Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0259
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2331 . ——-

Er erklärte, „daß er lieber die Fabrik nicder-
reißcn und an ihrer Stelle einen Park errichten
werde, als sich der Tyrannei der Arbeiter fügen".
Wie so anders als die Sprache des „friedlieben-
den" Kapitalisten lautete die der „verhetzten" Ar-
beiter. In dem Schreiben, das die Regierung
um die Einsetzung eines Schiedsgerichts ersuchte,
hieß es: „Es ist weder aus Müdigkeit, noch aus
Entmuthigung, daß wir diesen Antrag aufs Neue
stellen. Unterstützt von der öffentlichen Meinung
sind wir bereit, für die Vcrtheidigung des all-
gemeinen Stimmrechts und der geiverkschaftlichen
Freiheit bis ans Ende zu kämpfen. Bis ans
Ende ivollen mir aber auch zeigen, daß cs der
Geist der Versöhnung ist, der uns beseelt, und
daß weder die Unversöhnlichkeit noch der böse Wille
auf unserer

Proletarisches Solidaritätsgefühl hat zum weit-
aus überwiegenden Theil die Mittel für das Unter-
nehmen beschafft. Proletarisches Solidaritätsgefühl
wird auch das noch mangelnde Betriebskapital
aufbringen. Schon jubilirt der Kapitalistenklüngel
und sein Preßtroß, daß das Unternehmen an
dem Mangel an Betriebskapital scheitern müsse.
Schon etikettirt er das Werk als ein sozialistisches
Experiment, das die Undurchführbarkeit des Sozia-
lisnuis klärlich erweisen werde. Der Wunsch ist
auch hier der Vater des Gedankens. Wieder und
wieder haben die Sozialisten erklärt, daß inner-
halb der kapitalistischen Wirthschaftsordnuug der
Sozialismus nicht stückweise an den Nagel der
oder jener Einrichtung augeknüpft werden kann,
daß er nur möglich ist nach Beseitigung des

Seite stehen."

Die Hart-
näckigkeit, mit
welcher Resse-
guier jede Ver-
ständigung mit
den Arbeitern
von der Hand
^ies, hatte nur
einen Grund:

Der Hunger
sollte die poli-
lssch und ge-
werkschaftlich
geschulten Ar-
beiter aus der
Heimath ver-
treiben, damit
noch in unbe-
dingtem Ge-
horsam gegen
das Kapital
frohndende
Proletarier an
ihre Stelle trä-
len. Ncsseguicr
r°S solche aus
rückständigen
^egenden her-
6n. Dem galt
es zu wehren.

In einer Glas-
arbeiter-Ver-
sammlung zu
Carmaux fiel
der Gedanke,
durch die Er-
richtung einer
kooperativen
Glashütte den
Gemaßregelten

Brot zu verschaffen. Der Gedanke zündete und I Kapitalismus. Wieder und wieder haben sie betont,
wurde bald in der ganzen Arbeiterklasse Frank- daß die Genossenschaften innerhalb der heutigen

Die sorialistisrhrn Delegirkcn besichtigen dir Schmelzöfen.

reichs populär. Sozialisten aller Schulen, prole-
tarische Organisationen jeder Art traten für ihn
oin. Allen voran wirkte Jaurss durch Wort
und Schrift für seine Verwirklichung. Neben
>h»i und mit an erster Stelle der witzige Roche-
sort, der u. a. eine reiche Dame bestimmte,
100 000 Francs für das Unternehmen zu spenden.
Auf 500 000 Francs schätzte man die für die Er-
richtung der Glashütte nöthigen Mittel. Sie
wllten durch Sammlungen und Spenden auf-
bobracht werden, sowie durch die Ausgabe von
pichen Millionen Loose L20 Centimes (16 Pfennig),
^ald war genügend Kapital vorhanden, um den
der Glashütte in Angriff nehmen zu können,
-^evldjicbcne Umstände zwangen dazu, ihn nicht,
vie ursprünglich geplant, in Carmaux zu errichten,
wndern in dem benachbarten Albi. Die Arbeiten
uhritten rasch vorwärts, am 25. Oktober konnte
w Einweihung der Glashütte erfolgen.

