Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0073
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
-« 2695

die Vorstandsmitglieder zu einer Geldstrafe
von fünfzig Gulden verurtheilt und den Be-
amten von den Behörden die Theilnahme an
dem Verein verboten. Um sich den Wirkungen
dieses Gesetzes zu entziehen, wurde am 5. August
1894 auf einem außerordentlichen Kongreß zu
Almeloo der fragliche Satz aus dem Programm
gestrichen und der Name des Bundes in „So-
zialistenbund" geändert. Damit hatte der Bund
auch das letzte, was er von der Sozialdemo-
kratie noch an sich hatte, für immer abgelegt.
. weitere Geschichte des Sozialistenbundes
Itmi6 Geschichte seiner Dekadenz. Durch '
Ablehnung der politikckev W

,-»ng der politischen BethaUgung hat fick
diese Organisation in eine hostnungslose Lag>
gebracht, in der jede Aktion für sie fast unmög
"ch rst. Die gewerkschaftliche Bewegung finde

ihre Zentrale ’ ■

Arbeiteriekr-.^" bem sogenannten „Nationale,
©ojinfttto btanat", ist also dem Einfluß bei
Gebiet ward"ck^ entzogen. Das polxtifdt)
tifdipn Sir«. • durch die Ablehnung der poli
schaftlicke ^-°°M°ssen; und die genossen
entsckie^e ^hatigkeit verwarf er fast ebenst
7a? bi° Politische. Die Fol e davo,

sächlich Stagnation - und that

^ s'ch w den drei Jahren seit 189-

, ui utn or .^

nicht ein einziges Ereigniß aus der Geschick;
dieser Organisation melden,'

tfche Leben Einfluß gehabt -

Ür noch immer eine gewisse Macht; noch imm

Tipfxov» t-N--

,.. eine gewrste Btacht; noch immc

werden sieben Organe ihrer Richtung veröffen

licht, — doch im öffentlichen Leben zählt fi

trotzdem nicht mehr, weil sie sich daraus bi

schränkt, zu protestiren oder über die „Revc

lution" zu theoretisiren. Das einzige Thätic

keUsseld der „Revolutionäre", wie sie sic

nennen, sind Protestversammlungen, die sie b>

,eder Gelegenheit abhalten. Das ist aber auc
alles.

Bei der Spaltung im Jahre 1894 sind noch
viele Sozialdemokraten aus den verschiedensten
Gründen im Bunde geblieben. Auf der Tages-
ordnung aller Kongresse figurirt daher auch die
wichtige Frage: Das Verhalten des Bundes
gegenüber der politischen Aktion. Bereits auf
dem Kongresse zu Leeuwarden im Jahre 1895
hatte der parlamentarische Teufel seine Hörner
gezeigt; dann hatten sich besonders in Amster-
dam einige hervorragende Mitglieder für Wahl-
betheiligung erklärt — aber der überwiegende
Einfluß Domela Nieuwenhuis' hatte überall
diese Versuche, zur Sozialdemokratie zurückzu-
kehren, scheitern lassen.

Auf dem Kongresse zu Rotterdam ist die alte
Frage der Wahlbetheiligung, die man so oft zur
Thüre hinausgeworsen hatte, und die doch immer
wieder zurückgekehrt war, gleichfalls zur Ver-
handlung gekommen. Man wußte, daß sich der
Bund diesesmal nicht wie früher durch eine
zweideutige Resolution um ihre Beantwortung
würde herumdrücken können. Denn Nieuwenhuis
verlangte, daß die Frage entschieden werde, der
Bund sich unbedingt für eine antiparlamen-
tarische Taktik erklären und auch den einzelnen
Mitgliedern die Theilnahme an der politischen
Aktion verbieten sollte. Er stellte daher auf
dem Kongresse drei Fragen: 1. Soll der Bund
als solcher sich an den Wahlen betheiligen?
Die Frage wird verneint. 2. Soll es den
Vereinen erlaubt sein? Die Frage wird ver-
neint. 3. Soll es den einzelnen Mitgliedern
erlaubt sein? Die Frage wird mit 32 gegen
20 Stimmen bejaht. Nun erklärte Nieuwen-
huis, nicht länger Redakteur des „Recht voor
Allen" bleiben zu können und Cornelissen, der
zweite Redakteur, schloß sich ihm an. Die Rath-
losigkeit war unermeßlich und die Verwirrung
blieb bis zum Schluffe des Kongresses. Der

Vorsitzende schloß die Verhandlungen mit den
Bemerkungen, daß das „Recht voor Allen"
nun bald ohne Redakteur sein und der Sozia-
listenbund der Geschichte angehören würde.

Mit diesem Kongresse kann der Anarchis-
mus in den Niederlanden für besiegt gelten.

Eine Volksbewegung, auch die proletarische,
fängt immer mit Protestbewegungen aller Art
an, in der naiven Meinung, daß schon die
Kenntniß des Unrechts Aufhebung derselben
bewirken würde. Sobald aber die Erfahrung
gelehrt hat, daß die Vernichtung der kapita-
listischen Ausbeutung nur dadurch zu erzielen
ist, daß das Proletariat auf allen Gebieten die
Macht erobert, dann ist die Zeit der leeren
Proteste vorüber und die der praktischen Aktion
gekommen. Eine Partei, welche sich nicht zu
dieser Einsicht aufschwingen kann, hat ihre
Schuldigkeit gethan und kann gehen.

Und doch — der Uebergang der alten Partei
zum Anarchismus schloß eine Periode ab, welcher
der Schreiber dieses nur mit Wehmuth gedenken
kann. War es doch eine schöne Zeit, als wir
voll Kampfesmuth uns einer Propaganda für
die Revolution widmeten, in dem naiven Wahne,
daß der große Tag, der „Kladderadatsch", bald
kommen würde. Wie viele haben, als ihnen
dieser naive Glaube genommen wurde, das
Kampfschwert niedergelegt!

Wenn die niederländische Sozialdemokratie
auch ohne den Utopismus jetzt wieder kampfes-
froh dasteht, so haben wir den Grund darin
zu suchen, daß an die Stelle des naiven
Glaubens von früher die reife Erkenntniß ge-
treten ist, welche uns die felsenfeste Ueber-
zeugung von dem endlichen Siege des Prole-
tariats auf dem von der Sozialdemokratie ge-
wiesenen Wege giebt.

(Ein zweiter Artikel folgt in Nr. 307.)
 
Annotationen