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Eine rebellische Weamtenfanülie.
Äer Postrath Waldaucr war ein loyaler Staatsbeamter, und als
er eines Sonntags Mittags vom Bureau nach Haust ging, fand er,
daß dort eine Rebellion ausgebrochen war.
Seine Gattin, die Frau Postrath, war Rädelsführerin, die drei
Töchter Stephanie, Adelheid und Piktoria hatten sich der Empörung
einmüthig angeschlossen.
Und wogegen richtete sich die Erhebung?
Gegen das Autoritärste, was ein Postrath kennt, gegen das Höchste,
was er zu achten und zu respektiren hat — gegen einen Erlaß des
General-Postmeisters Stephan!
Dieser Erlaß war soeben auf dem regelrechten amtlichen Wege
^schienen; er forderte die Vorgesetzten der jüngeren Postbeamten auf,
darüber zu wachen, daß die jungen Leute nicht voreilig Ehen
schließen, und drohte denjenigen, die dem Grundsatz „Jung gefreit
M nie gereut" folgten,
d^ schonungslose Ent-
lastung aus dem Post-
dlenste an.
Die Frau Postrath
)atte diesen Erlaß in
M Hände bekommen und
ihren Töchtern mitge-
theilt. Ihre sittliche Ent-
rüstung über die Verfü-
gung kannte keine Gren-
zen. Drei vollkommen hei-
rathsfähige Töchter hatte
sie an den Mann zu
bringen. Die vorhandene
Mitgift war belanglos,
^vstspielige Badereisen und
überhaupt das Ariftreten
m der „großen Welt",
15)0 reiche Leute wild her-
^lnlaufen, >var derFamilie
aas finanziellen Gründen
dersagt; eö blieben zum
Heranziehen von Schwie-
öerföhnen nur die Bälle und Konzerte des Beamtenvereins, simple
^-heeabende und kleine Privatgesellschaften, wozu man die jungen un-
verheiratheten Postbeamten einladen und womöglich in Hymens Fesseln
schlagen konnte.
Und diese einzige Chance wurde durch einen gransanren Befehl
don Oben herab nahezu vernichtet. Der Vorgesetzte, der Vater hciraths-
siihiger Töchter, sollte den jungen Leuten, die ohnedies nur mit banger
^cheu an die Ehe dachten, das Heirathen wehren! Das war zu viel
verlangt, das ging über das Maß dessen hinaus, was man einem
loyalen Beamten zumuthen darf!
In diesem Sinne ungefähr gab die Frau Postrath ihrem Ehe-
örmahl ihre Meinung zu erkennen, und die Stephanie, die Adelheid
und die Viktoria spendeten den Worten der Mama energischen Beifall.
M mag schön sein, für das Vaterland zu sterben, sagten sie, aber auf
lststehl des großen Post-Stephan alte Jungfern zu werden, das behagte
^n ganz und gar nicht.
^ Der Herr Postrath war in größter Verzweiflung. Innerlich gab
Meinen Damen Recht, aber er mußte doch die Autorität seines Vor-
o,'Etzten vertheidigen. Er versuchte es, aber er wurde geschlagen durch
e höhere Autorität seiner Gattin, gegen die er niemals aufzukommen
vermochte.
Sie machte ihn darauf aufmerksam, daß heute zum Thee drei Gäste
m aden feien, allerdings junge, aber sehr anständige und solide Post-
eamte, welche zu den besten Hoffnungen berechtigten und als Schwicger-
c )ne durchaus nicht unwillkommen wären. Diese Leute dürfe der Haus-
-'btr nicht kopfscheu machen, sondern müsse durchblicken lassen, daß die
EZ mag schön sein, für das Vaterland zu sterben, aber ans Beseht des großen Post-Stephan alte
Jungfern zu werden, — das behagte ihnen ganz und gar nicht.
Verfligung deS General-Postgewaltigen sich natürlich nur auf unpassende,
nicht standesgemäße Verbindungen beziehe, dagegen auf dem Boden des
Beamtenthums selbst die Pflege voir Familienbeziehungen und Gründung
von Familien nur fördernd auf die Festigung loyaler Gesinnung, Sitte
und Moral wirken könne.
Der Postrath vermochte sich diese etwas gewagte Logik seiner Gattin
zwar nicht ganz zu eigen zu machen, aber um zu seinem Mittags-
schläfchen zu kommen, versprach er alles und dachte im Stillen, der
Herr General-Postmeister hätte mit seinem Erlaß wenigstens warten
können, bis die Stephanie, die Adelheid und die Viktoria unter die
Haube gebracht wären.
Die Theestunde kam heran, die Gäste trafen mit tadelloser Pünkt-
lichkeit ein und man gruppirte sich malerisch um den großen Familien-
tisch. Der Theekessel stimmte vorschriftsmäßig, wie es in den engli-
schen Romanen beschrieben
wird, wenn traute Häus-
lichkeit geschildert werden
soll. Die Unterhaltung
wurde in gedämpftem
Tone geführt und war
nicht gerade aufregend.
