Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
2632

Die Geschichte dom jungen Kalifen, der die Wahrheit suchen wallte.

ehgeschrei und Jammer erfüll-
ten die weiten Hallen im Pa-
laste des großen Kalifen Nur-
Esser, denn Er, der an Ehren und Siegen
reiche, stand oder lag vielinehr auf dem
Punkte, seinen ruhmreichen Damascenersäbel dein grimmen Sieger Tod
zu übergeben. Rings an den Wänden knieten auf Purpurkissen in
gebrochener, aber zierlicher Haltung alle die zukünftigen Witwen des
Reiches und ließen Silberthränen in ihre Seidenschleier rollen. Vor
dem kränken Herrscher aber stand der im blühendsten Jünglingsalter
strahlende Sohn und Erbe des Kalifen, der sich eben noch einmal aus
deni Lager emporrichtete und, nachdem er die herrliche Gestalt des Jüng-
lings überblickt, mit schwacher, gerührter Stimme sprach:

„Mein Sohn, ich hinterlasse Dir ein großes und schönes Reich
zu regieren, und ich hinterlasse es Dir im Frieden, ein Glück, welches
weder mir noch Deinem Großvater beschieden. Darum erwächst Dir
eine schönere, höhere Aufgabe: Du kannst das Land glücklich machen,
während ich es nur zu schützen verinochte, und ich habe Dich für Deine
Aufgabe besonders erziehen lassen. Du wirst glücklich werden, wenn Du
weise sein kannst."

„Mein Vater", rief der Kalifensohn mit thränenerstickter Stimme,
„wie vermöchte ich wohl so hohe Aufgabe zu erfüllen, wenn Dein Rath
mir nicht mehr tvird zur Seite stehen?"

Da befahl der Kalif dein Hofstaat, aus deni Saale zu gehen und
den hippokratischen Blick auf den Sohn richtend, flüsterte er:

„Entferne Alle von Dir, welche mir bis jetzt zur Seite gestanden;
ich kenne sie genau und kannte- sie genauer, als sie von mir vermuthet;
aber ich konnte sie nicht entbehren, nachdem sie mich durch ihren Rath
in eine Lage gebracht, aus der ich uiich ohne ihre Hilfe nicht hätte
herauswinden können. Du aber bist frei."

„Und die Weisheit?"

„Du mußt sie suchen. Drunten im letzten Garten-Kämmerchen
wohnt ein alter Derwisch, der das edle Obst vom schlechten und ange-

„Cunali," rief er gleich beim Eintreten, „mein Vater ist todt!"

fressenen sondert, er war der einzige, bei dem ich
Wahrheit fand, tvenn ich sie brauchte. Vertrau
Dich ihm, er kann Dich zum Tempel der Weisheit
führen, wo alles klar wird, tvas sonst den Men-
schen auf Erde» dunkel bleibt. Ich leider hatte
keine Zeit ihn zu finden", hauchte der Kalif und
damit seinen letzten Seufzer aus.
f Klagegeheul und Jammer um den Todten,

vermischt mit feurigen Glückwünschen für den
neuen Herrscher erfüllten die Räume des Palastes,
während draußen der Ruf der Schalmeien die
Gläubigen zu den Stufen der Moscheen rief. Der
Jüngling aber entzog sich allen Huldigungen und
eilte flüchtigen Schrittes durch die endlose Reihe
der Gemächer, bis er in einer Gartenstube eineu
ehrtvürdigen Greis im schlichten Gewand, die
altersgefurchte Stirn über ei» großes Buch geneigt, vorfand.

„Sunali", rief er gleich beim Eintreten dem Lesenden zu, „mein
Vater ist todt!"

Der Alte erhob sein Antlitz, kreuzte die Arme auf der Brust und rief:

„Allah schenke ihm die Freuden seines siebenten Himmels! Aber
was führt Dich zu solcher Stunde in mein ärmliches Gemach?"

„Auf seinem Sterbebette hat mich der Vater ermahnt. Dich zu bitten,
daß Du mein Lehrer und Führer sein möchtest zum Tempel der Weisheit."

„Zum Tempel der Weisheit? Herr! Da muß er kurz vor seinem
Tode ihr nahe gewesen sein, sonst sind die Kalifen schon weise, wenn
sie noch in den Windeln der Amme liegen. Indessen, sein Wille geschehe,
ich bin bereit Dich zu führen. Aber, Du neuer Herrscher der Gläubigen,
soll unsere Wanderung mit Erfolg gesegnet sein, dann mußt Du während
der ganzen Zeit vollständig zu vergessen suchen, wer Du bist, mußt hören
und lernen und fragen bis Deine leisesten Ztveifel gelöst sind. Nur so
gelangst Du zum Tenipel der Weisheit, und bevor Du denselben erreichst,
hast Du durch zwei andere zu schreiten, den Tempel der Wahrheit
und der Gerechtigkeit, wo Du geprüft wirst. Von hier erst gelangst
Du zum Ziel Deiner Wünsche, von dem aus man die Welt und sich
selbst beglücken kann."

„So laß uns denn nicht säumen", rief der Jüngling, „ich vertraue
Deiner Führung, um weise und gerecht zu werden, wie meine Vorfahren."

„Deine Vorfahren, mein Sohn, sind nie dem Tempel der Weisheit
nahe gekommen."

„Aber die Geschichte ..."

„Wurde von Menschen geschrieben, welche dafür belohnt sein wollten,
aber mit Wahrheit verdient man nicht viel auf Erden. Willst Du also
nur so weise und gerecht werden, wie Deine Vorfahren, so können wir
den Weg und die Mühe sparen. Für ein Häufchen Gold kannst Du
das alles haben."

„Nein, nein, ich hasse den Schein, ich will den Ruhm nicht kaufen,
will ihn verdienen. Führe mich und ich wenigstens werde Dich für die
Wahrheit fürstlich belohne::."

„Sprich nicht von solchen: Lohn. Der Mensch braucht wenig nur
hienieden und braucht auch das nicht lange. Da aber in Deinen Händen
das Wohl und Wehe von Millionen meiner Mitmenschen ruht, so
werde ich Dir dienen, wenn auch mit geringer Hoffnung nur."

„O, Du bist kleingläubig, Du kennst meinen Enthusiasmus nicht."

Bei diesem letzten Worte zuckte der Alte mit den Achseln, aber
zögerte nicht länger, band die Sandalen unter die Sohlen, gürtete sein
härenes Gewand und den Wanderstab ergreifend, rief er:

„So folge mir, ich bin bereit."

„Aber doch so nicht?" rief der junge Herrscher erstaunt. „Wie
ein Gesandter sollst Du angethan sein, und vor allem soll ein
stattliches Gefolge für alles Sorge tragen, was zur Reise eines
Herrschers gehört."

„Wer den Weg zur Weisheit gehen will, geht wie er ist. Wenn
Du aber eiu Gefolge brauchst, so geh' mit Deinem Gefolge."

„O", rief der Jüngling zornig, „es hat sich mein Vater in Dir
getäuscht, drum hat er auch nicht mit Dir gehen wollen, denn Du bist
ein Querkopf. Ich aber werde den Weg auch ohne Dich finden."
 
Annotationen