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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0262
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2334 .-

^ Aufrichtiger Wunsch. ^

Vaß auf der Rechten sie für Otto schwärmen,
Daß er ihr Papst, ihr padischah, ihr Zar,

Daß sie wie rechte Gassenjungen lärmen,
wenn man ihn zeichnet wie er ist und war,

Daß sie fanatisch und mit wuthgekreische
Der Wahrheit Stimme einfach niederschrein,

Das ist verständlich. Fleisch von ihrem Fleische
war er ja stets und Bein von ihrem Bein.

Ls ließ durch ihn sich allerlei erschnappen,

So lange seine Herrlichkeit gewährt;
wenn also heulen herrscht und Zähneklappen
Am Tag, da Otto in die Grube fährt,

So muß das sein. Ls muß den Mann von Lisen,
Der stets bedacht auf seiner Junker Heil,

Der Lhor der Barden überschwänglich preisen,
Und unbegreiflich wär' das Gegentheil.

wenn aber wir, die schwer durch ihn gelitten,
Die zu vernichten er zerquält sein Hirn,

Um langes Leben für den Alten bitten,

So greift die Welt sich zweifelnd an die Stirn;

Doch unsre Ehrlichkeit steht außer Frage
Und ernster meinen wir's, als Mancher glaubt;
Ja, theuer ist uns jeder seiner Tage
Und theuer jedes Haar auf seinem Haupt.

Gerade jetzt hat Otto Langeweile
Und seine Laune ist entsprechend schlecht;

Lr ölt die Blitze, putzt die Donnerkeile
Und inacht sich ein Gcwitterchen zurecht.

Lr zeigt der Welt, die gläubig nachgelesen,
was er ihr listig auf die Base band,

Daß er von je und bis zuletzt gewesen
Lin abgefeimter, dreister Roinödiant.

In des zerbröckelnden Gemäuers Fuge
Hat er das Lisen rücksichtslos gesetzt;

Ls wankt der Bau, er ist so schön im Zuge —
Ls wär' ein Jammer, stürb' er uns schon jetzt!
Ls soll der Tod noch lange ihn verschonen,

Denn schwätzt er weiter, bleibt einst nichts zurück
von seinem Ruhm, geschaffen „für Aeonen",

Als — Unverschämtheit und ein Kaufen Glück!

Die Kommenden Männer.

Vas zieht daher, den Schläger in der Hand,
Mit bunter Mütze und mit scheck'gem Band,
Das „Angesicht" der Kreuz und Quer zerrissen?
Die feisten Burschen duften ganz enorm
Nach massenhaft verbrauchtem Jodoform
Und Jeder prangt mit nagelneuen Schmissen.

Ein Affenscheitel zieht sich übers Haupt,

Das da und dort des Haarschmucks schon beraubt,
Und Alle tragen spitze Schnabelschuhe.

Auf hundert Schritte kennt die Welt sie schon,
Die eigentliche „Blüthe der Nation" —

Begeistert pilgern sie nach Friedrichsruhe.

Der grimme Kanzler macht sie am Buffet
Mit Redensarten und mit Schnäpsen fett,

Dann geht's zum Elbestrom mit Dampfesschnelle,
Und hier erstürmt in jauchzendem Gewühl,

In nationalem Hoch- und Kraftgefühl
Man mit Elan Hammonias Bordelle.

Wie kann der Jüngling einen Weihetag,
Desgleichen nie ihm wieder blühen mag,

Wohl würdiger und passender vollenden?

Ein Fest iin großen Stile war's gewiß,

Und auf der Wange brennt der frische Schmiß
Dem Stolz des Volks, den deutschen Corpsstudenten.

Das Klassische und die Moderne.

Das in Muffhausen erscheinende Krcisblatt
brachte neulich einen schwungvollen Artikel über
„Die Kunst als patriotisches Erziehungsmittel".
In diesen: Artikel wurde auch der sozialdemo-
kratische Parteitag in Gotha erwähnt und dabei
unter Anderem folgender schöne Satz geliefert:
„Es giebt in den Augen aller Anständigen und
Gebildeten keinen größeren Hohn, als wenn Bar-
baren und Vandalen, die alle höheren Güter zu
zerstören trachten, über Kunst reden."