Man sprach zunächst
von Bureau-Angelegen-
heiten ; der Sekretär
Schulze sollte versetzt
werden, das war Fak-
tum; ob aber Schneider
oder Schurig oder viel-
leicht gar ein Dritter
an seine Stelle rücken
würde, das gab aus-
giebigen Stoff zu Er-
wäglmgrn und Bemer-
kungen , die natürlich
durchaus respektvoll ge-
macht wurden.
Nur als der Haus-
herr beiläufig in jovialer
Weise ermähnte, der Herr Expeditor Schurig scheine auf seinen
Schnurrbart stolz zu sein, da lohnte diesen Witz eine ungetheilte zu-
stimmende Heiterkeit.
Das Gespräch kam sodann auf allgemeine Angelegenheiten; man
besprach den Neubau in der nächsten Straße, den mangelhaften Pferde-
bahn-Anschluß nach dem Stadtpark, und schließlich kam man auf ein
bevorstehendes Konzert zu sprechen. Dies war der höchste Aufschwung,
den die Unterhaltung nehmen konnte.
Die Stephanie, die Adelheid und die Viktoria betheiligten sich an
der Unterhaltung nur durch Lächeln, oder „Ja" oder „Nein", je nach-
dem, wie es gerade paßte; die jüngste, Viktoria, war gleichzeitig die
vorlauteste, sie schwang sich zuweilen zu einem „Allerdings" oder gar
„Ei, ei!" ans.
Was die Herren betraf, so war der lange dürre Assistent Meier
stets bemüht, die Worte des Herrn Postrath in zustimmendem Sinne
zu kommentiren, dabei machte er den Damen bei passenden und un-
passenden Gelegenheiten Verbeugungen und stumme Komplimente. Der
für sein Alter schon ziemlich beleibte Assistent Huber saß gewöhnlich
stumm und nachdenklich da und schaute ehrfurchtsvoll zur Frau Postrath
empor. Letztere dachte sich: „Wahrscheinlich möchte er wegen Stephanie
mit mir sprechen, aber er wagt es nicht, der blöde Junge." In
Wirklichkeit überlegte Meyer allerdings nur, ob er, ohne den An-
stand zu verletzen und gefräßig zu erscheinen, noch einen Zwieback
nehmen dürfe.
Der dritte der Geladenen, ein hübscher flotter Bursche mit lockigem
Haar, Assistent Reinhard, machte sich um die Damen am meisten vcr-
Eine rebellische Weamtenfanülie.
Äer Postrath Waldaucr war ein loyaler Staatsbeamter, und als
er eines Sonntags Mittags vom Bureau nach Haust ging, fand er,
daß dort eine Rebellion ausgebrochen war.
Seine Gattin, die Frau Postrath, war Rädelsführerin, die drei
Töchter Stephanie, Adelheid und Piktoria hatten sich der Empörung
einmüthig angeschlossen.
Und wogegen richtete sich die Erhebung?
Gegen das Autoritärste, was ein Postrath kennt, gegen das Höchste,
was er zu achten und zu respektiren hat — gegen einen Erlaß des
General-Postmeisters Stephan!
Dieser Erlaß war soeben auf dem regelrechten amtlichen Wege
^schienen; er forderte die Vorgesetzten der jüngeren Postbeamten auf,
darüber zu wachen, daß die jungen Leute nicht voreilig Ehen
schließen, und drohte denjenigen, die dem Grundsatz „Jung gefreit
M nie gereut" folgten,
d^ schonungslose Ent-
lastung aus dem Post-
dlenste an.
Die Frau Postrath
)atte diesen Erlaß in
M Hände bekommen und
ihren Töchtern mitge-
theilt. Ihre sittliche Ent-
rüstung über die Verfü-
gung kannte keine Gren-
zen. Drei vollkommen hei-
rathsfähige Töchter hatte
sie an den Mann zu
bringen. Die vorhandene
Mitgift war belanglos,
^vstspielige Badereisen und
überhaupt das Ariftreten
m der „großen Welt",
15)0 reiche Leute wild her-
^lnlaufen, >var derFamilie
aas finanziellen Gründen
dersagt; eö blieben zum
Heranziehen von Schwie-
öerföhnen nur die Bälle und Konzerte des Beamtenvereins, simple
^-heeabende und kleine Privatgesellschaften, wozu man die jungen un-
verheiratheten Postbeamten einladen und womöglich in Hymens Fesseln
schlagen konnte.
Und diese einzige Chance wurde durch einen gransanren Befehl
don Oben herab nahezu vernichtet. Der Vorgesetzte, der Vater hciraths-
siihiger Töchter, sollte den jungen Leuten, die ohnedies nur mit banger
^cheu an die Ehe dachten, das Heirathen wehren! Das war zu viel
verlangt, das ging über das Maß dessen hinaus, was man einem
loyalen Beamten zumuthen darf!
