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2724

Der rokhe Skimm;ellel.

Line Wahlgeschichte von Albert SüdeKum.

Der Herr Baron von Quenstedt ist ein rich-
tiger Dorftyrann.

Wenn er so die Dorfstraße entlang geht, den
Schnurrbart hoch aufgewirbelt, den Scheitel bis
zum Rockkragen peinlich gerade durchs spärliche
Flachshaar gezogen, an den Füßen die spiegel-
blank geputzten Reiterstiefel mit klirrenden Sporen,
die Reitpeitsche in der Hand — alle Hagel! ein
schneidiger Kerl, ein verflucht schneidiger Kerl.

Ja, die Reitpeitsche! Die ist unzertrennlich
vom Herrn Baron, oder er von ihr. Sie ist das
Zeichen seiner Tyrannenwürde und dient ihm, die
„angestammten" Herrenrechte ausgiebig zu wahren.
Früher nahm der hochgeborene Herr die „noth-
wendige" Prozedur des Respekteinflößens an
Knechten und Mägden vor, wo er „das Pack"
nur gerade erwischte. Aber seitdem man ihn mit
fünf Mark Strafe wegen thätlicher Beleidigung
hineingelegt hatte — er hatte blos einem „dreckigen
Polen das Fell ein bischen gegerbt" —, zog sich
der Herr Baron zur Wahrung seiner Herrenrechte
unter vier Augen zurück; aber auch das hatte
seine Schattenseiten; man hatte ihn eines Tages
mit brennend rother linker Backe und übel zu-
gcrichtetem Reitkostüm aus dem stillen Schasstall
zurückkehren sehen, wo er mit dem stämmigen,
starkknochigen Schäfer eine „kleine Auseinander-
setzung über Lümmerzucht" hatte vornehinen
wollen.-—

Ja, der Herr Baron von Quenstedt hatte es
schwer. Keine Zucht und Ordnung mehr unter
der „Bande"; höheren Lohn wollten die frechen
„Kerls"; sogar die „Weiber" fingen an, unge-
müthlich zu werden, wenn der edle Herr sich in
Gnaden herablassen wollte.. ..

Nicht mehr zum Aushalten! Und dann dies
„dämliche Bauernvolk"! „Dusselige Bande" —
„ivollen selbst ihre Gemeinde verwalten — 's wird,
weiß der Kuckuck, alle Tage schöner!" Sein Vater
hatte schon seit Ewigkeit her die Gemeindejagd
für fünfzig Thaler jährlich gepachtet gehabt; in
den ersten Jahren hatte er sie für denselben Preis
bekommen, hatte jahrelang die Hasen und die
Rehe geschont, um die „Geschichte mal 'n bischen
auf den Damm" zu bringen: und da kommt diese
„Bande" nicht nur mit Wildschadenklagen, son-
dern steigert ihm die Jagd bei der Pachtung so-
gar auf dreihundert Thaler. „Hungriges Gesindel
das!"

Aber er wollte es der Gesellschaft schon zeigen,
der Herr Baron von Quenstedt. „Schlau muß
der Mensch sein", sagte sich der Edle und Beste;
„werfen Korn und Rüben nicht mehr genug ab,
daß man sich anständig durchfressen und auch
mal ein paar ordentliche Spritzfahrten zu diversen
Generalversamnllungen nach Berlin u. s. w. unter-
nehmen kann, na, dann muß man eben was
anderes anfangen."

Und der Herr Baron hatte was anderes ent-
deckt. Auf einem wenig beachteten Feldschlag,
unweit des Dorfes — ein bischen kalt war der
Boden dort —, hatte er einen prachtvollen Thon
entdeckt. Jetzt her mit einer Ziegelei — in der
Stadt wurde rasend gebaut, die Backsteine waren
billig herzustellen, der Absatz gesichert — ein
Bombengeschäft mußte das werden! Nur einen
Haken hatte die Geschichte. Vor ein paar Jahren
hatte er einen erheblichen Theil von dem Felde
an die Gemeinde verkauft, die sich einen Friedhof
in der Nähe der Ortschaft sichern wollte. Die
paar Tausend Thaler waren ihn- ja damals ge-
rade „geschlichen" gekommen (großartige Sektreise
nach Berlin gemacht, acht Tage oder richtiger
Nächte pyramidal amüsirt!), aber natürlich -nutzte
er gerade das beste Thonlager in seiner Ahnungs-
losigkeit hergeben. So'n Pech! Er hätte sich

einen Esel nennen mögen, wen-i ein von Qnen-
stedt überhaupt jemals ein Esel hätte sein können.

