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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0280
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2351

Ein Skratzrnbild.

Langsam und ziellos schlenderle ich durch die
Straßen, vorbei an dumpfigen Läden und Werk-
stätten, die die heitere Frühlingssonne eher noch
trüber machte, hinaus nach dem glänzenden Westen,
wo die Sonne freundlicher von den Hellen, schmucken
Häusern widerstrahlt, wo die Bäume sich grüner
belauben, und wo die Gedanken in leichtem Ge-
tändel sich ergehen. Meine Arbeit war, in lässiger
Neugier all' die Bilder an mir vorüberziehen zu
lassen, welche die Straße dein sehenden Auge
bietet; den geplagten Geschäftsmann, der mit
schleppend-eiligem Schritt, den Hut halb im Genick,
nach der Börse oder einem sonstigen Felde seiner
segensreichen Thätigkeit eilt, den gedanken- und
sorgenlosen Stutzer, der mit gelben Glacss und
einem Bonquetchen im Knopfloch zum Rendezvous
stolzirt, nicht zu vergessen den säbelrasselnden,
monocle-bewehrten Lieutenant und die buntgeputz-
ten Damen, die ihre Frühjahrsroben vor dem nei-
dischen Publikum spazieren führen. Da plötzlich
sehen sich alle Leute nach einem inerkwürdigen
Aufzug um: unter dem Gewühl der eleganten,
blinkenden Equipagen schleicht langsam, mit
dumpfem Rollen, ein großer plumper Bretter-
wagen, darauf eine bunte Gesellschaft. Auf ärm-
lichen, schmutzigen Kisten und Kasten fitzen dicht
aneinander gedrängt eine Schaar Weiber, in ärm-
lichen Lumpen, ein buntes Tuch uin den Kopf
geschlungen, sitzen sie da, vergrämte, in Arbeit
verwelkte Gesichter, die Mütter des Volkes. Kein
Laut ertönt aus der Menge, in dumpfem Brüten
starren sie vor sich hin, sie sehen nicht die Paläste,
an denen sie vorüberrollen, sie sehen nicht die
fremden Menschen, die sie umfluthen, wie sie bald
lachend, bald mitleidig-verächtlich zu ihnen blicken,
mit Fingern auf sie weisen, sie sehen nicht die
reichen Wagen, die stolz an ihrem Karren vorbei-
eilen, ihnen ausweichcn wie einem Haufen Schmutz,
sie hören nicht das Geschwätz der Kutscher, die
lachen und scherzen über ihre seltsame Fracht. Sic
wandern aus. Wohin? ach, wohin? Nur fort,
fort aus der Heimath, aus der doch so lieben
Heimath.

Auf dem Tritt des Wagens, drinnen ist
kein Raum mehr, steht das einzige männliche
Wesen, ein Knabe, wohl im vierzehnten Jahr;
auch er blickt träumerisch in unsichtbare Fernen,
doch seine Züge sind noch nicht verwelkt, seine
Augen noch nicht erloschen.... Sohn des Volkes,
kennst du deine Pflicht, wenn du zum Manne
gereist?!

Weiter, weiter rollt der Wagen, er ent-
schwindet meinem Blick. Doch auch ich sehe jetzt
nichts mehr, nicht den heiteren Glanz der Paläste,
nicht die strahlende Freude der Natur, in meinen
Ohren dröhnt fort und fort eintönig, langsam
und dumpf jenes Rollen; vorüber ziehen Soldaten
mit lärmendem Spiel, sie können es nicht über-
tönen, ich höre, höre es immer noch, und, wie
kommt's nur? in mein Denken drängt sich das
Rollen anderer Karren, die einst, vor hundert
Jahren, durch die Straßen von Frankreichs Haupt-
stadt zogen, eintönig, langsam, dumpf, g. a.

Das sentimentale Raubt stier.

Der Kapitalismus ist fromm oder frei, —
Wo er am meisten verdient dabei.

Drum zieht er jetzt das Frommsein vor,

Denn damit haut man sie All' übers Ohr.

Schwer wird's ihm wohl, das kann man sehn,
Das Händcfalten und Augenverdrehn,

Ihm, der im achtundvierziger Jahr
Noch ein so großer Taugenichts war.

Jetzt trägt er die Krallen eingezogen,

Den Kopf demüthig herabgebogen,

Und blinzelt so fromm hinauf zur Sonne
Wie eine alte keusche Nonne.

Wir wissen jedoch, was die Sanftmuth tauge,
Behalten ihn darum fest im Auge.

Drinnen ist doch noch alles Raubgier,

Wir kennen das sentimentale Raubthier!

Der Hansjörg und sein Barometer.

Das Erste, was der Hansjörg that,

Wenn er vonr Schlaf erwachte.

War, nach dem Wetterglas zu sehn,

Was es für Wetter brachte.

Stand es auf Regen, dann entrang
Ein Fluch sich seinem Munde:

Korn, Futter, Wein, Kartoffeln auch,

Fast gingen ganz zu Grunde.

So Tag für Tag. Und als das Glas
Auf Regen zeigte wieder,

Riß er's vom Nagel, schmettert es
In Wuth zu Boden nieder.

„Der Hansjörg", sprach im Krug der Bäck,
„Ist dumm wie seine Kälber.

Das Glas zeigt nur das Wetter an
Und macht es ja nicht selber."

Ein schlichter Lohnarbeiter flugs
Darauf bemerkte heiter:

„Ihr Herren von der Zünftlerei,

Seid Ihr denn wohl gescheiter?

Ihr grollt den Sozialisten, die,

Des Weltlaufs kundig, sagen,

Daß bald das letzte Stündlein hat
Dem Kleinbetrieb geschlagen!"

Nulla crux, nulla corona.

In der Kirch' ist der leidende Junker fromm;
Aber draußen fletscht er die Zähne.

„Kein Kreuz, keine Krone!" das lautet jetzt,
Ins „praktische Christenthum" übersetzt:

„Kein Kanitz, keine Kähne."

Die Ultramonkanen.

Ach ja, ihr friedlichen, sanften Tauben,

Ihr wollt nur Raum für den eigenen Glauben!
Gefragt, wie viel Raum euch zu fordern gefällt,
Versetzt ihr: „Natürlich die ganze Welt."
 
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