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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0211

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Die ArbrilerbrMgmtg in Spanien.
von Pablo Iglesias.
Die spanische Arbeiterbewegung, soweit sie
auf dem Boden des kommunistischen Manifests
steht, ist sicherlich eine der kleinsten in Europa.
Das liegt hauptsächlich an der geringen öko-
nomischen Bedeutung unseres Landes, dem
Mangel an politischer Erziehung und der Un-
wissenheit, in welcher sich der größte Theil
der Arbeiterklasse befindet. Jedoch sie existirt
und entwickelt sich unaufhörlich, obwohl ihr
Fortschritt nur langsam ist. Ihr Leben zählt
noch nicht viele Jahre. Allerdings bildeten
sich von 1879—1885 verschiedene Gruppen, die
wie eine solchePartei aussahen, aber erst 1886,
als die Wochenschrift „Der Sozialist" (heute
das Zentralorgan der Partei) erschien, trat
sie wirklich ins Leben.
Bis heute hat sie vier Kongresse abgehalten:
einen 1888 in Barcelona, wo das Programm
und die Taktik der Partei festgelegt und ihre
allgemeine Organisation bestimmt wurde; den
nächsten in Bilbao (1890), wo man sich zum
ersten Male entschloß, in den Wahlkampf
einzutreten; den dritten in Valencia (1892),
welcher das Gemeinde-Programm aufstellte,
und den vierten in Madrid (1894), wo die
allgemeine Organisation reformirt wurde, um
den Berufsvereinen Einlaß zu gewähren. Der
fünfte sollte dieses Jahr in Malaga abgehal-
ten werden; da aber die öffentliche Aufmerk-
samkeit durch die Kolonialkriege — in Kuba
und auf den Philippinen — zu sehr in An-
spruch genommen ist, so hat man ihn auf das
nächste Jahr verschoben.
Die sozialistische Partei zählte 16 Gruppen
im Jahre 1888, 23 im Jahre 1891, 37 im
Jahre 1892 und 45 im Jahre 1894. Heute
hat sie mehr als 50, von denen 4 aus Land-
arbeitern und 4 aus Bergarbeitern bestehen.
Sie besitzt 8 Zeitungen, von denen 6 wöchent-
lich, 1 alle 14 und 1 alle 10 Tage erscheinen.
Sie werden an folgenden Orten veröffentlicht:
„Der Sozialist" und „Die illustrirte Wochen-
schrift" in Madrid, „Der Ruf des Volkes" in
Alicante, „Der Klassenkampf" in Bilbao, „Die
Stimme des Arbeiters" in El Ferrol, „Die
soziale Republik" in Mataro, „Der Vertheil
diger der Arbeit" in Linares und „Die soziale
Morgenröthe" in Gijün. Außerdem giebt es
zwei Buchhandlungen, welche sozialistische
Bücher und Schriften veröffentlichen.
Außer unserer Partei giebt es in Spanien
keinerlei andere sozialistische Elemente, welche
die Aufhebung der Klassen erstreben. Die
geringe Macht, mit welcher die sozialistische
Partei in Spanien in Tagesfragen wirken
kann, hat sie bis jetzt hauptsächlich gebraucht,
um in Versammlungen und durch Schriften
ihr Programm auseinanderzusetzen, dieArbeiter
in Widerstandsvereinen zu organisiren und
ihnen in ihren Kämpfen mit den Unternehmern
zu helfen.
Am meisten Frucht hat die Propaganda
bis jetzt in Biskaya, einem der regsten In-
dustriegebiete Spaniens, getragen, obwohl wir
sie hier später als an anderen Orten be-
gonnen haben. In Galicien fangen wir jetzt
an, in den Städten Fortschritte zu machen.
In Catalonien besitzen wir verhältnißmäßig
noch nicht so viele Anhänger, wie in anderen
Gegenden, obwohl es der industriell ent-
wickeltste Theil Spaniens ist. Die Erklärung
hierfür ist, daß Catalonien und besonders Bar-
celona das Hauptquartier der Anarchisten ge-
wesen ist, von wo jene ihre meisten Kräfte
bezogen. Ihre Thätigkeit hat dort nicht nur
die schnelle Verbreitung unserer Ideen ge-
hindert, sondern überhaupt die Arbeiterorgani-

