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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0038
Vetlagc zum „Wkigren Iacov" Lr. 276.
Licö der Selötaglökner.
von Lrnest Iones.
schärfet die Sichel! Das Rorn ist reif,
Und die Ernte ist endlich zur Hand!
Schnitter, steht auf mit des Krühroths Streif
Eh' der Schimmer des Morgens verschwand!
Was lungert ihr hoffend und harrend am Zaun,
Lines Sommertags Arbeit in Licht;
Wollt ihr ewig dem Rufe der Herrschaft vertrau'n? —
V, die brauchet und rufet euch nicht! —
Schärfet die Sichel! Die Aehren stehn
So strotzend in goldiger Pracht!
Und wie viel könnte heute noch niedermähn
Unsres Hungers schneidige Macht!
Tb der Zaun auch hoch, und der Traben auch breit
Ls hilft uns hinüber die Sucht:
Der Tott, der zur Arbeit uns Uraft verleiht —
Er verleiht uns das Recht auf die Hrucht!
Schärfet die Sichel! Die Aehren sind schwer,
And die Rinder schreien nach Brot!
Das Seid hat bewässert ihr Thränenmeer,
Und gedüngt ihrer Väter Tod! —
Die Hoffnung, die starb, und das Herz, das brach.
Sie haben den Samen gestreut:
So mäht euch das Rorn wie mit Rlitzesschlag —
Im Namen der Menschlichkeit!
Georae Julian Harney, '"cht Eg „verbüßt" hatte,
der Tüchtigste unter den Mngen Chartisten. Er
war Sozialist, hatte das Kommunistische Mani-
die Meisten, die dieses Blatt zur Hand fest zum Programm erwählt nnd stand mit
nehmen, werden den Namen, der da oben steht, Engels schon seit 1842, mit Marx seit 1848
zum ersten Mal lesen. Und doch bezeichnet in Verbindung. Marx, Engels, Schramm und
er einen der Ersten und der Besten unter den andere der engeren Freunde wußten nicht genug
Vorkämpfern des Proletariats. Einen, der ! des Guten von ihm zu erzählen, von seiner
schon ein Vorkämpfer war vor 1848; nnd der ! journalistischen Begabung, von seiner Beredt-
heute — denn er lebt —, wenn
vorstellte. Der Saal war gefüllt, zum Plaudern
nicht mehrZeit; wir verabredeten ein Zusammen-
sein nach dem Meeting, und Harney begab sich
auf die Platform, um sofort, unter warmen
Sympathiebezeugungen — oüssrinZ — seinen
Vortrag (Isetnre) zu beginnen. Er sprach über
die politische Lage und die Nothwendigkeit, die
Trümmer des chartistischen Heeres unter der
rothen Fahne des Sozialismus und der Re-
publik zu sammeln und eine neue
er auch die schwere Krieger-
rüstung nicht mehr trägt, noch
immer mitarbeitet am Befreiungs-
werke und leuchtenden Anges dem
Kampf der neuen gegen die alte
Welt folgt, mit Geist und Herz
mitten drin, sehnsüchtig der Zeit
gedenkend, da er selbst in der vor-
dersten Reihe stritt — als Haupt-
mann und Schlachtdenker wie
Schlachtlenker.
Bei mir ist es nun nahezu ein
halbes Jahrhundert, daß ich den
Namen zum ersten Mal hörte. Es
war anfangs der fünfziger Jahre,
und ich war noch nicht lange in
London. Von der Chartistenbewe-
gung hatte ich zwar in der vor-
märzlichen Zeit sehr viel gehört
und gelesen, allein seit der verun-
glückten Kundgebung oder rich-
tiger Erhebung des 10. April 1848
war ich durch die Ereignisse in
Deutschland und anderen Festland-
staaten so stark in Anspruch ge-
nommen worden, daß ich mich um
England, das für die revolutio-
näre Vewegnng vorläufig verloren
schien, sehr wenig kümmerte. Und
von den Vertretern des Chartis-
mus waren mir nur O'Connor,
der bereits in vollem Verfall war,
Lovett, Frost, Stephens und
andere der älteren Führer dem Namen nach
ekannt. Den Namen Harney hatte ich nicht
r Marx mir eines Tages sagte:
„Icn e Abend spricht Harney in einein Char-
tlstenmeetmg! Da müssen wir hingehen!"
< kündigte ich mich. Harney war,
Jones*, der damals seine zwei-
jährige Eesangnißstrafe wegen einer Rede im
revolutionär-proletarische Partei
in England zu schaffen.
Ich war ganz Ohr und Auge.
Dieser nüchtern aussehende Mann
hatte sich plötzlich vor mir um-
gewandelt: die Augen sprühten
Feuer, leidenschaftlich bewegten
sich die Arme und die Gestchtszüge
spiegelten die Gefühle und Gedan-
ken des Redners so lebendig wieder,
daß die Wirkung der flammenden,
hinreißenden Worte zur Unwider-
stehlichkeit erhöht ward. Harney
war ein glänzender Redner, und
damals stand er in der höchsten
Blüthe seiner Kraft. Klar, ohne
Phrasenschwall und phantastische
Rhetorik, überreich an schlagenden
Wendungen und treffenden Bil-
dern, besaß er in ungewöhnlichem
Maße jene echt englische Beredt-
samkeit, die namentlich in der
Arbeiterklasse zu Hause ist.
