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Eine Abtheilung friedlicher Manifestanten,
hauptsächlich aus Jünglingen und Mädchen
bestehend, bewegte sich, die Achtstundenpetition
tragend, in festlicher Stimmung zum Gemeinde-
haus, als sie—ohne die gesetzlich vorgeschriebene
vorherige dreifache Aufforderung zum Ausein-
andergehen und ohne Trommelsignal — mit
einer Schußsalve empfangen wurde; zehn blu-
tige Leichen, meist
Kinder und halb-
erwachsene Mäd-
chen, und zahl-
reiche Verwun-
dete waren das
Werk der klein-
kalibrigen Ku-
geln. Die Regie-
rung vervollstän-
digte sodann ihre
Mordthat durch
ein Justizverbre-
chen. Sie ließ
einen Prozeß ein-
leiten — nicht
etwa gegen die
Fabrikanten, die
Polizei- und Ge-
meindebehörden
von Fourmies,
welche die Sol-
daten in provoka-
torischer Absicht
herbeigerufen,
auch nicht gegen
den Offizier, der
ohne vorherige
Aufforderungen
auf die ahnungs-
lose Menge hatte
feuern lassen, son-
dern gegen den
Arbeiter C ul ine,
den Schriftführer
der sozialistischen
Parteigruppe von
Fourmies, und
gegen Paul La-
sar gue, das Vor-
standsmitglied
der marxistischen
Arbeiterpartei.
Culine wurde
der Anstiftung zu
einem „bewaffne-
ten" (!) Auflauf,
Lafargue der An-
stiftung zum —
Todtschlag be-
schuldigt, die er
durch einen in
Fourmies drei
Wochen vor der
Ordnungsmetze-
lei gehaltenen
Vortrag begangen
haben sollte. Und
es fanden sich Ge-
schworene, welche
die blutbefleckte Regierung durch einen Falsch-
spruch reinzuwaschen vermeinten. Culinewurde
zu sechs Jahren Zuchthaus und Lafargue zu
einem Jahre Gefängniß verurtheilt. Vergebens!
Constans bleibt für immer mit dem Kains-
zeichen: „Schlächter von FoUrmies" gezeichnet?
* In de» Senatswahlen vom Januar 1897 wurde Con-
stans selbst von den Senatswählern verworfen. Er gelangte
nur in Folge der frechsten Wahlfälschung seitens der scnatori-
schcn MandatSprüfungSkommisston wieder in den Senat. Eine
politisch aktive Rolle hat der Schlächter von Fourmies seit
der Ministerkrise vom Februar 1892 nie wieder gespielt.
Lafargue aber wurde im November 1891!
durch die proletarischen Wähler von Lille dem
Gefängniß entrissen, welche ihn bei einer Nach-
wahl in die Deputirtenkammer schickten. (Culines '
gesetzlich unmöglich. Er wurde aber in den
Jahren 1892—1899 fünfmal nacheinander in
den Gemeinderath von Roubaix gewählt.)
Gewerkschaften, Abschaffung der kommunalen
Verzehrungssteuern, Steuerentlastung für die
! kleinen Miethzinszahler, Entbindungsanstal-
ten , Alters-, Invaliden- und Nachtasyle,
Kandidatur war wegen der Zuchthausstrafe > unentgeltliche ärztliche Hilfe und Arzneien
zum Selbstkostenpreis durch Gemeinde-Apo-
theken und Anderes mehr. Dieses Programm,
das bald nachher den anderen sozialistischen
Richtungen zum
Muster diente,
hat ungemein viel
zu den sozialisti-
schen Erfolgen in
den provinziellen
Gemeindewah-
len von 1892
beigetragen (Pa-
ris wählt seinen
Geme.inderath
erst seit 1896
zu gleicher Zeit
mit der Provinz).
Die Arbeiterpar-
tei, theilweise im
Bunde mit andern
sozialistischen Or-
ganisationen, ge-
wann beim ersten
Anlauf 29 Ge-
meinderäthe, dar-
unter die von
Marseille, Nar-
bonne, Mont-
luyon und Rou-
baix, und ins-
gesammt 786 Ge-
meinderathssitze.
Ihre Kandidaten
vereinigten
in 91 Gemeinden
187531 Stimmen
auf sich.
Dieser Erfolg
warum so bedeu-
tender, als er das
erste Ergebniß
einer ausgedehn-
ten sozialistischen
Wahlaktion in
der Provinz
darstellte.
Es war ein
harter Schlag für
die Bourgeoisie,
daß Städte wie
Marseille, Nar-
bonne, Mont-
luyon und Rou-
baix in die Hände
der Sozialisten
fielen. War doch
die städtische
Selbstverwaltung
mit Ausnahme
des von früher
her verdächtigen
Paris, im Gesetz
von 1884 auf eine
ziemlich freiheitliche Grundlage gestellt wor-
den, weil die Bourgeoisie die städtische Ver-
waltung als ihr thatsächliches Monopol be-
trachtet hatte. Und nun walteten als Bürger-
meister erprobte sozialistische Vorkämpfer, wie
Flaissiöres in Marseille, der Abgeordnete
Ferroul, Mitglied der Parteileitung der Ar-
beiterpartei, in Narbonne, der Metallarbeiter
Dormoy in Montlu^on und der Weber Carrette
in Roubaix. Die Wuth gegen die sozialisti-
schen „Eindringlinge" gab den Grubenbaronen
von Carmaux einen brutalen Racheakt ein.
s. I. Kuesde. 2. p. Lafargue. 3. 8. Deville. 4- 2> Iauräs. 5. L. vaillant. 6. A. Millerand. 7. I. Allemane.
Gleichfalls im Monat November tagte in
Lyon der neunte Jahreskongreß der Arbeiter-
partei. Hier wurde ein Kommunalpro-
gramm aufgestellt, eine Reihe praktischer, im
kommunalen Rahmen unmittelbar durchführ-
barer Reformen im Interesse des Proletariats
und der ärmeren Bevölkerung überhaupt for-
mulirt, wie z. B. unentgeltliche Schulküchen,
zweimal jährliche Vertheilung von Kleidern
an die Schulkinder, Achtstundentag und Lohn-
minimum für kommunale Arbeiten, städtische
Arbeitsbörsen unter Selbstverwaltung der