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mals anzuknüpfen, und diesmal bemühte ich mich, trotz der späten
Nachtstunde, einen wohlgeformten Satz zu konstruiren.
„Mein Herr!" sagte ich, „wenn Sie mir erklären wollten, was
es bedeutet, daß Alles in der Welt sein Anpassungsvermögen haben
soll, so würde ich Ihnen sehr dafür verbunden sei». Ich denke nämlich
gerade das Gegentheil: man kann sich an so ziemlich
nichts im Leben anpassen, vorausgesetzt, daß man
kein Hofrath ist."
Das wirkte, Mein Nachbar fuhr, wie von einer
Nadel gestochen, auf:
„Hofrath, sagen Sie? Seit drei Jahren habe
ich keinen einzigen Hofrath geholt. Diese Menschen-
sorte scheint ewig leben zu wollen."
Nun, ich muß gestehen, daß ich diese Antwort
am allerwenigsten erwartet hätte. Und verständlich
klang sie gerade auch nicht. Er hätte seit drei
Jahren keinen Hofrath geholt! Warum sollte er
denn einen holen? Und was ging es ihn an, wenn
Hofräthe ewig leben wollen? Dazu bekommen sie
ja ihre Pension, sobald sie in Ruhestand versetzt
werden. Ich hatte schon Lust aufzufahren, denn es
schien mir fast, als wollte mich dieser Mensch zum
Besten haben oder mindestens selbst für einen Hof-
rath halten. Dagegen hätte ich mich gründlich ge-
wehrt. Aber im Moment überlegte ich eS mir.
Wer weiß, dachte ich, was hinter diesem Kuriosum
stecken niag. Und dementsprechend erwiderte ich:
„Ich bedaure allerdings lebhaft, daß Sie,
verehrter Herr, seit drei Jahren keine Gelegenheit
gehabt haben, einen Hofrath zu holen. Aber das
giebt mir noch immer keinen Aufschluß darüber,
warum —"
„Ach, zum Teufel! Drei Jahre sind wohl
eine Kleinigkeit — für mich wenigstens —, aber
warten Sie drei Jahre auf eine Sache! Mir wird
es zu langweilig. Und wenn das noch alles wäre!
Es ist zum Lachen! Ueberall geht das Geschäft
schief. Früher gab es noch an allen Ecken und
Enden vollauf Arbeit. Da waren Kriege und Pest
und Hungersnoth und Raub und Todtschlag
und Gift und Dolche. Humbug! Heut-
zutage kennt man solche Sachen nur
mehr in Kolportage-Romanen. Aber
die bringen mir nichts ein. Früher
stürzte sich jeder unglücklich Liebende
in ein bereitstehendes Schwert oder
in einen vorbeifließenden Fluß. Hum-
bug! Heutzutage fällt das Keinem
mehr ein. Die Schurken sind im
Gegentheil froh, wenn sie von der
Einen loskommen. Und ein zweites
Mal passirt ihnen überhaupt nichts
Unglückliches mehr. Und so geht cs
überall — ach, du lieber Himmel."
Nun nahm er sein Glas und
trank es auf einen Zug aus. Dabei
fiel mir auf, daß seine Finger ent-
setzlich dürr waren; man hätte bei-
nahe sagen können, so dürr, wie
von eineni Skelett. Als er merkte,
daß ich dies beobachte, zog er fast
verschämt die Hand unter den Tisch zurück und sagte gleichsam zur
Entschuldigung:
„Das kommt von dem schlechten Geschäft!"
Ich aber war nun nicht klüger geworden. Was für ein Geschäft
mochte der wohl treiben? Dein Anzug nach zu schließen, doch gar
keines. Ich musterte ihn von Neucin.
Diese Dürre! Diese Länge! Kann ein normaler lebender Mensch
so lang und dürr sein? Es überkam mich ein seltsaines Unbehagen.
Mir ivar'S, als wäre ich dem Individuum schon früher öfter begegnet.
Wann und wo aber, daS konnte ich nicht sagen.
„He, Herr Wirth! Noch ein Glas!" rief er nun und klapperte
mit seinen Fingern auf dem Zinndeckel. Das klang wie Knochen auf
dem Metall. Und auch beim Sprechen, das merkte ich schon längst,
machte er ein so sonderbares Geräusch mit den Kinn-
laden. Hm, das konnte Gewohnheit sein.
Der Wirth brachte nun ein frisches Glas und
niein Fremder trank es mit sichtbarem Behagen auf
einen einzigen Zug aus, wobei es mir vorkam, als
schütte er das Bier eigentlich in seinen Kragen hinein,
denn von einem Mund war nichts zu sehen. Und
nun faßte ich mir nochmals Muth; ich mußte
etwas aus diesem Menschen herausbringen.
„Mein lieber Herr," sagte ich, „Sie haben mir
noch immer nicht erklärt, Ivarum —"
„Ach ja! Das ist doch einfach! Sehen Sie,
in früheren Zeiten, da ging ich, in Griechenland
zum Beispiel, in meiner Jugendzeit strotzend vor
Kraft und Gesundheit umher, mit dem reizenden
Himation bekleidet. Dauials hatte Niemand Abscheu
vor mir und die Leute liefen mir schaarenweise nach.
