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Erklärung.
Mit wenig Worten läßt sich heut ju Tage
Erklären euch die soziale Trage.
Äs handelt sich bei netto Nünf vom hundert,
(Wenn ihr euch auch auf's Aeußerste verwundert
Db einer so durchsichtigen Enthüllung)
Um eine bloße Käste-Ueberfüllung,
Indessen Tünfundneuryig gar bescheiden
An hoffnungslosem Häftemangel leiden.
Ko hat der Tod sie Alle an der Angel
Theils wegen Ueberffuß, theits wegen Mangel,
Da beide Uebet mit der Zeit auf Erden
Fach dem akuten Zusiand chronisch werden.
Die Kaftigen sind schwer nur ju bewegen,
Die Vlage einer Kur sich auffulcgen,
Denn nach und nach wird man nicht schwammig bloß,
Vielmehr auch träge und charakterlos.
Da muffen wohl die Mut- und Küftearmen
Auftreten fest als Zanitäts-Gendarmen
Und wenn die Teisten laut auch lamentiren,
Die Kur, die einige Rettung, ordiniren.
Das geht nicht ohne Jammern ab und Klage;
Das Gaiye nennt man — soziale Trage. L.
Modernes Ehrtstenthum.
Tür Kirchenbauten tüchtig fechten
Mit Dienern um den Groschen rechten;
Ktatt Sonntagsruhe uns ju spenden,
Den Tag des Herrn durch Arbeit schänden;
Die Untergebnen schwitzen lasten
Und selbst bei Wein und Austern praffen;
Tür schwarte Kktaven agitiren,
Indeß die eignen hungern, frieren;
Statt Kindern Treuden }u bereiten,
Im garten Alter ausMbeuten;
Dem armen Mann das Weib verführen
Und schimpfen auf's Vrostituiren;
Dem graden Wege auszuweichen,
Auf Hintertreppen umzufchleichen;
Um einen Trden )u erhaschen
Zu spicken hoher Leute Taschen;
Tür Menschenschlächtereien schwärmen
Sich fürs Gemeinwohl nicht erwärmen;
Zur Kedanfeier illuminiren,
Um Geld dabei M profitiren;
Vom Elend wenden sich mit Ekel
Das sind auch Ehristen fin de siede!
DgF Verhör.
§rei nach dem Lzechischen.
Abenddämmerung breitet im
unfreundlichen Amtszimmer ihre Schat-
ten aus.
Verdrießlich sitzt der alternde Richter
an seinem Schreibtisch, verdrießlich kramt
er in den Akten, verdrießlich legt er
Bogen auf Bogen.
Ans seinem gefurchten, strenge blicken-
den Gesicht spricht maßlose Langweile.
Sein Blick ist matt und irrt, wenn er
sich manchmal vom Tische abwendet,
apathisch von Gegenstand zu Gegenstand.
Der Beamte ist allein in der Kanzlei.
Da knarrt die Thüre, der Gerichts-
diener tritt ein und bleibt mit fragen-
dem Blick bei der halbgeöffneten Thüre
stehen.
„Was giebt's?" fragte unwillig der
Richter.
„Ich führe das Mädchen vor, wie
Sie befohlen haben, Herr Richter."
„Ach so!" sagte der Richter, und
seinen ergrauten Bart streichend winkt
er dein Diener, das Mädchen vorzulassen.
Ein zartes, blutjunges Mädchen tritt ein. Ihr blasses Antlitz ist
traurig löte der Herbstmond, der durch Nebel schaut, aber ruhig wie
der Seespiegel, den kein Windhauch kräuselt. Beim Anblick des Richters
fährt sie erschrocken zusammen; dann bleibt sie mit gesenktem Haupt
scheu an der Mauerkante bei der Thüre stehen.
„Kommen Sie näher! Wie heißen Sie?" fragt der Richter, fügt
aber gleich darauf hinzu: „Nun ich weiß ja, ich weiß ja —"
Das Mädchen schweigt.
