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der moderne Lehensadel. Ein System,
das sie sich entfremdete, wäre ein wahn-
sinniges, der Untergang des Julikönig-
thums." Von der Ministerbank aus probirte
Guizot.
man die Worte abzuschwächen, denn sie ent-
hielten nur zu viel Wahrheit. An 200000 reiche
Wähler — denn wählen durfte nur, wer zwei-
hundert Francs Steuern entrichtete — diktirten
der Gesammtheit ihren Willen, tyrannisirten
das Land. Die Kammer war die Hochburg
des Kapitalismus und gegen sie rannte die
Opposition früh schon zäh und heftig an, doch
immer erfolglos. Die erlauchte Versammlung
verrammelte ihre Pforten der Intelligenz und
! Müsterchen. Die sonst wohldressirte Mann-!
| schaft verstand einst den Ministerpräsidenten
| Guizot so fatal, daß sie das Gegentheil von
! dem votirten, was er wünschte. „O diese
{ Esel!" knurrte derselbe halblaut, worauf der
! nahe sitzende Beslap ihm boshaft zuflüsterte:
! „Die Herren haben's nicht gehört, soll ich's
! ihnen lauter sagen?" Natürlich verbat sich
! Guizot die Gefälligkeit.
Der Stimmenkauf florirte; wie hätte da die
Panamablume nicht auch schon blühen sollen?
Redner der äußersten Linken geißelten mit Wucht
die von oben geübte Bestechung und statistisch
; ward daraus dargethan, daß sie am meisten!
Honig leckten. Einer hatte 35 Stellen; ein
Zweiter 304 Stellen und Begünstigungen er-
gattert; ein Dritter, der ebenso schwere Beute
gemacht, hatte die Stirn, den Antrag auf eine j
Untersuchung dieser Mißbräuche einzureichen.
Kein Wunder, wenn bitterer Haß sich gegen die!
verdorbene Ausbeuterwirthschaft kehrte. „Was
ist die Kammer?" schrieb Lamennais. „Ein
Markt, wo Jeder sein Gewissen oder was er
dafür ausgiebt, gegen ein Amt oder irgend eine»
Vortheil feilbietet. Es ist das orientalische
Regime, das wir haben, mit Ausnahme der
seidenen Schnur; die Todespein ist deshalb nur
um so länger . . . Ein Rudel menschlicher Ge-
schöpfe, die zu dieser Schmach erniedrigt wurden,
sieht einzig nach dem Hundestalle aus... Reform!
Reform! Das ist die Losung, die schallen muß
von einem Ende des Landes zum anderen, von
Brest nach Straßburg, von Vayonne bis Dün-
kirchen. Eine durchgreifende Reform nur wird
uns befreien von der selbstsüchtigen Rasse der!
Feiglinge, Verräther und Aussauger. Frank-
reich kann nicht versinken — die Welt bedarf
Ist die Birne reif, so geht das Schütte^
leicht; sie niuß herunter. „Die beste der
publiken" hatte ihren ärgerlichen Wandel a»!
nahezu achtzehn Jahre gebracht, die Reife n>at
Lamartine.
vorgeschritten. Frankreich war der verlogenen
Willkür satt. Reform oder Revolution? so
lautete 1847 die kurze Frage. Neue Entwick-
lungen waren da, es rauschte auch die heiße
Quelle des Sozialismus aus der Erde. Jmpo-
nirten dessen Anhänger nicht durch Zahl und
Einfluß, so hatten sie doch ihren Glauben und
ihr Ziel und das bedeutet nie wenig. Und
wie Paris, war jetzt auch das ganze Land
nervös; Verwaltungsskandale verschärften die
nur Beamte fanden Einlaß; 1840 bestand sogar
mehr als ein Drittel aus Dienern des Staates,
die so sich selber kontrollirten. Die Majorität
war gesichert; nur spitzte sie zuweilen ihre
Ohren mangelhaft. Der Deputirte Beslay —
nachmals der Alterspräsident der Kommune von
1871 — erzählt in seinen Erinnerungen ein
seiner. Wenn Ihr darum — ich sage es den
Schüchternen—wenn Ihr keine friedliche Reforni
haben wollt, so werdet Ihr eine gewaltsame
haben. Wählt!" Lamennais wanderte auf ein
Jahr ins Gefängniß. Acht Jahre lang noch wan-
derte der amtliche Topf zum Brunnen; dann ging
er in Scherben.
Gereiztheit. Eine Mißernte hatte Hunger-
revolten erzeugt, eine geschäftliche Krisis äußerte
sich in schlimmen Bankerotten. Die Feder war
zum Springen aufgerollt. Der Triumph der
radikalen Schweiz, die Anzeichen in Deutsch-
land und Italien thaten das Ihrige hinzu.