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sationen fast vernichtet. Seit dem Attentat des
Pallas gegen den General Martinez Campos,
seit der entsetzlichen Explosion im Theater
del Licco und dem nicht weniger entsetzlichen
Ereigniß, das in der Straße Cambios Nuevos
stattfand, legen die Behörden in Catalonien
der sozialistischen Propaganda und der Ent-
wicklung der Arbeitervereine unzählige Hinder-
nisse in den Weg. In Andalusien, der größten
Provinz Spaniens, zählt die sozialistische Partei
nur wenige Anhänger (6 Gruppen), weil auch
hier die anarchistischen Elemente großen Ein-
fluß gehabt haben. Nirgends in Spanien ist
die Unwissenheit und das Elend, trotz des
fruchtbaren Bodens, größer. Madrid mit seiner
industriellen Bevölkerung ist der Ort, wo die
Partei am stärksten ist, und wo daher auch
das Nationalkomite seit seiner Einsetzung seinen
Sitz hat. Nach Madrid kommt Bilbao, die
Hauptstadt von Biskaya.
Die beste Arbeiterorganisation, welche heute
in Spanien existirt — die „Allgemeine Ver-
einigung der Arbeiter" —, wurde von Sozia-
listen organisirt und geleitet. Ihr Sekretär ist
der Buchdrucker Antonio Garcia Quejido*
(Barcelona), ein guter Redner, mit großem
Organisationstalent, und einer der hervor-
ragendsten Männer der sozialistischen Partei,
deren Vertreter er aus den internationalen Kon-
gressen von Zürich und London gewesen. Theile
der genannten Organisation bilden die Föde-
ration der Spinner und Weber, die vor vier
Jahren gegründet wurde, die Buchdrucker-
Föderation u. a. m. Die Vereinigung zählt
über 6000 Mitglieder und hat fünf Kongresse
veranstaltet: den ersten, auf dem sie gegründet
wurde, in Barcelona, wo auch das Natio-
nale Konnte der Vereinigung seinen Sitz hat.
Das Komite führt in allen ökonomischen
Fragen die Verhandlungen mit den natio-
nalen Sekretären der anderen Länder. Die Or-
ganisation hat schon verschiedene Streiks aus-
gefochten, unter denen der wichtigste der des
Jahres 1894 in der „Industrie von Malaga",
der Weberei eines Millionärhauses in Ma-
laga, war.
Außer der „Allgemeinen Vereinigung der
Arbeiter" giebt es in Spanien die folgenden
Organisationen: die Föderation der drei
Klassen der Dampfmaschinisten, früher mächtig
und viele Tausende von Mitgliedern zählend;
heute ist sie so gut wie todt, aus Mangel an
einem Ideal und weil eine richtige Bureaukratie
ihre pekuniären Mittel aufgezehrt hat. Sie
umfaßt nur noch drei bis vier Gesellschaften
mit einer geringen Zahl von Mitgliedern. Die
Föderation der Böttcher besteht aus achtzehn
Vereinen. Auch sie ist im Verfall und wird in
kurzer Zeit gänzlich verschwinden, wenn sie
sich nicht der allgemeinen Bewegung anschließt.
Die Föderation der Ackerbauer wird von den
föderalistischen Republikanern geleitet und be-
steht aus circa zwanzig Vereinen der Provinz
Barcelona. Die allgemeine Gewerkschaft der
Eisenbahnarbeiter besteht schon einige Jahre,
zählt aber nur vier bis fünf Vereine mit
wenigen Mitgliedern. Außer den genannten
Organisationen giebt es noch zwanzig bis dreißig
Vereine, die theils ganz isolirt dahinleben, theils
lokal untereinander vereinigt sind.

* Auch diesem Artikel sind vier Porträts der hervor-
ragendsten spanischen Sozialisten beigegeben; neben Quejido-
Barcelona, vr. Vera-Madrid, Perezagua-Bilbao bringen
wir auch das Porträt des Verfassers dieses Artikels, des Ge-
nossen Iglesias-Madrid. Wohl sträubte er sich, sein Bild
zur Publikation herzugeben, aber den deutschen Genossen gegen-
über war seine Bescheidenheit nicht am Platz; wir wollen
unsere tapferen Vorkämpfer auch äußerlich kennen lernen,
nachdem wir von ihrer aufopfernden Thätigkeit für die Sache
der Arbeiter uns haben unterrichten lassen.
Verlag und Redaktion.