Damals war der Tod noch schön! Aber dann kam
das unglückliche Christenthum. Das schrieb völlige
Bekleidungslosigkeit für mich vor, Knochengerüste,
Sense und, blos bei großer Kälte, einen schwarzen,
rückwärts nachgeschleppten Mantel. Sehen Sie, das
war bitter. Sie glauben nicht, wie lange ich mich
trainiren mußte, bis ich die nöthige Magerkeit erhielt,
die mich so herunterbrachte. Aber nicht genug, die
Zeiten haben sich inzwischen wieder geändert. Mit
der Bekleidungslosigkeit und mit der Sense ist kein
Geschäft mehr zu machen. Die paar Kriege in
diesem Jahrhundert und die Cholera — was hat
das bei meinem Appetit zu bedeuten! Eine Bitt-
schrift nach der anderen reichte ich ein: An-
fangs half es nichts; man wollte mir aus
mythologischen Gründen keine Kleider zu-
gestehen. Erst nach fünfzig Jahren gab man
nach, wahrscheinlich deshalb, weil dem Kon-
sortium endlich selbst die Zahl derer, die ich
zu holen verniochte, allzu gering erschien.
Und nun denken Sie sich: eines Tages schickte
man mir diesen Anzug. Ich war sprach-
los. Aber das sei das Neueste,
meinte
noch
man; das mache
Effekt. Ja freilich,
:! — Und nun habe
ich mich in die neue Klei-
dung hineingefunden. Be-
greifen Sie jetzt, warum
ich früher sagte: Alles in
der Welt hat sein An-
passungsvermögen. Herr
Wirth, zahlen! Nun will
ich noch schnell einen Rund-
gang machen, vielleicht fällt
noch irgend ein schäbiger
Bissen heute für mich ab.
— Es ist ein Glück, daß
eS noch Türken und Arme-
nier giebt; sie sind mir neben den Spaniern die liebsten."
Er zahlte und stand auf. Ich war wie betäubt. Rasselnd schlugen
die Knochen des wunderlichen Kauzes zusammen, als er sich vor mir
verbeugte, das Monocle mit einem klappernden Druck unter dem Hute
befestigte und sagte:
„Hoffentlich sehen mir zwei uns noch einmal wieder."
Dann rasselte er mit müdem, schleppendein Gang zur Thüre
hinaus. 8. Macasy.
mals anzuknüpfen, und diesmal bemühte ich mich, trotz der späten
Nachtstunde, einen wohlgeformten Satz zu konstruiren.
„Mein Herr!" sagte ich, „wenn Sie mir erklären wollten, was
es bedeutet, daß Alles in der Welt sein Anpassungsvermögen haben
soll, so würde ich Ihnen sehr dafür verbunden sei». Ich denke nämlich
gerade das Gegentheil: man kann sich an so ziemlich
nichts im Leben anpassen, vorausgesetzt, daß man
kein Hofrath ist."
Das wirkte, Mein Nachbar fuhr, wie von einer
Nadel gestochen, auf:
„Hofrath, sagen Sie? Seit drei Jahren habe
ich keinen einzigen Hofrath geholt. Diese Menschen-
sorte scheint ewig leben zu wollen."
Nun, ich muß gestehen, daß ich diese Antwort
am allerwenigsten erwartet hätte. Und verständlich
klang sie gerade auch nicht. Er hätte seit drei
Jahren keinen Hofrath geholt! Warum sollte er
denn einen holen? Und was ging es ihn an, wenn
Hofräthe ewig leben wollen? Dazu bekommen sie
ja ihre Pension, sobald sie in Ruhestand versetzt
werden. Ich hatte schon Lust aufzufahren, denn es
schien mir fast, als wollte mich dieser Mensch zum
Besten haben oder mindestens selbst für einen Hof-
rath halten. Dagegen hätte ich mich gründlich ge-
wehrt. Aber im Moment überlegte ich eS mir.
Wer weiß, dachte ich, was hinter diesem Kuriosum
stecken niag. Und dementsprechend erwiderte ich:
„Ich bedaure allerdings lebhaft, daß Sie,
verehrter Herr, seit drei Jahren keine Gelegenheit
gehabt haben, einen Hofrath zu holen. Aber das
giebt mir noch immer keinen Aufschluß darüber,
warum —"
„Ach, zum Teufel! Drei Jahre sind wohl
eine Kleinigkeit — für mich wenigstens —, aber
warten Sie drei Jahre auf eine Sache! Mir wird
es zu langweilig. Und wenn das noch alles wäre!