Arif die Engländer und alles
Englische wird jetzt in Deutschland
sehr viel geschimpft. Wenn man
sich aber das Volk betrachtet, das
auf sie schimpft, so muß jeder an-
ständige Mensch eine sehr gute
Meinung von den Engländern be-
kommen. Ich will ihnen hier kein
Loblied singen, allein das sage ich:
Männer wie Harney gedeihen nur
auf englischem Boden. Diese Mischung von
Idealismus und praktischem Sinn, von gesun-
dem Menschenverstand und Opfermuth, von
Adel der Gesinnung nnd zäher, durch nichts zu
erschütternder Entschlossenheit — das ist eng-
lischer Typus. Dieser englische Typus: die
kräftigen Kinnbacken, die zusammengebisscnen
Zähne und der feste, auf ein Ziel gerichtete Blick
samkeit, seiner Begeisterung, seiner Charakter-
stärke und Prinzipienklarheit.
Das Meeting war in einer der Halls, welche
die englischen Oweniten errichtet hatten — wenn
I ich nicht irre in Denmarkstreet, jedenfalls ganz
nahe dem Flüchtlingsviertel oder gar in ihm.
Es war das erste englische Meeting, dem
ich beiwohnte. Die Versammlung hatte noch
« Wir drucken oben ein Gedicht von Ernest Jones ab,
das im Jahre I84S »n Westminster-Gefängniß, wo Jones
seine „Strafe" verbüßte, verfaßt worden ist. Das Gedicht
ist von Andreas Scheu inS Deutsche übertragen und befindet
sich im V. Band der „Arbeiter-Dichtung". (Verlag von Diel)
in Stuttgart. Preis gebd. Wk. I.—)
nicht begonnen; und als wir eintraten, kam Zielen mir sofort auf, als ich nach London kam
ein Mann mittlerer Größe, anscheinend ein und meine physiognomischen Studien begann.
Dreißiger, einfach gekleidet, mit scharf ge- So prägt sich jene Bulldoggen-Natur aus, die
schnittenen Zügen, auf uns zu, schüttelte Marx! nicht losläßt, die keine Furcht kennt und keinen
die Hand und auch mir, während Marx ihm Schlag empfindet —und die Napoleon am Abend
meinen Namen nannte und mir „Mr. Harney!" - von Waterloo, ehe die rettenden Preußen auf
Licö der Selötaglökner.
von Lrnest Iones.
schärfet die Sichel! Das Rorn ist reif,
Und die Ernte ist endlich zur Hand!
Schnitter, steht auf mit des Krühroths Streif
Eh' der Schimmer des Morgens verschwand!
Was lungert ihr hoffend und harrend am Zaun,
Lines Sommertags Arbeit in Licht;
Wollt ihr ewig dem Rufe der Herrschaft vertrau'n? —
V, die brauchet und rufet euch nicht! —
Schärfet die Sichel! Die Aehren stehn
So strotzend in goldiger Pracht!
Und wie viel könnte heute noch niedermähn
Unsres Hungers schneidige Macht!
Tb der Zaun auch hoch, und der Traben auch breit
Ls hilft uns hinüber die Sucht:
Der Tott, der zur Arbeit uns Uraft verleiht —
Er verleiht uns das Recht auf die Hrucht!
Schärfet die Sichel! Die Aehren sind schwer,
And die Rinder schreien nach Brot!
Das Seid hat bewässert ihr Thränenmeer,
Und gedüngt ihrer Väter Tod! —
Die Hoffnung, die starb, und das Herz, das brach.
Sie haben den Samen gestreut:
So mäht euch das Rorn wie mit Rlitzesschlag —
Im Namen der Menschlichkeit!
Georae Julian Harney, '"cht Eg „verbüßt" hatte,
der Tüchtigste unter den Mngen Chartisten. Er
war Sozialist, hatte das Kommunistische Mani-
die Meisten, die dieses Blatt zur Hand fest zum Programm erwählt nnd stand mit
nehmen, werden den Namen, der da oben steht, Engels schon seit 1842, mit Marx seit 1848
zum ersten Mal lesen. Und doch bezeichnet in Verbindung. Marx, Engels, Schramm und
er einen der Ersten und der Besten unter den andere der engeren Freunde wußten nicht genug
Vorkämpfern des Proletariats. Einen, der ! des Guten von ihm zu erzählen, von seiner
schon ein Vorkämpfer war vor 1848; nnd der ! journalistischen Begabung, von seiner Beredt-
heute — denn er lebt —, wenn
vorstellte. Der Saal war gefüllt, zum Plaudern
nicht mehrZeit; wir verabredeten ein Zusammen-
sein nach dem Meeting, und Harney begab sich
auf die Platform, um sofort, unter warmen
Sympathiebezeugungen — oüssrinZ — seinen
Vortrag (Isetnre) zu beginnen. Er sprach über
die politische Lage und die Nothwendigkeit, die
Trümmer des chartistischen Heeres unter der
rothen Fahne des Sozialismus und der Re-
publik zu sammeln und eine neue
er auch die schwere Krieger-
rüstung nicht mehr trägt, noch
immer mitarbeitet am Befreiungs-
werke und leuchtenden Anges dem
Kampf der neuen gegen die alte
Welt folgt, mit Geist und Herz
mitten drin, sehnsüchtig der Zeit
gedenkend, da er selbst in der vor-
dersten Reihe stritt — als Haupt-
mann und Schlachtdenker wie
Schlachtlenker.
