Priester. Levit und Zamuriter.
Ein Wandersmann in grauen Zeiten
In Raubgesindels Macht gerieth.
verwundet, hilflos lag -er Arme
Am weg, gelähmt an jedem Glied.
Lin Priester kam; er sah ihn liegen,
Hört stöhnen ihn und — ging vorbei.
Nach ihm kam ein Levit; auch dieser
Zog weiter, ließ ihn vogelfrei.
Lin Retzer kam, ein Samariter.
Raum hatte der erblickt den Mann,
Trat er ihm näher voll Erbarmen,
Nahm liebevoll sich seiner an;
wusch ab das Blut, verband die Wunden
Und träufelte ihm Balsam ein.
Zur Herberg' bracht' er den Entblößten,
Bestellte für ihn Speis' und wein.
Der diese Mär' dereinst erzählte,
Der Meister war's aus Nazareth,
Den sie als den Erlöser feiern,
Den sie anrufen im Gebet;
Sie, die am wundbedeckten Wandrer
vorüberziehen herzenskalt,
Und noch den Samariter schelten
Und auf ihn Hetzen die Gewalt.
Ein Wandrer ist das Volk der Arbeit,
Muß wandern viel von Berg zu Thal,
Und wird beraubt des Rechts, des Segens,
Den es erzeugt; sein Loos ist g)ual.
was that der Priester, der Levite,
Der Mann der Ranzel, der Ranzlei?
Sie gingen mitleidlos vorüber
Und riefen — nach der Polizei.
Der Samariter mußte kommen
Zu lindern proletariernoth:
Der Sozialismus erst ließ dämmern
Dem Volk ein freundlich Morgenroth;
Hat es erhoben, mit der Fackel
Des Wissens seinen Geist erhellt;
Hat ihm die Brust zur Selbstbefreiung
Mit Rraft gestärkt, mit Muth geschwellt.
Darob dem Samariter grollend,
Der Priester flucht ihm, der Levit:
„Aufruhr zu säen ist -ein Sinnen,
Streust Umsturz aus mit jedem Schritt!"
Mit Lächeln hört's der Samariter,
Der Wandrer hört's mit kühlem Blut:
wer seine Wunden hat verbunden
Und wohl ihm will — er weiß es gut.
Ein Bericht.
Von I. Sirach.
Das steife, gelblich schimmernde Aktenpapier
raschelte, es schlüpfte ans dem großen Umschläge
und wuselte aus dem Teppiche umher, wie ein
verlorenes, welkes Blatt, daS der Hcrbstwind
von dem Eichenstamme herabgeblasen hat. Dann
kanr die flinke, schwarzäugige Zofe mit den kirsch-
rothen Lippen, den schlanken Hüsten und den
allerliebsten Füßchen. Sie drehte sich geschwind
wie ein Eichkätzchen, fuhr mit dem Staubbesen
über die haarige, weiche, röthlichschimmernde
Plüschflächc, wupps! war das Aktenstück im
Papierkorbe, wupps! lag eö draußen, und am
nächsten Tage trug ich's heim als Eiuschlagepapicr
für ein halbe« Pfund hausgemachter Blutwurst.
Wenn inan Bluttvurst unb Kartoffelsalat
ißt, dabei unterm Dache in einer Kammer sitzt,
die nur ein Zipfelchen des blauen Himmels zeigt,
so stöbert man in jedem Fetzen Papier, mag es
nun beschrieben oder bedruckt sein. Und da las
ich, und was ich gelesen, sei dem Leser nicht
vorenthalten:
j. n. 38999/4. Rapport.
Gemäß den: von Ew. Exzellenz ertheilten Auf-
träge begab ich mich, ausgerüstet mit dem vor-
schriftsmäßigen Offizierskoffer und versehen mit
den nöthigen Legitimationspapieren, auf den Namen
Schultze lautend, im Harmonikazuge am 12. Sep-
I tember nach... Meine Aufgabe war es, die
Reise des Zaren zn überwachen und jenen staats-
gefährlichen Elementen nachzuspüren, die die Sicher-
heit nnd das Leben des allerhöchsten Herrn zu
bedrohen in der Lage wären.