Na, die Geschichte mußte eben wieder „eitt-
gerenkt" werden. Aber mit dem „Bauernpack"
war schwer etwas anzufangen. Was die „Horn-
viecher" erst mal haben, halten sie fest! Und
wenn sie was merken von seinen Plänen, dann
hatte er, wie gewöhnlich, die ganze Gesellschaft
gegen sich.

„Da hieß es also diplomatisch vorgehen.
Jeder Baron ist überhaupt der geborene Diplo-
mat! Donnerwetter! Uneinig machen, die „Sau-
bande", eine Partei im Gemeinderath gegen die
andere Hetzen und dann durch Ueberrumpelung
eine günstige Abstimmung erzielen.

Die Ziegelei war so gut wie sicher!

Und nun ging's los mit der Politik. Wenn
der Herr Baron durchs Dorf ging — und er
ging oft durchs Dorf — dann blieb er jetzt wohl-
wollend beim Büdner Meyer stehen (der „Kerl
hat 'ne große Sippe in der Gemeinde!") und
erkundigte sich herablassend nach den Witterungs-
aussichten. Das mußte doch mit dem Teufel zu-
gehen, wenn gegenüber der Kothsaß Schulze nicht
vor Neid geplatzt wäre! Auf der andern Seite
patschte der Herr Baron väterlich den- blond-
zöpfigen Töchterchen des Ackermanns Büchtekamp
auf den Kopf („Gräuliches Göhr", aber die „Alte"
war eitel wie ein Pfau und hatte die Hosen an;
also Büchtekamp war auch „sicher").

Na, und so ging das eine ganze Reihe durch.
Aber -nerkwürdig: als der Edle von Quenstedt
nach einiger Zeit „feinster Diplomatie" im Ge-
meinderath mal so eine kleine Versuchsfrage
wegen einer Wegregulirung stellte — da war die
ganze „Blase" wieder einig gegen ihn.

Tiefsinnig ging er einige Tage herum; das
angeborene blaue Blut sah man in den Stirn-
adern sich pressen; er vergaß, Meyer nach dem
Wetter zu fragen und der kleinen Büchtekan-p
auf den Kopf zu patschen.

„Vermaledeite Geschichte!" Das Mittel hatte
noch nicht verfangen. Und dabei drängte die Zeit.
Die Sache mußte in Fluß kommen. Er hatte
sich schon bei dem „ekelhaften Hebräer" Beitel
Goldstein Geld zum Brennofenbau gesichert und
sich schon ganz behutsam aus dem Lippischen einen
Ziegelmeister verschrieben. Der „Kerl" konnte
jede Woche kommen, und dann hätten die Bauern
ja doch gleich Lunte gerochen. Auf seinem eigenen
Felde die Fabrik z-i bauen hätte nicht halb so viel
eingebracht. Wirklich eine vern-aledeite Geschichte!
Halt! Jetzt hatte er's: das Rezept war wohl
richtig gewesen, aber das Mittel zu schwach. Die
Sache mußte kräftiger angefaßt -verden....

Aber wie?

Einen „echten Edelmann" verläßt sein Stern
nicht: da war ihm was eingefallen — ja, so
mußte es gehen. . ..

Reichstagswahlen rückten näher und
näher. Die „Vaterlandslosen" hatten die gute
Regierung zu einer Parlanientsauflösung ge-
zwungen.- Das Volk war zum Urtheil berufen
worden.