Gesellschaft unter besonderen Umständen einzelnen
Gruppen von Arbeitern kleine Vortheile bringen
können, „aber nicht im Stande sind, die kapita-
listische Produktionsweise zu beeinflussen, die
Klassenlage der Arbeiter zu heben, den politischen
und gewerkschaftlichen Klassenkampf der Arbeiter
zu beseitigen oder auch uur zu mildern." So
bewerthen auch die französischen Genossen, zumal
die der deutschen Sozialdemokratie am nächsten
stehenden Kollektivisten, ganz richtig die Bedeutung
der Arbeiter-Glashütte. Selbstverständlich aber
ist, daß das Organisationskomite sich angelegen
sein ließ, den Betrieb in jeder Hinsicht zu einem
Musterbetrieb zu gestalten, welcher den Arbeitern
möglichst viele und einschneidende Vortheile bietet.
So bestimmen die Statuten u. a., daß 40 Prozent
des Profits jährlich den Arbeitern zugute kommen,
indem sie deren Kassen für die Versorgung der
Alten, Kranken und Arbeitslosen zugeführt werden.

Die Arbeiter-Glashütte wird als Spezialität
Flaschen sabriziren. Damit ist ihr ein weiter Ab-
nehmerkreis gesichert. Die Arbeitergenossenschaften
haben sich verpflichtet, nur noch „die Flasche der
Arbeiter-Glashütte" zu verwenden. Zahlreiche
Weinwirthe, Liqueurhändler re., welche von prole-
tarischer Kundschaft abhängig sind, haben formell
das Gleiche versprochen. Daß Tausende und
Tausende von Arbeiterfamilien ihren Bedarf an
Flaschen aus der Glashütte zu Albi decken, ist
selbstverständlich. Das proletarische Frankreich
hofft in der Folge mit freudiger Zuversicht auf
eine gesunde, kräftige Entwicklung des Werks
treuer Brüderlichkeit.

Polizeiliche Provokation und parlamentarische
Aktion bildeten gleichsam ein Vorspiel zu der

Errichtung der
Arbeiter-Glas-
hütte. Polizei-
liche Provoka-
tion und parla-
mentarische
Aktion folgen
ihrer Einweih-
ung als Nach-
spiel. Der Leser
kennt ohne
Zweifel die
wüsten Grencl-
szencn, welche
Resseguier und
die von ihm
bezahlten Krea-
turen, mit der
Polizei innig
gesellt, gegen
die sozialisti-
schen Abgeord-
neten organi-
sirt haben,
welche von der
Feier in Albi
zur Versamm-
lung nach Car-
maux kamen.
Die ihrem Ab-
geordneten
James zu-
jauchzende
Menge wurde
von der reiten-
den Gensdär-
merie ausein-
andergedrängt,
verfolgt, gewiß-
handelt. Da-
gegen durfte
eine Bande in

Resseguiers Solde stehender Hallunken unter dem
Schutze der Polizei und mit deren Hilfe einen
Höllenradau vollführen, sich in rohesten Thätlich-
kciten ergehen. Nachdem es den Krakehlbrüdern
nicht gelungen, die von 3000 Personen besuchte
imposante Versanunlung zu sprengen, wo Jaurös
unter Beifallsstürmen referirte, drang die Gens-
darmerie, das Gewehr an der Seite, in den Saal
und trieb das Publikum auseinander. Das
Kabinet Bourgeois ist gestürzt, ein neues Mini-
sterium ist am Ruder, und dieses erblickt seine
Hauptaufgabe in Lakaiendiensten gegen die Klasse
der Kapitalisten. Wie das Kabinet Ribot wird
Jaurss es in einer Interpellation auf die Arme-
sünderbank ziiiren. Sollte in der französischen
Kammer trotz alledem sich auch eine kapital-
fromme Majorität finden, welche der Regierung
nnt Ach und Krach ein Vertrauensvotum apportirt
(und das ist nach den neuesten Nachrichten geschehen),
so gilt doch für das Kabinet das Wort: „Noch ein
solcher Sieg, und ich bin verloren."

- -
 
Annotationen