Spießbürger mit
ihren breiten behäbigen
Mäulern, alte Känze,
die ehemals im hoch-
löblichen Rath gesessen
hatten und die aller-
höchsten „Güter der
Nation" erwogen, fidele
Studenten, besonders
um die Mitternachts-
stunde, und schließlich eine
Horde von sozusagen Künstlern,
die zwar, so alt sie waren, ihr großes
Lebenswerk bisher noch nicht geschaffen
hatten, aber täglich versicherten, daß sie nahe
daran seien, es jetzt allmälig zu beginnen.
Also diese Gesellschaft kannte ich. Aber ein Philo-
soph war bisher nicht darunter gewesen.
Und nochmals hörte ich es, deutlich und vernehmbar: „Alles in
der Welt hat sein Anpassungsvermögen!"
Nun allerdings mußte ich mich völlig aus meiner faulen Lage in
der Ecke aufrichten und umwenden. Und beinahe hätte ich hellauf ge-
lacht. Vor mir saß ein elegant gekleideter Herr. Soviel sah ich auf
den ersten Blick: hellen, großkarrirten Anzug, der noch nach dem Schneider
roch, ebenso hellen, unmöglichen Hut, hohen, unendlich hohen Stehkragen,
Monocle mit breitem, schwarzem, baumelndem Band, unsinnig rothen,
leuchtenden, grellen Shlips — also ein Prachtexemplar.
Merkwürdig war aber auch, daß man vom Gesicht nichts Rechtes
entdecken konnte. Den Hut hatte er so tief in die Stirne herabgedrückt
und der Stehkragen stand so hoch nach oben, daß nur ein winzig
schmaler Zwischenraum blieb, aus dem zwei hohle dunkle Augen glühten:
ein Auge mit dem Monocle bewaffnet. Und der Mensch begann mich
zu interessiren. Eine Weile beobachtete ich ihn scharf, ohne daß er es
zu bemerken schien. Unverwandt sah er auf sein noch vollgefülltes
Glas nieder. Und dann bewegte sich plötzlich wieder etwas unter dem
Kragen und dumpf klang es hervor, diesmal noch schmerzlicher und
verzweifelter als früher:
„Alles in der Welt hat sein Anpassungsvermögen!"
Nun belustigte mich die Geschichte. Ich beugte mich weit über
den Tisch vor und sagte halblaut:
„Herr, wie meinen Sie das?"
Mein vis-ä-vis zuckte merklich zusammen. Wahrscheinlich hatte
er nicht erwartet, daß Jemand sein Selbstgespräch belausche. Ich hoffte
schon, daß er mich anblicken werde, um zu sehen, wer ihn denn eigentlich
in seinem Gedankengang störe. Aber das that er nicht. Er beugte
sich noch tiefer auf den Tisch, stützte den Kopf auf den rechten Arm
und seufzte:
„Hm-ja!"
Dieser rechte Arm hatte etwas recht Sonderbares. Bei einem
gesunden lebenden Menschen hatte ich noch nie einen so dürren, unge-
heuer langen rechten Arm gesehen. Blos von meiner Großmutter wußte
ich einen ähnlichen zu verzeichnen. Aber meine Großmutter war da-
mals achtzig Jahre alt.
Eine Weile schwieg mein seltsamer Tischgenosse. Offenbar suchte er
seine tiefsinnige Theorie vom Anpassungsvermögen nach allen Richtungen
durchzudenken. Als mir das aber zu lange dauerte, versuchte ich noch-