Dorf Quenstedt mar gut königstrcu und
patriotisch. Da war noch kein Tropfen sozial-
demokratischen „Giftes" eiugedrungen. Das wäre
ja auch noch schöner gewesen: wozu war denn
er da, er, Baron Hans Achim Theobald von
Quenstedt, Abkömmling von sechzehn, sage und
schreibe sechzehn, Ahnen?! Und Quenstedt ent-
warf einen Plan.

Gleich am anderen Morgen ritt der Herr
Baron nach der Stadt. Was er da wollte?
Nun, zunächst stärkte er sich durch ein saftiges
Beefsteak und eine Flasche Rothspohn. Und dann
begab er sich an seinen schönen Plan. Da sollte
irgendwo so'n Sozialdemokrat (er verzog immer
, den Mund, wenn er blos das „scheußliche Wort"
aussprechen niußte) einen kleinen Zigarrenladen

haben. Dahin lenkte Hans Achim Theobald feine
Schritte. Bald stand er vor dem Laden, holte
noch einmal tief Athem und trat dann schnell
entschlossen ein.

„Sie wünschen?" fragte ihn zuvorkommend
der rothe Zigarrenhändler.

„Möchte 'n paar Zigarren haben", näselte der
Baron, „hab'n Se denn ein anständiges Kraut?"

„Meine Kunden sind sehr zufrieden, hier eine
Brasil zu sechs Pfennig, hier eine ausgezeichnete
Ausschuß, acht Stück zu dreißig.. . ."

„Na, denn jeben S' mir mal n' Nutzender
drei von den Sechspfennigern", tron-petete Hans
Achim.

Während der Rothe ihm die Düten zurecht
machte, musterte der Baron sehr genau den Laden.
Da hingen an den Wänden große Plakate: „Ge-
nossen, agitirt für Eure Zeitung!" lautete das
eine; „Wer für Volkes Recht und Volkes Freiheit
ist, der wähle August Bebel!" stand auf einem
anderen. Und so fort. Plötzlich bemerkte Hans
Achim auf den- Ladentisch ein Häufchen kleiner
Zettel. Scheinbar unabsichtlich nahm er einen
davon auf und fragte: „Was is'n das?"

„Stiminzettel für Bebel."

„Na, da können Se mir auch mal 'n paar
mitjeben", meinte Hans Achim.

„Bitte, nach Belieben, nur zugegriffe», aber
auch anwenden!"

„Werd' ich besorgen", sagte der Baron be-
troffen, zahlte eiligst und verließ die Stätte des
„Schreckens". Kaum war er wieder in dem
Hotel angelangt, als er eiligst die Zettel, die er
unterwegs krampfhaft mit der Hand in der Tasche
festgehaltcn hatte, in seine Brieftasche versenkte.

„Pulle Medoc", rasselte er dann den dienst-
beflissenen Kellner an, „und diese Zigarren" (er
holte die Sechspfenniger heraus) „können Sie
Jhrein Hausknecht jeben. Mir bringen Se noch
'ne Importe, Bock, für fünfzig Pfennig. Aber 'n
bischen dalli!"

. Nachdem Baron Hans Achim Theobald von
Quenstedt die duftige Havana bis auf den Stumpf
aufgeraucht und der Flasche den Hals gebrochen
hatte, bestieg er gemächlich seinen Gaul und trabte
den heimischen Penaten zu.

„So", sagte er wohlbefriedigt zu sich selbst,
„jetzt werden wir die,Bande' schon kriegen. Wenn
das nicht hilft, hilft nichts mehr. .. ."

Der Tag der Wahl war herangekommen.
Hans Achim hatte „königstreue" Wahlzettel in
Masse für das Dorf besorgt; der Gemeindediener
hatte sie müssen von Haus zu Haus tragen, und
gewissenhaft hatte der Gendarm kontrollirt. „Seinen
Le-ltcn" pflegte der Herr Baron die „richtigen"
Zettel erst am Morgen der Wahl auszuhändigen.
So auch diesmal. Alles mar gut vorbereitet.
Die „Wahlschlacht" konnte beginnen.

Hans Achim -var natürlich Wahlvorsteher;
ihm zur Seite saßen zwei würdige Gemeinde-
schöffen. Und nun kamen sie heran, die Wähler,
 
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