„Nur näher her — nur näher!" mahnt der Richter.
Das Mädchen näherte sich zaudernd dem Tische.
Der Richter betrachtet und prüft sie mit erlöschendem Auge —
er schweigt eine Weile.
„Gestehen Sie! Was haben Sie gethan?" hebt der Richter sanft
und mild an, wie wenn ein Vater seine eigene Tochter fragt.
Das Mädchen seufzt, schluchzt, ringt die Hände und bricht in
krampfhaftes Weinen aus.
„Erzählen Sie! Wie ist's so weit gekommen?"
„Ich kann nicht, Herr! — Erbarmen! Die Erinnerung ist zu
schrecklich!"
„Vertrauen Sie mir!" sagt warm der Richter. „Denken Sie
sich, daß ich nicht der Untersuchungsrichter, sondern Ihr Vater bin. -
Vielleicht läßt sich Ihr Schicksal mildern. Es ist nicht das erste Mal,
daß ein junges Mädchen so hier steht; ich kann mir vorstellen, wie
es gekonnnen. Ein aufrichtiges, reuiges Gestandniß kann Ihnen nur
nützen."
Das Mädchen schwankt.
„Vielleicht waren Sie in dem Augenblick nicht zurechnungsfähig,
Sie wußten vielleicht nicht, was Sie thaten, als Sie Hand ans Kind
legten. Oder hat Sie Jemand zu der Thal überredet? Sie sind ja
so jung und unerfahren, fast noch selbst ein Kind."
Das Mädchen kann nicht länger widerstehen. Aus dem Gesicht
des Richters spricht so viel milde Weisheit, warme Menschlichkeit und
Güte — Aufrichtigkeit scheint ihr Pflicht und ist ihr Trost und Er-
leichterung. Endlich Jemand, der sie begreift und nicht im voraus
verstößt und verachtet.
Sie beichtet also.
Erklärung.
Mit wenig Worten läßt sich heut ju Tage
Erklären euch die soziale Trage.
Äs handelt sich bei netto Nünf vom hundert,
(Wenn ihr euch auch auf's Aeußerste verwundert
Db einer so durchsichtigen Enthüllung)
Um eine bloße Käste-Ueberfüllung,
Indessen Tünfundneuryig gar bescheiden
An hoffnungslosem Häftemangel leiden.
Ko hat der Tod sie Alle an der Angel
Theils wegen Ueberffuß, theits wegen Mangel,
Da beide Uebet mit der Zeit auf Erden
Fach dem akuten Zusiand chronisch werden.
Die Kaftigen sind schwer nur ju bewegen,
Die Vlage einer Kur sich auffulcgen,
Denn nach und nach wird man nicht schwammig bloß,
Vielmehr auch träge und charakterlos.
Da muffen wohl die Mut- und Küftearmen
Auftreten fest als Zanitäts-Gendarmen
Und wenn die Teisten laut auch lamentiren,
Die Kur, die einige Rettung, ordiniren.
Das geht nicht ohne Jammern ab und Klage;
Das Gaiye nennt man — soziale Trage. L.
Modernes Ehrtstenthum.
Tür Kirchenbauten tüchtig fechten
Mit Dienern um den Groschen rechten;
Ktatt Sonntagsruhe uns ju spenden,
Den Tag des Herrn durch Arbeit schänden;
Die Untergebnen schwitzen lasten
Und selbst bei Wein und Austern praffen;
Tür schwarte Kktaven agitiren,
Indeß die eignen hungern, frieren;
Statt Kindern Treuden }u bereiten,
Im garten Alter ausMbeuten;
Dem armen Mann das Weib verführen
Und schimpfen auf's Vrostituiren;
Dem graden Wege auszuweichen,
Auf Hintertreppen umzufchleichen;
Um einen Trden )u erhaschen
Zu spicken hoher Leute Taschen;
Tür Menschenschlächtereien schwärmen
Sich fürs Gemeinwohl nicht erwärmen;
Zur Kedanfeier illuminiren,
Um Geld dabei M profitiren;
Vom Elend wenden sich mit Ekel
Das sind auch Ehristen fin de siede!