! Schon auf der Fahrt fiel mir im Nebencoupö,
das ich unauffällig besichtigte, ein verdächtiger
Passagier auf, mit schäbiger Eleganz gekleidet, eine
leibhastige Galgeuphpsiognomie, der bald unruhig
im Korridor des O-Zuges auf- und abwnndelte.
bald im Coups hastig in Schriftstücken blätterte,
bald, und das öfters — ich habe es zehnmal ge-
1 zählt — in dem Speisewagen des Zuges einen
Kognak trank. Um den Leib, das erfaßte mein
polizeilich geschärfter Blick sofort, hatte er in Gürtel-
höhe etwas Langes geschnallt, das aber der graue
Staubmantel verdeckte. Eine rothlederne, sehr
große Hutschachtel, die der Fremde ängstlich be-
wachte — er nahm sie bisweilen auf den Schooß,
manchmal legte er sie ins Gepäcknetz und äugelte
nach ihr — fiel mir besonders auf; es ist Ew. Ex-
zellenz längst bekannt, daß Hutschachteln zum
! Transport von Sprengstoffen, ja als treffliche
! Behälter für Bomben verwendet werden.
Auf der Kreuzungsstation . . ., da wo die Züge
!aus Osten sich mit unserer Linie begegnen, gab
j ich natürlich auf das Peinlichste Obacht, um ein
I Entwischen des Jnkulpaten zu verhüten. Aus dem
Warschauer Zuge stieg ein jüngerer Mann in
j einem sogenannten Gigerlkostüm ein, schüttelte
j mit einer eigenthümlichen Geberde, die ein Er-
kennungszeichen zu sein schien, dem von mir Ob-
servirten die Hand und flüsterte ihm leise etwas
ins Ohr.
Der Abend kam, im Nachbarcoups saßen nur
jene Zwei; ich lauschte an der Thüre und hörte
i leise reden: „Iwan," so fragte der Gigerl, „ist
das Messer geschliffen?" Der Andre antwortete:
„Haarscharf, — Alles ist zum Werk bereit!"
Ich glaubte jetzt den Augenblick gekommen.
Mit einem Fußtritte sprengte ich die Thüre, löste
schnell auch noch die Carpenterbremse, um dem
Ein Wandersmann in grauen Zeiten
In Raubgesindels Macht gerieth.
verwundet, hilflos lag -er Arme
Am weg, gelähmt an jedem Glied.
Lin Priester kam; er sah ihn liegen,
Hört stöhnen ihn und — ging vorbei.
Nach ihm kam ein Levit; auch dieser
Zog weiter, ließ ihn vogelfrei.
Lin Retzer kam, ein Samariter.
Raum hatte der erblickt den Mann,
Trat er ihm näher voll Erbarmen,
Nahm liebevoll sich seiner an;
wusch ab das Blut, verband die Wunden
Und träufelte ihm Balsam ein.
Zur Herberg' bracht' er den Entblößten,
Bestellte für ihn Speis' und wein.
Der diese Mär' dereinst erzählte,
Der Meister war's aus Nazareth,
Den sie als den Erlöser feiern,
Den sie anrufen im Gebet;
Sie, die am wundbedeckten Wandrer
vorüberziehen herzenskalt,
Und noch den Samariter schelten
Und auf ihn Hetzen die Gewalt.
Ein Wandrer ist das Volk der Arbeit,
Muß wandern viel von Berg zu Thal,
Und wird beraubt des Rechts, des Segens,
Den es erzeugt; sein Loos ist g)ual.
was that der Priester, der Levite,
Der Mann der Ranzel, der Ranzlei?
Sie gingen mitleidlos vorüber
Und riefen — nach der Polizei.
Der Samariter mußte kommen
Zu lindern proletariernoth:
Der Sozialismus erst ließ dämmern
Dem Volk ein freundlich Morgenroth;
Hat es erhoben, mit der Fackel
Des Wissens seinen Geist erhellt;
Hat ihm die Brust zur Selbstbefreiung
Mit Rraft gestärkt, mit Muth geschwellt.
Darob dem Samariter grollend,
Der Priester flucht ihm, der Levit:
„Aufruhr zu säen ist -ein Sinnen,
Streust Umsturz aus mit jedem Schritt!"