Bei dem berühmten Streik in der „In-
dustrie von Malaga" strengte die sozialistische
Partei alle ihre Kräfte zur Unterstützung der
Arbeiter an. Es handelte sich um 4000
Männer und Frauen. Ihre Gegner waren
die berüchtigten Larios, vielleicht die größten
Kapitalisten Spaniens. Ich brauche nicht zu
erwähnen, daß hinter diesen Geldkönigen die
Behörden standen. Der Ursprung dieses Streiks
war derselbe wie bei so vielen anderen: der
Versuch des Unternehmers, die Organisation
der Arbeiter zu vernichten, um sie besser aus-
beuten und unterdrücken zu können. Die Arbei-
ter der „Industrie" hatten bereits seit einiger
Zeit einen Gewerkverein. Derselbe war um so
nothwendiger, als die Arbeiter, ganz abgesehen
von der schlechten Behandlung, sehr geringe
Löhne erhielten. Das Geschäftshaus dagegen
machte einen Profit von täglich mehr als
6000 Pesetas. Durch ihre Vereinigung gelang
es den Arbeitern, die Arbeitsbedingungen etwas
zu verbessern und sie sahen die Möglichkeit vor
sich, die schreckliche Ausbeutung, deren Opfer
sie waren, ein wenig zu mildern. Sowohl aus
Stolz wie aus Furcht vor einer Schwächung
ihrer Macht, entschlossen sich die Millionär-
Unternehmer, der Organisation ein Ende zu
machen. Sie verkündeten daher, daß sie keine
Arbeiter mehr annehmen würden, die dem
Verein angehörten, und entließen zugleich eine
Anzahl Arbeiter, die ihnen nicht gefielen.
Nachdem der Streik ausgebrochen war,
suchten die Unternehmer mit allen Mitteln die
Streikenden niederzuwerfen, auf deren Seite
nicht nur die Sozialisten und Arbeiter Ma-
lagas, sondern ganz Spaniens getreten waren.
„Der Socialist" eröffnete eine Sammlung zu
ihren Gunsten und erließ begeisterte Aufrufe
an die proletarische Solidarität. Als die Be-
hörden in der Folge ohne jeden Grund acht
der hervorragendsten Streikführer verhafteten,
beschloß das Nationale Komite der Partei,
eines ihrer Mitglieder nach Malaga zu schicken.
Die Wahl fiel auf den Schreiber dieses.
Gleich nach seiner Ankunft in Malaga be-
rief er die Arbeiter zu einer Versammlung
in deren „Arbeitereentrale", einem sehr ge-
räumigen und gut gebauten Lokal. Da aber
die Behörde entschlossen war, jede Versamm-
lung zu verhindern, so verbot sie im letzten
Augenblick auch diese unter dem Vorwand,
daß das Gebäude einzustürzen drohe.
Es kostete viel Mühe, die Erregung zu be-
schwichtigen, welche sich der Arbeiter in Folge
einer so skandalösen Maßnahme bemächtigte.
Während der ganzen Dauer des Streiks er-
laubte die Behörde nicht, daß sich in dem
Hause mehr als zwölf Personen versammelten.
Unter dem Druck der Behörden und der
Vertreter des Hauses Larios verweigerten
die Lokalbesitzer ihre Versammlungssäle den
Streikenden, so daß diese sich gezwungen
sahen, sich außerhalb des Ortes in einem
Garten zu versammeln.
Nicht zufrieden damit, die „Arbeitercentrale"
zu schließen und mit allen Mitteln, die ihr
zur Verfügung standen, den Arbeitern die
Lokale abzutreiben, errichtete die Behörde im
Gebäude der Regierung selbst ein Bureau, um
die Arbeiter aufzuschreiben, welche bedingungs-
los die Arbeit wieder aufnehmen wollten.
Außerdem ließ sie durch Polizisten und Gen-
darmen die Häuser der Streikenden, besonders
der Frauen besuchen, um diese durch Ver-
sprechungen und Drohungen zu veranlassen,
sich nach dem Bureau zu begeben.
Da die Presse des Ortes keinen dieser
skandalösen Mißbräuche und Uebergriffe der
Behörde denunzirte, so war es nothwendig,
sie auf einer Versammlung zur Sprache zu
 
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