Kurz darauf hielt zum Entzücken der biederen
Bürger und namentlich der Bürgertöchter eine
kleine wandernde Schauspielertruppe ihren Einzug

in Muffhausen. Diese führte, um dem modernen
Kunstempfinden der berühmten Stadt Genüge zu
leisten, zuerst das echt realistische Stück „Der
Peitschenstiel" auf. Die Vorstellung wäre um
ein Haar in unliebsamer Weise gestört worden.
In der Hauptszene nämlich, ivo der Omnibus-
kutscher Anton seine Liebe erklärt, hatte der be-
jahrte Souffleur das Unglück, ein wenig einzu-
nicken. Schon schweigt die Geliebte verschäntt,
und im Publikum wird ein leises Kichern hörbar.
Aber der Held ermannt sich und spricht, zuerst
zögernd, dann immer fließender: „Sage mir
nichts, meine Liebste, ich weiß schon, was Du von
mir denkst. In Deinem Innern liebst Du mich
doch. Und ich, ach ja, Du weißt es ja, ich bete
Dich ja förmlich an!" Nun wurde er, von seiner
eigenen Tapferkeit entzückt, fortgerissen. Er sprach
in Nhytmcn und zuletzt in Reimen:

„Du bist so unschuldreich wie eine Taube.

In Deiner Augen märchenhaften! Zauber

Da liegt für mich 'ne große Märchenkraft.

Mit Tugend bist Du uni und um behaft'.

Du bist mir wie ein Märchentraumgesicht.

Wenn ich Dich anschau', bin ich seligiich! .

Inzwischen hatte auch seine Partnerin ihren
. Muth iviedergefunden, umsomehr als sie sah, daß
der alte Souffleur, auf den sie unverwandt ge-
blickt hatte, bei den letzten, begeistert heroor-
geschmetterten Versen ihres Anbeters zu erwachen
begann. Sie löste also ihren kühnen Ritter auf
einen Augenblick ab, indem sie mit verschmitztem
Lächeln erwiderte: „Lieber Anton, ich bin ja gar
kein Märchentraum nicht und feine Fee. Ich ver-
j bleibe Deine Dich innig liebende Jette...." In
diesem Moment fing der alte Souffleur mecha-
nisch, wie Schlaftrunkene pflegen, da an, wo er
vorher aufgchört hatte, und das Stück ging unter
großem Beifall zu Ende.

Im nächsten Theaterbericht des Kreisblattes
hieß es: „Das Stück gehört zu den besten, die
der Naturalismus aufzuweisen hat. Aber ihm
fehlt trotzdem gänzlich der ideale Schwung, ohne
den doch die Kunst keine Kunst ist und sein kann.
| Nur in der spannenden Szene des dritten Aktes,
I bei der reizenden Liebeserklärung des Helden, er-

hebt es sich zu wahrhaft klassischer Höhe. Ohne
jede Künstelei geht hier die gehobene Prosa in
Verse über, die lebhaft an den großen Schiller
erinnern.. . ."

Der geschmeichelte Direktor setzte für den
nächsten Vorstellungsabend ein hoch-idealistisches
Stück an, „Der Mondscheinseufzer des Burg-
fräuleins". Aber wieder hatte der boshafte
j Theaterkobold seine Hand im Spiele. Im zweiten
! Akt stieß die Burgmaid mit dem Schwert ihres
Vaters gegen die Petroleumlampe, welche vom
Tische fiel und die Bühne in Brand setzte. Der
Direktor behielt die Besinnung. Schnell ließ er
die Schauspieler ihre Schlapphüte aufstülpen und
den Rand hinten herunterbiegen. Dann rückte
er in voller Ritterrüstung mit seiner Schaar vor,
er als Branddirektor, die Anderen als Feuer-
wehrleute mit Wassereimern. Der Komiker
schob eine Dachrinne als Spritzenrohr durch das
Burgfenster und machte „ssssss" dazu. Dabei
gab der Direktor energische Kommandos und
hielt kurze aufmnnternde Ansprachen wie: „Auf,
ihr Vasallen und Hörigen, rettet Eures Lehns-
herrn Burg und Töchtcrlein!" Dann wurde das
Fräulein ohnmächtig an einem Tau aus dein
Fenster heransgelassen und der Vorhang siel.

lieber diese Vorstellung ließ sich die nächste
Nummer des Kreisblattes also vernehmen: „Wie
erst durch den Gegensatz das Wesen einer Sache
klar wird, so zeigen sich auch die Vorzüge der
naturalistischen Kunst erst dann in Hellem Lichte,
wenn man sie mit der idealistischen oder klassischen
Kunstrichtung vergleicht. Dazu ,var dein kunst-
sinnigen Publikum unserer Stadt bei der letzten
Theatervorstellung die beste Gelegenheit geboten.
Zwar wirkte die Poesie des alten Ritterthums
mit seiner Mannen treue, seiner edlen, frommen
Sitte erhebend auf alle Zuschauer. Aber eine
Erfrischung bedeutete der stark naturalistisch ge-
haltene „Brand der Burg", eine Szene, die an
j alle Mitwirkenden sehr hohe künstlerische An-
j forderungen stellt, denen dieselben sich aber durch-
weg in hohein Maße gewachseir zeigten."
 
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