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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0098
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2720

Reichstags Abschied. «4«-

Uunf Reichstag, mach' dein Testament,
Zu Ende gehn deine Tage.

Ls widmet, wer deine Thaten kennt,

Dir keine Abschiedsklage.

Du bist deine Straße regelrecht
Nach Marschbefehl gegangen,

Du hast den Großen gedient als Anccht,
Gedient mit Zittern und Bangen.

Du wußtest weder Trost noch Rath,
wo's galt, ein Volksrecht zu wahren,

Du hast keine einzige Freiheitsthat
Gezeitigt in den fünf Jahren.

Du hast die Herrschsucht der Junkerschaft
Geduldet, genährt und gefestet,

Du hast mit des Landes Rraft und Saft
Den Militarismus gemästet.

Und wie von links auch mächtig scholl
Des Volkes wahre Stimme,

Du hast dich gern und demuthsvoll
Gebeugt ins Joch, ins schlinrine.

Du schwenktest ins Lager der Reaktion
Mit pauken und Trompeten —

So hast du erfüllt deine hohe Mission,

So hast du „das Volk vertreten".

Doch nun geschaufelt ist dein Grab,

Schon nahen deine Lrben:

Ls rühret sich landauf, landab
Lin frohes Stimmenwerben,
wie Blüthen in der Frühlingsnacht
Durchbrechen ihre Hülle,

So bricht hervor nrit Araft und Macht
Des zürnenden Volkes Wille.

Ls will sich nimmer demuthsvoll
Der Macht der Junker neigen,

Der Freiheit stolzer Phönix soll
Deiner letzten Ruhstatt entsteigen.

Des neuen Reichstags Wiegenlied
Lrtönt wie Donnern und Brausen;

In seiner Werkstatt steht der Schinicd,

Die Hainmerschläge sausen,

Die Funken sprühn, es wird zu Stahl,

Zu hartem Stahl das Lisen —

So soll das Volk zur neuen Wahl

Den Reichstag sich hämmern und schweißen.

So gilt's, bis daß die Stunde naht,

Die Flammen der Freiheit zu schüren,

Dann wird das Proletariat

Mit Wucht den Kammer führen. m K

Inhalt der Unterhaltung» -Beilage.

Herr Lieber nach Annahme des Flottengesetzes. (Illu-
stration.) — Nullen. Gedicht von N. Seidel. — Ungezwungene
Andacht. Gedicht von A. W. — Schnitzel. — Hoheit auf dem
Schützenfest. Gedicht. — Der rothe Stimmzettel. Eine Wahl-
geschichte von A. Südekum. (Zllustrirt.) — Heiteres aus den
Jahren 1848 und 1849: Achte um den König. Gedicht. (Jllu-
strirt.) — Der Knabe und die Schivalbe. — Politische Prü-
fungen und Untersuchungen. — Schnitzel.

Cuba,

So wird man denn um deinetwillen
Zerfleischen sich in Haß und Wuth.

Du schöne perle der Antillen.

Du Königin der blauen Fluth.

Und Hekatomben werden fallen.

LH' unerbittlich fest es steht.

Vb Tuba aus Hispaniens Krallen
In die Reu-Lnglands übergeht!

Du hast mit Recht feit vielen Jahren
Dein stolzes Mutterland gehaßt;

Ls hat durch seine pfaffenschaaren
von deinem Lebensmark gepraßt.

And was das feiste pack vergessen.

Das hat trotz aller Gegenwehr
Behaglich schlemmend ausgefressen
Lin gieriges Beamtenheer.

Sie haben es in allen Stücken
Auf spanisch gut mit dir gemeint;

Du warst der Schwamm, den auszudrücken
Sich Staat und Kirche eng vereint;

Dein Herzblut haben sie getrunken.

Bis in Verzweiflung du zuletzt
Nit blanker Waffe den Halunken.

Der Vampirschaar dich widersetzt.

Schon sah'n im Geist wir als Bezwinger
Dich in dem blut'gen Waffengang —

Da macht nach dir die dürren Finger
Die Republik im Westen lang.

And meint, sie braucht nur zuzupacken.

Um pfiffig schmunzelnd zum Beschluß

Die reiche Beute einzusackeu.

Die Spanien fahren lassen muß.

