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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0227

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2567

Zeichnung von Rudolf Teichmann.
Erlösung.


Ein Verhängnis.
Sturnr läuten sie .........
Wild aufgeregtes Volk die Straße zieht .....
Horch, Trommelwirbel..... dumpf Getös ....
Droht Kriegsgefahr? Es ziehn Soldaten aus in
Reih und Glied.
Dort auf dem Markte drängt sich's dicht zusammen,
Der Hunger fachte an Empörnngswuth.. .
Horch, wildes Lärmen ... sieh, geballte Fäuste
Und in den Angen finstre Gluth.......
„Geht auseinander, so Ihr liebt das Leben!"
Hört Ihr den Ruf: „Schlagt die Gewehre an!"
Sieh', welch ein Drängen: „Will man auf uns
schießen?
Wer wagt's? ... Warum? ... Was haben wir
gethan?"
Und horch, die Antwort kommt aus Feuerrohren.
Brot wolltet Ihr und ward darum erschossen.
Und sich, dort bringen sic schon Einen.
Hohl glimmt sein Äug'... derAiund ist leichenfahl...
Sein Wcib wehklagt. Hört Ihr sie rasen?
Sie flucht dem Mörder, sich, dem All.
Da richtet er sich auf... „Fluch nicht dem Mörder...
Weib... bete für sein Seelenheil... geschwind...
Denn der Soldat . . der mich . . ins Herz . .
getroffen — ...
Ich sah es deutlich ... Weib ... ist... unser...
Kind. ..." HerUnger.
Der Glaube ist ein geistiges Morphium: er
befriedigt nicht den Wahrheilsdrang, sondern nar-
kotisirt ihn, schläfert ihn ein. Die kritische Wissen-
schaft kann ihn zwar nicht voll befriedigen, aber
was sic ihm bietet, ist gesunde und kräftigende
Nahrung. ,
Manche Richterrobe ist sehr nahe verwandt mit
der Mönchskutte. .
Mehr Verstaub gehört manchmal dazu, ein
Hauswesen zu regieren, als ein Land.

Drr Streik der Lüge.
Sic hatte so viel Böses schon angestiftet auf
der Welt, das wußte sie selber, das konnte sie
täglich hören, jetzt wnrde sic alt und wollte doch
noch etwas Gutes thnn, ehe sie scheiden mußte.
So begab sich die Lüge also — denn von der
Lüge ist die Rede — zu einem Pfarrer, um bei
ihm sich Rath zu holen. Etwas außergewöhnlich
Gutes sollte es sein, sagte sie ihm.
„Das Beste ist", sagte der Pfarrer, „Du gehst
zum Schneider und läßt Dir recht schöne neue
Kleider machen. Deine Kleider sind schäbig ge-
worden mit der Zeit und man will deshalb nicht
mehr recht an Dich glauben. Du wejßt, Kleider
machen Leute. Hast Du neue Kleider an, ich ver-
sichere Dich, alles wird sich Dir wieder beugen wie
ehedem. Besonders aber das Volk, denn es wird
Dich in der neuen Kleidung nicht mehr erkennen."
„Aber", sagte die Lüge, „mich dünkt, daß das
kein gntcs Werk sei."
„Oho", gab der Pfarrer zur Antwort, „kein
gutes Werk? Ein viel größeres, als Du denkst.
Wenn das Volk nicht mehr an Dich glaubt, ist
es mit mancher Herrlichkeit aus."
„Ich will mir die Sache überlegen", sagte die
Lüge und ging. Draußen aber fiel ihr ein, daß
sie vergessen hatte, den Pfarrer nach der Adresse
des Schneiders zu fragen, bei dem sie sich die
Kleider bestellen konnte, lind sie kehrte wieder um.
„Ich bin alt", sagte der Pfarrer, „sonst hätte
ich einen Theil Deiner neuen Ausstattung selbst
übernommen, aber cs ist gut, wenn Du auch zu
einigen anderen Schneidern gehst, z. B. zum Philo-
sophicprofessor Ehrlich und zum Professor der
Nationalökonomie Kluge; auch zum Geschichts-
professor Klittcrer und zum Geheimen Hofrath
Spitzig — Du weißt, er ist Jurist — kannst Du
gehen. Du kennst die Herren ja, und es wird
ihnen gewiß ein Vergnügen sein, Dir einen Dienst
zu erweisen."

Mit höflichem Danke verließ die Lüge das Haus
des Pfarrers wieder und wandte sich direkt nach
der Wohnung des Philosophieprofessors Ehrlich,
der die Lüge mit liebenswürdiger Höflichkeit em-
pfing, wie eine alte gute Bekannte; nachdem sie
ihm ihren Wunsch vorgctragen, meinte er lächelnd:
„Wie schön, daß sich Wunsch und Absicht so
prächtig begegnen. Ich bin nämlich gerade daran"
— bei diesen Worten sah der Professor tiefsinnig
zur Decke empor, daun nahm er eine Prise aus
der silbernen Tabaksdose — „ich bin nämlich gerade
daran, in einem neuen Werke, mit ganz neuen
Beweisen die schon von einigen früheren Philo-
sophen aufgestellte Lehre zu stützen, daß das höchste
Glück des Menschen in der Bedürfnißlosigkeit
liegt. Sie sollen also Ihr Kleid bekommen."
Die Lüge wollte etwas entgegnen, aber der
Professor ließ sie nicht dazu kommen.
„Nichts von Dank. Ich bin glücklich, wenn
Sic mit mir zufrieden sind. Umsomehr, als mir
dann der Titel Exzellenz sicher ist."
Die Lüge ging.
„Aber das nutzt ja Alles nichts", sagte sie zu
sich selbst, als sie auf der Straße staud. „That-
sache ist, daß ich alt, recht alt geworden bin. Und
mir ist, als ob jedes neue Kleid diese Thatsache
noch schärfer den Menschen ins Bewußtsein
bringen müßte. Ich mag gar nicht zu den anderen
gehen. Weder der Historiker, noch der National-
ökonom, noch der Jurist können mich wieder jung
machen. Und warum soll ich neue Kleider tragen?
Damit das Volk wieder an mich glaubt? Und
warum soll cs an mich glauben? Damit die
Herren es desto leichter an der Nase herumführcn
können .. . Aber ich will doch einmal zum Volke
selbst gehen."
Damit ging die Lüge vorbei an dem Hause
des Nationalökonomen Kluge, vorbei an dem
Palais des Juristen Spitzig und der Wohnung
des Geschichtsprofessors Klitterer, direkt der Vor-
stadt zu, wo die Arbeiter wohneu.
 
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