Es ist zum Lachen! Ueberall geht das Geschäft
schief. Früher gab es noch an allen Ecken und
Enden vollauf Arbeit. Da waren Kriege und Pest
und Hungersnoth und Raub und Todtschlag
und Gift und Dolche. Humbug! Heut-
zutage kennt man solche Sachen nur
mehr in Kolportage-Romanen. Aber
die bringen mir nichts ein. Früher
stürzte sich jeder unglücklich Liebende
in ein bereitstehendes Schwert oder
in einen vorbeifließenden Fluß. Hum-
bug! Heutzutage fällt das Keinem
mehr ein. Die Schurken sind im
Gegentheil froh, wenn sie von der
Einen loskommen. Und ein zweites
Mal passirt ihnen überhaupt nichts
Unglückliches mehr. Und so geht cs
überall — ach, du lieber Himmel."
Nun nahm er sein Glas und
trank es auf einen Zug aus. Dabei
fiel mir auf, daß seine Finger ent-
setzlich dürr waren; man hätte bei-
nahe sagen können, so dürr, wie
von eineni Skelett. Als er merkte,
daß ich dies beobachte, zog er fast
verschämt die Hand unter den Tisch zurück und sagte gleichsam zur
Entschuldigung:
„Das kommt von dem schlechten Geschäft!"
Ich aber war nun nicht klüger geworden. Was für ein Geschäft
mochte der wohl treiben? Dein Anzug nach zu schließen, doch gar
keines. Ich musterte ihn von Neucin.
Diese Dürre! Diese Länge! Kann ein normaler lebender Mensch
so lang und dürr sein? Es überkam mich ein seltsaines Unbehagen.
Mir ivar'S, als wäre ich dem Individuum schon früher öfter begegnet.
Wann und wo aber, daS konnte ich nicht sagen.
„He, Herr Wirth! Noch ein Glas!" rief er nun und klapperte
mit seinen Fingern auf dem Zinndeckel. Das klang wie Knochen auf
dem Metall. Und auch beim Sprechen, das merkte ich schon längst,
machte er ein so sonderbares Geräusch mit den Kinn-
laden. Hm, das konnte Gewohnheit sein.
Der Wirth brachte nun ein frisches Glas und
niein Fremder trank es mit sichtbarem Behagen auf
einen einzigen Zug aus, wobei es mir vorkam, als
schütte er das Bier eigentlich in seinen Kragen hinein,
denn von einem Mund war nichts zu sehen. Und
nun faßte ich mir nochmals Muth; ich mußte
etwas aus diesem Menschen herausbringen.
„Mein lieber Herr," sagte ich, „Sie haben mir
noch immer nicht erklärt, Ivarum —"
„Ach ja! Das ist doch einfach! Sehen Sie,
in früheren Zeiten, da ging ich, in Griechenland
zum Beispiel, in meiner Jugendzeit strotzend vor
Kraft und Gesundheit umher, mit dem reizenden
Himation bekleidet. Dauials hatte Niemand Abscheu
vor mir und die Leute liefen mir schaarenweise nach.
Damals war der Tod noch schön! Aber dann kam
das unglückliche Christenthum. Das schrieb völlige
Bekleidungslosigkeit für mich vor, Knochengerüste,
Sense und, blos bei großer Kälte, einen schwarzen,
rückwärts nachgeschleppten Mantel. Sehen Sie, das
war bitter. Sie glauben nicht, wie lange ich mich
trainiren mußte, bis ich die nöthige Magerkeit erhielt,
die mich so herunterbrachte. Aber nicht genug, die
Zeiten haben sich inzwischen wieder geändert. Mit
der Bekleidungslosigkeit und mit der Sense ist kein
Geschäft mehr zu machen. Die paar Kriege in
diesem Jahrhundert und die Cholera — was hat
das bei meinem Appetit zu bedeuten! Eine Bitt-
schrift nach der anderen reichte ich ein: An-
fangs half es nichts; man wollte mir aus
mythologischen Gründen keine Kleider zu-
gestehen. Erst nach fünfzig Jahren gab man
nach, wahrscheinlich deshalb, weil dem Kon-
sortium endlich selbst die Zahl derer, die ich
zu holen verniochte, allzu gering erschien.
Und nun denken Sie sich: eines Tages schickte
man mir diesen Anzug. Ich war sprach-
los. Aber das sei das Neueste,
meinte
noch
man; das mache
Effekt. Ja freilich,
:! — Und nun habe
ich mich in die neue Klei-
dung hineingefunden. Be-
greifen Sie jetzt, warum
ich früher sagte: Alles in
der Welt hat sein An-
passungsvermögen. Herr
Wirth, zahlen! Nun will
ich noch schnell einen Rund-
gang machen, vielleicht fällt
noch irgend ein schäbiger
Bissen heute für mich ab.
— Es ist ein Glück, daß
eS noch Türken und Arme-
nier giebt; sie sind mir neben den Spaniern die liebsten."
Er zahlte und stand auf. Ich war wie betäubt. Rasselnd schlugen
die Knochen des wunderlichen Kauzes zusammen, als er sich vor mir
verbeugte, das Monocle mit einem klappernden Druck unter dem Hute
befestigte und sagte:
„Hoffentlich sehen mir zwei uns noch einmal wieder."
Dann rasselte er mit müdem, schleppendein Gang zur Thüre
hinaus. 8. Macasy.