DgF Verhör.
§rei nach dem Lzechischen.
Abenddämmerung breitet im
unfreundlichen Amtszimmer ihre Schat-
ten aus.
Verdrießlich sitzt der alternde Richter
an seinem Schreibtisch, verdrießlich kramt
er in den Akten, verdrießlich legt er
Bogen auf Bogen.
Ans seinem gefurchten, strenge blicken-
den Gesicht spricht maßlose Langweile.
Sein Blick ist matt und irrt, wenn er
sich manchmal vom Tische abwendet,
apathisch von Gegenstand zu Gegenstand.
Der Beamte ist allein in der Kanzlei.
Da knarrt die Thüre, der Gerichts-
diener tritt ein und bleibt mit fragen-
dem Blick bei der halbgeöffneten Thüre
stehen.
„Was giebt's?" fragte unwillig der
Richter.
„Ich führe das Mädchen vor, wie
Sie befohlen haben, Herr Richter."
„Ach so!" sagte der Richter, und
seinen ergrauten Bart streichend winkt
er dein Diener, das Mädchen vorzulassen.
Ein zartes, blutjunges Mädchen tritt ein. Ihr blasses Antlitz ist
traurig löte der Herbstmond, der durch Nebel schaut, aber ruhig wie
der Seespiegel, den kein Windhauch kräuselt. Beim Anblick des Richters
fährt sie erschrocken zusammen; dann bleibt sie mit gesenktem Haupt
scheu an der Mauerkante bei der Thüre stehen.
„Kommen Sie näher! Wie heißen Sie?" fragt der Richter, fügt
aber gleich darauf hinzu: „Nun ich weiß ja, ich weiß ja —"
Das Mädchen schweigt.
„Nur näher her — nur näher!" mahnt der Richter.
Das Mädchen näherte sich zaudernd dem Tische.
Der Richter betrachtet und prüft sie mit erlöschendem Auge —
er schweigt eine Weile.
„Gestehen Sie! Was haben Sie gethan?" hebt der Richter sanft
und mild an, wie wenn ein Vater seine eigene Tochter fragt.
Das Mädchen seufzt, schluchzt, ringt die Hände und bricht in
krampfhaftes Weinen aus.
„Erzählen Sie! Wie ist's so weit gekommen?"
„Ich kann nicht, Herr! — Erbarmen! Die Erinnerung ist zu
schrecklich!"
„Vertrauen Sie mir!" sagt warm der Richter. „Denken Sie
sich, daß ich nicht der Untersuchungsrichter, sondern Ihr Vater bin. -
Vielleicht läßt sich Ihr Schicksal mildern. Es ist nicht das erste Mal,
daß ein junges Mädchen so hier steht; ich kann mir vorstellen, wie
es gekonnnen. Ein aufrichtiges, reuiges Gestandniß kann Ihnen nur
nützen."
Das Mädchen schwankt.
„Vielleicht waren Sie in dem Augenblick nicht zurechnungsfähig,
Sie wußten vielleicht nicht, was Sie thaten, als Sie Hand ans Kind
legten. Oder hat Sie Jemand zu der Thal überredet? Sie sind ja
so jung und unerfahren, fast noch selbst ein Kind."
Das Mädchen kann nicht länger widerstehen. Aus dem Gesicht
des Richters spricht so viel milde Weisheit, warme Menschlichkeit und
Güte — Aufrichtigkeit scheint ihr Pflicht und ist ihr Trost und Er-
leichterung. Endlich Jemand, der sie begreift und nicht im voraus
verstößt und verachtet.
Sie beichtet also.