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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0271
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2343

Hobelfpähnr.

Zuweilen kommt ein wahres Wort
Aus konservativem Munde,

Es gab vom Reichstag der Bericht
Uns neulich davon Kunde.

Die Plötze und die Mirbachs sah
Der Kardorfs, die edle Seele,
lim sich versammelt — da sprach er cs ans:
Im Reichstag giebt's große Kameele.

König Stumm rüstet für seine guten
Freunde jetzt den Weihnachtstisch; Staats-
ministcr v. Bötticher ist sehr feinfühlend; an-
läßlich des Hamburger Hafenarbeiter-Ausstandcs
sagte er: In Bezug auf den frivolen Streik habe ich die gleiche Meinung
wie mein Freund, der Herr v. Stumm.

'S«?'»

Es kommt aus Gelchrtenkreisen
Ein wunderbares Gerücht:

Man könne die Blindheit bannen
Durch Röntgensches Strahlenlicht.

Wer rechte Freude am vieleu
Marine-Etat durchlesen. «

Kam', wie zu Bismarck, einst zu mir
Eine Schaar von Mannheimer Pinseln,
Um mich um einen Strafantrag
Gehorsamst anzuwinseln, —

Die ultramontanen Führer
Zittern nun vor der Gefahr:

Man könnte jetzt sehend machen
Vielleicht ihre Wählerschaar.

Gelde hat, soll den Militär- und

Den Hausknecht rief ich, den dicken Hans:
„Hol' einen Nachttops zur Stelle,
Und ihn', was Mutter Bertha' that.
Recht gründlich, aber schnelle.

Prost Fest!

„Des Topfes Inhalt schütte sodann
Der Bande aus die Köpfe,

Dann zögen gesalbt sie wieder ab,
Alldeutschlands größte Tröpfe."

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

kain mit 19 Jahr'n, da halt' ich 7 Thaler in der
Tasche. Aber ich Hab' gearbcit't, m. H. (Bravo!),
"" a«ns, was ich bin, das bin ich durch eigene
Arb - geworden. Heutzutage woll'n die Herrn
® ^ Cr blos faulenzen un dafür noch recht viel
^ "d haben! (S-hr gut:> Das kommt von der Sozial-
» Ivkratie, M.H.! (Sehr richtig!) Wenn der Mensch
. fleißig un strebsam un sparsam is, denn
'ltugt er es auch zu was; was ich kann, das
""n doch jeder Andere auch! (Sehr richtig!) Un
^um sag' ich: Kein'n Groschen bewilligen wir!
' u erst recht nicht! Un kein Arbeiter wird wieder
^genommen, der Stricke gemacht hat! Wenn
gj® den Hcrr'n hier nicht paßt, dann können wir
^beiter genug kriegen: Polacken oder Italiener
?. cy meinetwegen Chinesen, die haben wir noch
Niger. Un darum sag' ich ganz wie mein ver-
^irter Herr Vorredner: Bildung un Besitz, die
Müssen zusauuucnhalten; denn wir woll'n auf
»isere Kosten komm'n." (Sehr gut! Anhaltender Beifall.)

Nach diesem Herrn trat zu aller Erstaunen
f!rte Dame an das Rednerpult. Nieinand kannte
’e> Niemand wußte, wie sie hereingekommen
ar> Sie war trotz ihres überaus dürftigen An-
dtr'LDon f°^er Schönheit und edlen Hoheit, daß
nirl Ersitzende ihr das freundlichst erbetene Wort
hatte vorenthalten können,
öu* • e'ne geehrten Herren!" begann sie, „da
aller"" Handel und Schiffahrt, überhaupt an
feveff * von Verkehr ganz außerordentlich in-
bcr«[ h>n, ja vielleicht mehr als irgend einer
ein "senden, so gestatten Sie mir wohl gütigst
äuck, kurze Worte. Sie haben sich wiederholt
i>n j auf k'e Bildung berufen, und das hat mich
^ind '^crften Herzen gefreut. Wenn Sie gebildet
da,.,,^ "vd 'ch Zweifle natürlich nicht daran —,
'verdcu Sic den rechten Weg schon finden.
(se!lr ba§ Geld hat, m. H., der hat die Biacht.
Sröbev^^'^ kknd je größer der Geldsack, desto
die Macht, (Heiterkeit und Bravo.) Wer aber