Bei mir ist es nun nahezu ein
halbes Jahrhundert, daß ich den
Namen zum ersten Mal hörte. Es
war anfangs der fünfziger Jahre,
und ich war noch nicht lange in
London. Von der Chartistenbewe-
gung hatte ich zwar in der vor-
märzlichen Zeit sehr viel gehört
und gelesen, allein seit der verun-
glückten Kundgebung oder rich-
tiger Erhebung des 10. April 1848
war ich durch die Ereignisse in
Deutschland und anderen Festland-
staaten so stark in Anspruch ge-
nommen worden, daß ich mich um
England, das für die revolutio-
näre Vewegnng vorläufig verloren
schien, sehr wenig kümmerte. Und
von den Vertretern des Chartis-
mus waren mir nur O'Connor,
der bereits in vollem Verfall war,
Lovett, Frost, Stephens und
andere der älteren Führer dem Namen nach
ekannt. Den Namen Harney hatte ich nicht
r Marx mir eines Tages sagte:
„Icn e Abend spricht Harney in einein Char-
tlstenmeetmg! Da müssen wir hingehen!"
< kündigte ich mich. Harney war,
Jones*, der damals seine zwei-
jährige Eesangnißstrafe wegen einer Rede im
revolutionär-proletarische Partei
in England zu schaffen.
Ich war ganz Ohr und Auge.
Dieser nüchtern aussehende Mann
hatte sich plötzlich vor mir um-
gewandelt: die Augen sprühten
Feuer, leidenschaftlich bewegten
sich die Arme und die Gestchtszüge
spiegelten die Gefühle und Gedan-
ken des Redners so lebendig wieder,
daß die Wirkung der flammenden,
hinreißenden Worte zur Unwider-
stehlichkeit erhöht ward. Harney
war ein glänzender Redner, und
damals stand er in der höchsten
Blüthe seiner Kraft. Klar, ohne
Phrasenschwall und phantastische
Rhetorik, überreich an schlagenden
Wendungen und treffenden Bil-
dern, besaß er in ungewöhnlichem
Maße jene echt englische Beredt-
samkeit, die namentlich in der
Arbeiterklasse zu Hause ist.
Arif die Engländer und alles
Englische wird jetzt in Deutschland
sehr viel geschimpft. Wenn man
sich aber das Volk betrachtet, das
auf sie schimpft, so muß jeder an-
ständige Mensch eine sehr gute
Meinung von den Engländern be-
kommen. Ich will ihnen hier kein
Loblied singen, allein das sage ich:
Männer wie Harney gedeihen nur
auf englischem Boden. Diese Mischung von
Idealismus und praktischem Sinn, von gesun-
dem Menschenverstand und Opfermuth, von
Adel der Gesinnung nnd zäher, durch nichts zu
erschütternder Entschlossenheit — das ist eng-
lischer Typus. Dieser englische Typus: die
kräftigen Kinnbacken, die zusammengebisscnen
Zähne und der feste, auf ein Ziel gerichtete Blick
samkeit, seiner Begeisterung, seiner Charakter-
stärke und Prinzipienklarheit.
Das Meeting war in einer der Halls, welche
die englischen Oweniten errichtet hatten — wenn
I ich nicht irre in Denmarkstreet, jedenfalls ganz
nahe dem Flüchtlingsviertel oder gar in ihm.
Es war das erste englische Meeting, dem
ich beiwohnte. Die Versammlung hatte noch
« Wir drucken oben ein Gedicht von Ernest Jones ab,
das im Jahre I84S »n Westminster-Gefängniß, wo Jones
seine „Strafe" verbüßte, verfaßt worden ist. Das Gedicht
ist von Andreas Scheu inS Deutsche übertragen und befindet
sich im V. Band der „Arbeiter-Dichtung". (Verlag von Diel)
in Stuttgart. Preis gebd. Wk. I.—)
nicht begonnen; und als wir eintraten, kam Zielen mir sofort auf, als ich nach London kam
ein Mann mittlerer Größe, anscheinend ein und meine physiognomischen Studien begann.
Dreißiger, einfach gekleidet, mit scharf ge- So prägt sich jene Bulldoggen-Natur aus, die
schnittenen Zügen, auf uns zu, schüttelte Marx! nicht losläßt, die keine Furcht kennt und keinen
die Hand und auch mir, während Marx ihm Schlag empfindet —und die Napoleon am Abend
meinen Namen nannte und mir „Mr. Harney!" - von Waterloo, ehe die rettenden Preußen auf