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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0245

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RetzM686At in paee! cZ-

Zittcrnd ging von Her? ?u Her?cu,
Bange ging von Mund ?n Munde
Durch die gan?e Welt der Arbeit
Line düstre Trauerkunde:
Unsrer allerbesten (Liner,
'Brüderlich geliebt von Allen,
Die an seiner Leite kämpften —
Gritlenberger ist gefallen!
Mitten in des Aampfcs Wogen
Stritt er kühn als Nreiheitskriegcr,
Schon umweht von Todesfchauern
Stand er noch als Held und Sieger.
Wie dem Volk sein ganzes Leben
(Lr geweiht in kühnem Wagen,
Also galt dem Wohl des Volkes
Seiner Vulse letztes Schlagen.
Was an Ihm wir nun verloren,
Was der (Ldte uns gewesen —
In den gramnmflortcn Blicken
Der (Ketreuen könnt' Ihr's lesen.


Karl Grillenberger.
Geb. 22. Februar 1848, gest. 19. Oktober 1897.


Trauernd senken sich die Häupter,
Und die heisien Thränen rollen,
Und noch will es Keiner fassen,
Daß wir Ihn nun misten sollen.
Blitz und Donner auf den -Lippen,
Wo es galt der Aeindestücke,
Und im trauter: Areundeskreife
Milden Sonnenschein im Blicke,
Immerdar ein Nreund und Bruder
Jeden: seiner Kampfgenossen
So hält ewig die (Lrinn'rung
Ihn ir: unser Her? geschlossen.
Wohl wird stets es starke Nührer,
Stets auch gute Menschen geben,
Aber so aus (Linen: (Lüste
Wird sich Keiner mehr erheben.
(Lhrt ihn, wie's nach seinen: Sinne:
Schreitet vorwärts in: (Lefechte
Mr die Ziele seines Wirkens,
Mr der Völker heil'ge Rechte! .u.u.

Karl Grillenberger.
Kein Kreuz null ich ihm hinter den Namen
setzen, denn um dem christlichen Kreuz zu ent-
gehen, hat er seinen Körper der reinigenden,
leuchtenden Flamme gewidmet. Also kein Kreuz
hinter den Namen!
Aber todt!
Diese Kraftnatur, dieser Riese, im kräftigsten
Mannesalter — noch nicht fünfzig Jahre alt —
todt! Es erscheint unglaublich, unmöglich.
Und als am 19. Oktober, wo die Trauerpost
zugcblitzt kam, der sonst so ruhige Jakob ey zu
mir an den Pult trat und mit tonloser, von
zurückgehaltenen Thränen gedämpfter Stimme
mir inö Ohr mehr flüsterte wie sprach: Grillen-
berger ist eben gestorben! da begriff ich erst
nicht. Es war, als hätte mir Jemand gesagt,
ein Stück des Firmaments sei eingestürzt und
habe mir mein Liebstes begraben, an dem mein
Her; mit all seinen Fasern gehängt.
Er todt, der Riesenstarke, der fest war, wie
das Firmament in der frommen Legende des
Kinder- und Köhlerglaubens.
„Unmöglich!"
„Es ist wahr!" schluchzt Jakobey hervor;
und ein anderer Kollege bringt das Telegramm
aus München.
Nun gab's keinen Zweifel mehr.
Das Unmögliche war wahr.
Das Herz krampfte sich zusammen — mir
und jedem Anderen. Auf einer Redaktion ist
man an das Aufregende gewohnt, und die Tret-
mühle der Zcitungsarbeit duldet kein Sichhin-

geben an Gefühle. Aber an dem Abend glich
die Redaktion des „Vorwärts" einem Trauer-
haus, in dem ein geliebter Todter aufgebahrt ist.
Und so war es bald in Hunderttausenden
von Häusern und Wohnungen, wo Karl Grillen-
berger gekannt, geliebt und verehrt Ivar.
lind wo war er es nicht?
Wo ist in Deutschland ein Arbeiter, eine
Arbeiterfamilie, in welcher „unser Karl" oder
unser Grillo, wie wir ihn auch nannten, nicht
gekannt, geliebt und verehrt wurde?
Und der Tod, gegen nns so grausam, daß
er ihn von uns riß, ihm ist er ein Freund
gewesen, denn einen leichteren, schöneren Tod
hat nie Einer gehabt: den Tod des Helden in
der Schlacht, glicht Soldatentod. Wer kann
den Jüngling, den der Moloch gepackt und wider
seinen Willen anderen willenlosen Werkzeugen
cutgegengeschickt hat, und während der blutigen
Orgie der Mordlust durch ciue Kugel hinstreckt
— wer kann ihn vergleichen mit diesem Kämpfer
der Pflicht, der aus freier Wahl dritthalb
Jahrzehnte lang für die Befreiung der unter-
drückten Millionen des arbeitenden Volkes —
für ihre Befreiung aus Knechtschaft, Elend und
Unwissenheit gerungen hat, und der hier nun
plötzlich, wie von der Kugel getroffen, inmitten
des Kampfes, nachdem er soeben eine ruhm-
volle Kampfesthat verrichtet, vom Allbezwinger
dahingerafft ward, das heitere Lächeln des Be-
wußtseins erfüllter Pflicht auf dem Antlitz und
des Bewußtseins, daß keine Macht der Erde das
Gelingen, den Sieg, den Triumph verhindern
kann? — Und was für ein Kämpfer! Immer

voran, immer im dichtesten Gefecht, immer da, wo
die höchste Gefahr. Er suchte die Gefahr. Oder
richtiger: er hatte keinen Sinn für die Gefahr.
Das zeigte sich besonders zur Zeit des Bis-
marckschen Proskriptionsgesctzes, das unsere Partei
außer dem Gesetz stellte. Da galt es klug sein
nnd kühn. Damals hat „unser Karl" tansendmal
Freiheit und Existenz auf das Spiel gesetzt.
Und besser als er war nie einer zum Kämpfer
geboren. Dieser mächtige Körperbau, diese ge-
waltigen Schultern mit den Zyklopenarmen —
wehe, wer ihnen verfiel! Die Kraft eines Riesen
und — die Gutmüthigkeit eines Kindes. Und
seine körperlichen Kampfeigenschaften entsprachen
nnr den Kampfcigenschaften des Geistes. Das
Elementare, die Naturkraft, was körperlich den
Recken ansmacht, daS hatte er anch geistig. An
Geistesfähigkeit ragte er über daS Mittelmaß,
ebenso wie an Körpergröße und Körpcrkraft.
Und Alles in ihm und an ihm Natur. Keine
Pose. Keine Berechnung.
Nur Einen kannte ich, an den Grillenberger
mich oft erinnerte: den Belgier Volders. Die-
selbe Elementarkraft, dasselbe Organisations-
talent, dieselbe hinreißende Gewalt der Rede.
Aber wie unendlich glücklicher unseres Grillen-
bergers Tod! Den armen Volders umhüllte
geistige Nacht, ehe die Saat zur Ernte bereit
stand, die er gesät hatte — sein Geist starb
vor dem Körper — der gräßlichste Tod — und
Jahre lang weilte er unter den Freunden lebendig
todt — das schmerzlichste Schauspiel.
Unser Grillenberger ward vom Tode gefällt
in der Fülle geistiger und körperlicher Kraft, in

Beilage zum „wahren Iacob" Nr. 29523, 1897.
 
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