Sie sind nach dir schon lange lüstern.

Du wärst ein herrlicher Besitz:

Ls bläst die Eier die Zankee-Rüstern
Und lockert still der Adler Blitz.

Wohl wird das eigensllcht'ge Trachten
verschleiert salbungsvoll und keck.

Doch Tuba gründlich auszuschlachten.

Das ist der eigentliche Zweck.

Gerettet!

von vr. Reptilius.

Wie freudig kann das staatserhaltcnde Geniüth
des biederen Ordnungsmannes jetzt aufathnien:
die Maifeier ist vorüber, der Staat ist wieder
einmal gerettet! Es wäre aber schnöder Undank,
wenn man verkennen wollte, daß diese Rettung
einzig den fürsichtigen Maßnahmen der hohen
Obrigkeit und dem entschlossenen Eingreifen ein-
zelner kühner Staatsretter zu danken ist.

Am ersten Mai befindet sich das organisirtc
Proletariat der ganzen Welt im ausdrücklichen
Einvcrstündniß, das heißt, der heutigen Gesellschaft
steht eine Armee von Millionen Streitern einig und
entschlossen gegenüber. Welches Unheil konnte
aus dieser gefährlichen Situation entstehen, wenn
nicht der Ortsschulze von Winkelsdorf rechtzeitig
eine Versammlung verboten, der Gemeindediener
von Dummsdorf eine Maifestzeitung konfiszirt,
der Polizcidircktor von Kuhschnappel ein rothes
Bändchen beseitigt und der Senat von Bremen
einen Umzug verhindert hätte!

Durch eine ungehinderte Maifeier wären die
hervorragendsten Männer der Nation in direkte
Lebensgefahr gerathen. König Stumm hätte das
Gallenfieber bckouimeu, wenn die Arbeiter unter
den Klängen der Marseillaise an seinen Fenstern
vorübcrgezogcn wären, um gegen das goldene
Kalb zu demonstriren. Wie viele Kameele, bis

in die einflußreichsten Kreise hinauf, wären nervös
geworden, wenn sie die flatternden rothen Fahnen
im Festzug der Arbeiter gesehen hätten! Und der
arme, alte Hohenlohe! Wenn er von dem Ab-
schluß der internationalen Volker-Allianzen gehört
hätte, die ohne das Zuthun seiner diplomatischen
Schreiberstube mit den Bewohnern der wilden
Länder, Frankreich, Schweiz, England rc. am
ersten Mai zu Stande kamen, wäre er noch ohn-
mächtiger geworden, als er schon ist, und die
Welt hätte erfahren, daß die Berliner Diplomatie
nur deshalb ihren Geist nicht aufgeben kann, weil
sic keinen besitzt.

All diesem Unheil wurde durch polizeiliche
Beschränkungen der Maifeier vorgebeugt, und noch
größeres Uebel wurde verhütet durch die weise
Maßregel, das Militär der großen Städte am
ersten Mai in den Kasernen zu konsigniren. Wäre
dies unterlassen worden, dann hätte es leicht ge-
schehen können, daß der Minister Posadowsky
abgcsetzt, der Juliusthurm demolirt, der Grobe
Unfug-Paragraph außer Kraft gesetzt worden wäre.

Wenn trotzdem eine große Anzahl Mai-Ver-
sammlungen die öffentliche Ordnung erschütterten
und unzählige Maifest-Zeitungsnummern das Be-
stehen des heutigen Staates ernstlich in Frage
stellten, so trägt daran nur der Umstand die
Schuld, daß wir noch immer das neue Sozialisten-
gesetz nicht haben, welches König Stumm und
der Radatlmacher der „Haniburger Nachrichten"
so dringend wünschen. Um aber der Gefahr für
die Zukunft vorzubcugen, muß der Reichstag
ungesäumt ein scharfes Ausnahmegesetz gegen die
Sozialdemokratie annehmen, auch dafür Sorge
tragen, daß das allgemeine gleiche Wahlkecht ge-
hörig beschnitten oder noch besser ganz abgeschafft
wird. Damit würde die segensreiche Thätigkeit
des nun bald verflossenen Reichstags einen herr-
lichen Abschluß finden und der loyale Staats-
bürger könnte die Zipfelmütze noch etwas tiefer
über die Ohren ziehen.
 
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