In diesem Sinne ungefähr gab die Frau Postrath ihrem Ehe-
örmahl ihre Meinung zu erkennen, und die Stephanie, die Adelheid
und die Viktoria spendeten den Worten der Mama energischen Beifall.
M mag schön sein, für das Vaterland zu sterben, sagten sie, aber auf
lststehl des großen Post-Stephan alte Jungfern zu werden, das behagte
^n ganz und gar nicht.
^ Der Herr Postrath war in größter Verzweiflung. Innerlich gab
Meinen Damen Recht, aber er mußte doch die Autorität seines Vor-
o,'Etzten vertheidigen. Er versuchte es, aber er wurde geschlagen durch
e höhere Autorität seiner Gattin, gegen die er niemals aufzukommen
vermochte.
Sie machte ihn darauf aufmerksam, daß heute zum Thee drei Gäste
m aden feien, allerdings junge, aber sehr anständige und solide Post-
eamte, welche zu den besten Hoffnungen berechtigten und als Schwicger-
c )ne durchaus nicht unwillkommen wären. Diese Leute dürfe der Haus-
-'btr nicht kopfscheu machen, sondern müsse durchblicken lassen, daß die
EZ mag schön sein, für das Vaterland zu sterben, aber ans Beseht des großen Post-Stephan alte
Jungfern zu werden, — das behagte ihnen ganz und gar nicht.
Verfligung deS General-Postgewaltigen sich natürlich nur auf unpassende,
nicht standesgemäße Verbindungen beziehe, dagegen auf dem Boden des
Beamtenthums selbst die Pflege voir Familienbeziehungen und Gründung
von Familien nur fördernd auf die Festigung loyaler Gesinnung, Sitte
und Moral wirken könne.
Der Postrath vermochte sich diese etwas gewagte Logik seiner Gattin
zwar nicht ganz zu eigen zu machen, aber um zu seinem Mittags-
schläfchen zu kommen, versprach er alles und dachte im Stillen, der
Herr General-Postmeister hätte mit seinem Erlaß wenigstens warten
können, bis die Stephanie, die Adelheid und die Viktoria unter die
Haube gebracht wären.
Die Theestunde kam heran, die Gäste trafen mit tadelloser Pünkt-
lichkeit ein und man gruppirte sich malerisch um den großen Familien-
tisch. Der Theekessel stimmte vorschriftsmäßig, wie es in den engli-
schen Romanen beschrieben
wird, wenn traute Häus-
lichkeit geschildert werden
soll. Die Unterhaltung
wurde in gedämpftem
Tone geführt und war
nicht gerade aufregend.
Man sprach zunächst
von Bureau-Angelegen-
heiten ; der Sekretär
Schulze sollte versetzt
werden, das war Fak-
tum; ob aber Schneider
oder Schurig oder viel-
leicht gar ein Dritter
an seine Stelle rücken
würde, das gab aus-
giebigen Stoff zu Er-
wäglmgrn und Bemer-
kungen , die natürlich
durchaus respektvoll ge-
macht wurden.
Nur als der Haus-
herr beiläufig in jovialer
Weise ermähnte, der Herr Expeditor Schurig scheine auf seinen
Schnurrbart stolz zu sein, da lohnte diesen Witz eine ungetheilte zu-
stimmende Heiterkeit.
Das Gespräch kam sodann auf allgemeine Angelegenheiten; man
besprach den Neubau in der nächsten Straße, den mangelhaften Pferde-
bahn-Anschluß nach dem Stadtpark, und schließlich kam man auf ein
bevorstehendes Konzert zu sprechen. Dies war der höchste Aufschwung,
den die Unterhaltung nehmen konnte.
Die Stephanie, die Adelheid und die Viktoria betheiligten sich an
der Unterhaltung nur durch Lächeln, oder „Ja" oder „Nein", je nach-
dem, wie es gerade paßte; die jüngste, Viktoria, war gleichzeitig die
vorlauteste, sie schwang sich zuweilen zu einem „Allerdings" oder gar
„Ei, ei!" ans.
Was die Herren betraf, so war der lange dürre Assistent Meier
stets bemüht, die Worte des Herrn Postrath in zustimmendem Sinne
zu kommentiren, dabei machte er den Damen bei passenden und un-
passenden Gelegenheiten Verbeugungen und stumme Komplimente. Der
für sein Alter schon ziemlich beleibte Assistent Huber saß gewöhnlich
stumm und nachdenklich da und schaute ehrfurchtsvoll zur Frau Postrath
empor. Letztere dachte sich: „Wahrscheinlich möchte er wegen Stephanie
mit mir sprechen, aber er wagt es nicht, der blöde Junge." In
Wirklichkeit überlegte Meyer allerdings nur, ob er, ohne den An-
stand zu verletzen und gefräßig zu erscheinen, noch einen Zwieback
nehmen dürfe.
Der dritte der Geladenen, ein hübscher flotter Bursche mit lockigem
Haar, Assistent Reinhard, machte sich um die Damen am meisten vcr-