gebildet ist, der weiß, daß diese parallele Steige-
rung nicht ins Ungemessene weiter gehen kann
und darf, daß es unmenschlich und unklug ist,
jede Macht, die man besitzt, zu gebrauchen, und
daß man endlich an einen Punkt gelangen kann,
wo der Reichste zugleich der Schwächste und Arm-
seligste ist. (Zur Sache!) Wenn Jemand in diesem
Jahre 100 000 Mark für sich erzielt und darnach
strebt, im nächsten Jahre 200000 zu erwerben,
und er ist gebildet, so wird er sich sagen, daß
ein Arbeiter von 30 Mark nach 40 Mark in der
Woche hinaufverlangen darf. (Unruhe.) Wenn Je-
mand die Freuden eines schönen und behaglichen
Heims genießt, und er ist gebildet: so wird es
ihm einen Stich ins Herz geben, wenn er daran
denkt, daß derweil seine Arbeiter zu seinem Nutzen
in Nacht und Wetter den letzten Rest ihrer Tagcs-
kraft verbrauchen. (Lachen.) Wenn Jemand reich
oder wohlhabend ist, und er ist gebildet, so geht
ihm dann wenigstens das Gemeinwohl über sein
eigenes; er läßt nicht eine ganze Stadt schweren
Schaden leiden, ehe er von seinem Trotze läßt,
und er verlangt nicht patriotische Thaten von
seinen Gegnern, während er selbst sich auf Worte
beschränkt. (Ruf: Die ist verrückt! Große Heiterkeit und
Ruse: Das stimmt!) Wenn Jemand es „durch eigene
Kraft" zu etwas gebracht hat, wie mein freund-
licher Herr Vorredner, und er ist gebildet: so
vergißt er nicht, daß Fortuna sich mehrere Male
— aber stets zu seinem Vortheil — versehen
hat. (Große Unruhe und Schlußrufe.) Wenn Jemand
den Wochenverdienst eines Arbeiters angicbt,
und er ist gebildet: so vergißt er nicht, die
Zahl der Uebcrstnnden dabei anzugcben. (Lachen
und Rufe: Blödsinn!) Wenn Jemand von den Ver-
lusten der Schiffsherren redet, und er ist ge-
bildet, so nimmt er nicht zur Grundlage ein furcht-
bares Seuchenjahr, in dem Handel und Schiff-
fahrt darniederlagen, und er vergißt nicht, daß
am Hercinbrechcn jener entsetzlichen Seuche gerade

der Besitz nicht am wenigsten Schuld hatte —"

(Großer Lärm, stürmische Echlußruse: „RauS! Raus! Freches
Frauenzimmer!" Der Vorsitzende ha! inzwischen den Portier
gerufen, damit er die Dame zum Saal hinausführe. Diese ver-
läßt ruhig das Podium, legt, dem Portier freundlich zulächelnd,
ihren Arm in den seinen und verläßt mit ihm den Saal.)

Vorsitzender: M. H., entschuldigen Sie bitte
die Störung. Die Person sah so vertrauenerweckend
aus — hätte ich sie vorher gekannt, so wäre sie
in dieser Versammlung sicher nicht zu Worte ge-
kommen. Offenbar kam sie von den Ausständi-
gen, und dorthin mag sie auch zurückgehen! (Heiter-
keit und Beifall.) Ich denke, der edlen Dame zum
Aerger beschließen wir einstimmig, das vorgeschla-
gene Schiedsgericht abzulehnen. (Geschieht.)

Beim Hinansgehcn bildete sich eine größere
Gruppe um den Portier.

„Sagen Sie, Portier, wer war denn eigent-
lich diese sogenannte ,Damc'?"

„Die kennen Sie nicht? Das war die Bildung."

„Wa-? Die Bildung?" An den Gesichtern

der Herren konnte man sehen, daß sie wirklich
nichts dafür konnten.

„Da 's aber unangenehm!" stieß ein Offen-
herziger hervor.

„Ja — mein Gott! Warum hat einem denn
das keiner gesagt? Man kann doch nicht alle
Leute kennen!" rief ein Anderer.

„Was ist denn los?" fragte ein älterer, be-
häbiger Herr, der eben hinzutrat.

„Wir haben die Bildung rausgeschmissen", rief
jener Offenherzige.

Der ältere Herr legte ihm mit überlegenein
Lächeln die Hand auf die Schulter und sagte:
„Beruhigen Sie sich, mein Lieber. Was solche
Ansichten hat, das ist nicht die richtige Bildung.
Die wahre Bildung hat vor allen Dingen Achtung
vor dem Besitz."

Diese Meinung fand großen Beifall, und in
der gegenüberliegenden Weinstube unterhielt man
sich noch lange über die wahre Bildung. Homo.
 
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