Mit Lächeln hört's der Samariter,
Der Wandrer hört's mit kühlem Blut:
wer seine Wunden hat verbunden
Und wohl ihm will — er weiß es gut.
Ein Bericht.
Von I. Sirach.
Das steife, gelblich schimmernde Aktenpapier
raschelte, es schlüpfte ans dem großen Umschläge
und wuselte aus dem Teppiche umher, wie ein
verlorenes, welkes Blatt, daS der Hcrbstwind
von dem Eichenstamme herabgeblasen hat. Dann
kanr die flinke, schwarzäugige Zofe mit den kirsch-
rothen Lippen, den schlanken Hüsten und den
allerliebsten Füßchen. Sie drehte sich geschwind
wie ein Eichkätzchen, fuhr mit dem Staubbesen
über die haarige, weiche, röthlichschimmernde
Plüschflächc, wupps! war das Aktenstück im
Papierkorbe, wupps! lag eö draußen, und am
nächsten Tage trug ich's heim als Eiuschlagepapicr
für ein halbe« Pfund hausgemachter Blutwurst.
Wenn inan Bluttvurst unb Kartoffelsalat
ißt, dabei unterm Dache in einer Kammer sitzt,
die nur ein Zipfelchen des blauen Himmels zeigt,
so stöbert man in jedem Fetzen Papier, mag es
nun beschrieben oder bedruckt sein. Und da las
ich, und was ich gelesen, sei dem Leser nicht
vorenthalten:
j. n. 38999/4. Rapport.
Gemäß den: von Ew. Exzellenz ertheilten Auf-
träge begab ich mich, ausgerüstet mit dem vor-
schriftsmäßigen Offizierskoffer und versehen mit
den nöthigen Legitimationspapieren, auf den Namen
Schultze lautend, im Harmonikazuge am 12. Sep-
I tember nach... Meine Aufgabe war es, die
Reise des Zaren zn überwachen und jenen staats-
gefährlichen Elementen nachzuspüren, die die Sicher-
heit nnd das Leben des allerhöchsten Herrn zu
bedrohen in der Lage wären.
! Schon auf der Fahrt fiel mir im Nebencoupö,
das ich unauffällig besichtigte, ein verdächtiger
Passagier auf, mit schäbiger Eleganz gekleidet, eine
leibhastige Galgeuphpsiognomie, der bald unruhig
im Korridor des O-Zuges auf- und abwnndelte.
bald im Coups hastig in Schriftstücken blätterte,
bald, und das öfters — ich habe es zehnmal ge-
1 zählt — in dem Speisewagen des Zuges einen
Kognak trank. Um den Leib, das erfaßte mein
polizeilich geschärfter Blick sofort, hatte er in Gürtel-
höhe etwas Langes geschnallt, das aber der graue
Staubmantel verdeckte. Eine rothlederne, sehr
große Hutschachtel, die der Fremde ängstlich be-
wachte — er nahm sie bisweilen auf den Schooß,
manchmal legte er sie ins Gepäcknetz und äugelte
nach ihr — fiel mir besonders auf; es ist Ew. Ex-
zellenz längst bekannt, daß Hutschachteln zum
! Transport von Sprengstoffen, ja als treffliche
! Behälter für Bomben verwendet werden.
Auf der Kreuzungsstation . . ., da wo die Züge
!aus Osten sich mit unserer Linie begegnen, gab
j ich natürlich auf das Peinlichste Obacht, um ein
I Entwischen des Jnkulpaten zu verhüten. Aus dem
Warschauer Zuge stieg ein jüngerer Mann in
j einem sogenannten Gigerlkostüm ein, schüttelte
j mit einer eigenthümlichen Geberde, die ein Er-
kennungszeichen zu sein schien, dem von mir Ob-
servirten die Hand und flüsterte ihm leise etwas
ins Ohr.
Der Abend kam, im Nachbarcoups saßen nur
jene Zwei; ich lauschte an der Thüre und hörte
i leise reden: „Iwan," so fragte der Gigerl, „ist
das Messer geschliffen?" Der Andre antwortete:
„Haarscharf, — Alles ist zum Werk bereit!"
Ich glaubte jetzt den Augenblick gekommen.
Mit einem Fußtritte sprengte ich die Thüre, löste
schnell auch noch die Carpenterbremse, um dem