Nur der greise König und sein Ministerpräsi-
Mlhelm Llos: Die Deutsche Revolution. Geschichte der freiheitlichen Bewegung von s8^8 und s8^y
Komplet in 2t tzeften k 20 pf. Sebunden M. 5.7N. in Deutschland und Vesterreich - Ungarn.
der moderne Lehensadel. Ein System,
das sie sich entfremdete, wäre ein wahn-
sinniges, der Untergang des Julikönig-
thums." Von der Ministerbank aus probirte
Guizot.
man die Worte abzuschwächen, denn sie ent-
hielten nur zu viel Wahrheit. An 200000 reiche
Wähler — denn wählen durfte nur, wer zwei-
hundert Francs Steuern entrichtete — diktirten
der Gesammtheit ihren Willen, tyrannisirten
das Land. Die Kammer war die Hochburg
des Kapitalismus und gegen sie rannte die
Opposition früh schon zäh und heftig an, doch
immer erfolglos. Die erlauchte Versammlung
verrammelte ihre Pforten der Intelligenz und
! Müsterchen. Die sonst wohldressirte Mann-!
| schaft verstand einst den Ministerpräsidenten
| Guizot so fatal, daß sie das Gegentheil von
! dem votirten, was er wünschte. „O diese
{ Esel!" knurrte derselbe halblaut, worauf der
! nahe sitzende Beslap ihm boshaft zuflüsterte:
! „Die Herren haben's nicht gehört, soll ich's
! ihnen lauter sagen?" Natürlich verbat sich
! Guizot die Gefälligkeit.
Der Stimmenkauf florirte; wie hätte da die
Panamablume nicht auch schon blühen sollen?
Redner der äußersten Linken geißelten mit Wucht
die von oben geübte Bestechung und statistisch
; ward daraus dargethan, daß sie am meisten!
Honig leckten. Einer hatte 35 Stellen; ein
Zweiter 304 Stellen und Begünstigungen er-
gattert; ein Dritter, der ebenso schwere Beute
gemacht, hatte die Stirn, den Antrag auf eine j
Untersuchung dieser Mißbräuche einzureichen.
Kein Wunder, wenn bitterer Haß sich gegen die!
verdorbene Ausbeuterwirthschaft kehrte. „Was
ist die Kammer?" schrieb Lamennais. „Ein
Markt, wo Jeder sein Gewissen oder was er
dafür ausgiebt, gegen ein Amt oder irgend eine»
Vortheil feilbietet. Es ist das orientalische
Regime, das wir haben, mit Ausnahme der
seidenen Schnur; die Todespein ist deshalb nur
um so länger . . . Ein Rudel menschlicher Ge-
schöpfe, die zu dieser Schmach erniedrigt wurden,
sieht einzig nach dem Hundestalle aus... Reform!
Reform! Das ist die Losung, die schallen muß
von einem Ende des Landes zum anderen, von
Brest nach Straßburg, von Vayonne bis Dün-
kirchen. Eine durchgreifende Reform nur wird
uns befreien von der selbstsüchtigen Rasse der!
Feiglinge, Verräther und Aussauger. Frank-
reich kann nicht versinken — die Welt bedarf
Ist die Birne reif, so geht das Schütte^
leicht; sie niuß herunter. „Die beste der
publiken" hatte ihren ärgerlichen Wandel a»!
nahezu achtzehn Jahre gebracht, die Reife n>at
Lamartine.
vorgeschritten. Frankreich war der verlogenen
Willkür satt. Reform oder Revolution? so
lautete 1847 die kurze Frage. Neue Entwick-
lungen waren da, es rauschte auch die heiße
Quelle des Sozialismus aus der Erde. Jmpo-
nirten dessen Anhänger nicht durch Zahl und
Einfluß, so hatten sie doch ihren Glauben und
ihr Ziel und das bedeutet nie wenig. Und
wie Paris, war jetzt auch das ganze Land
nervös; Verwaltungsskandale verschärften die
nur Beamte fanden Einlaß; 1840 bestand sogar
mehr als ein Drittel aus Dienern des Staates,
die so sich selber kontrollirten. Die Majorität
war gesichert; nur spitzte sie zuweilen ihre
Ohren mangelhaft. Der Deputirte Beslay —
nachmals der Alterspräsident der Kommune von
1871 — erzählt in seinen Erinnerungen ein
seiner. Wenn Ihr darum — ich sage es den
Schüchternen—wenn Ihr keine friedliche Reforni
haben wollt, so werdet Ihr eine gewaltsame
haben. Wählt!" Lamennais wanderte auf ein
Jahr ins Gefängniß. Acht Jahre lang noch wan-
derte der amtliche Topf zum Brunnen; dann ging
er in Scherben.
Gereiztheit. Eine Mißernte hatte Hunger-
revolten erzeugt, eine geschäftliche Krisis äußerte
sich in schlimmen Bankerotten. Die Feder war
zum Springen aufgerollt. Der Triumph der
radikalen Schweiz, die Anzeichen in Deutsch-
land und Italien thaten das Ihrige hinzu.
Nur der greise König und sein Ministerpräsi-
Mlhelm Llos: Die Deutsche Revolution. Geschichte der freiheitlichen Bewegung von s8^8 und s8^y
Komplet in 2t tzeften k 20 pf. Sebunden M. 5.7N. in Deutschland und Vesterreich - Ungarn.