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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0103
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2725

schwerfällig und verdrossen. Sie wußten ja doch,

daß die ganze Geschichte keinen Zweck hatte. Da

wählten sie und wählten, immer getreulich nach

Vorschrift bert Herrn Landrath — und der ging

dann in den Reichstag und machte den Mund

mcht mal auf, und ihr Elend und ihr Hunger,
und die ^

S^W). Steuern und Umlagen stiegen, die Söhne

wußten zum Militär; und sic, die Alten, plagten

mH vom frühen Morgen bis znni späten Abend.

"Ler erste Strahl der Morgcnröthe faub sie auf

Acker, und erst wenn die Nacht hernieder-

s""k, legten sie, zerschlagen und -ermattet von der

schweren Arbeit, Hacke und Spaten

schwieligen Hand. Aber besser wurde
ten, cwt..-.

vpoi-gen und der Kummer blieben immer

aus der
es nicht;

. u— «yuuu, Aver veper wuroe cs man;
rein Hoffnungsschimnter, dunkel, schwarz lag die
Zukunft vor ihnen: immer dasselbe Einerlei,
Arbeit, harte, unablässige Arbeit und kein Lohn
°afur.^ Und wenn sie den lastgekrümmten Rücken
und die mageren Glieder ins Grab legten, dann
am die Reihe an ihre Kinder... .

rauskricgt, dann sollt Ihr mich kennen lernen,
mich, Hans Achim Theobald von Quenstedt!" —

Die Verhandlung war rasch zu Ende.

Im Wirthshaus strömten die Bauern und
die Knechte zusammen und disputirtcn über das
fürchterliche Ereigniß. Von Hand zu Hand
wanderte der gräßliche rothe Stimmzettel; aber
jeder gab ihn rasch weiter — als wenn's heißes
Eisen gewesen wäre. Es wollte keine rechte
Stimmung aufkonimen: Einer mißtraute dem
Anderen. Der konnte ja gerade der Verbrecher
sein! Und ein Verbrecher war doch, >ver einen
Sozialdemokraten wählte, das mar abgemacht.
Der Herr Pfarrer hatte es mindestens zehn Mal
gesagt: ein Sozialdemokrat könnte nicht in den
Hinnncl kommen, die Hölle wäre eigentlich noch
zu schade für so einen Verworfenen.

Hans Achim Theobald saß währenddem hinter
einer Flasche Champagner in seinem gemüthlichen
! Jagdzimmer. „So", sagte er im Tone höchster
1 Selbstbefriedigung zu sich selbst, „das hätten wir

„August Bebel iu Berlin."

zu verlesen.

Eine ein ,0. ^ltv. „uanoraly von D.

^" ' ' ‘ »Landrath von D. auf X-leben
„Landrath von D. aus X-lebcn."

Sc> ging das eine lange Weile. Plötzlich
stockte des Barons Stimme. Er schnappte nach

Luft, gab sich einen Ruck, schleuderte den Zettel,

den er in der Hand hatte, weit von sich und
schrie:

„August Bebel in Berlin."!!

Der protokollirende Gemeindeschöfse suhr ent-
setzt auf: „Nicht möglich!"

— „Nicht möglich? Was?. Nicht möglich,
sagen Sie?? Ja wohl inöglich; ja ivohl, sage ich
Ihnen", brüllte Hans Achiin, „einen Schuft haben
wir in der Gemeinde, einen Strolch, einen nieder-
trächtigen Sozialdemokraten haben wir unter uns. (
Da lesen Sie selbst" — und damit hielt er dem
Biedermann den Stiimnzcttel vor die Nase. Und
seine Hand zitterte vor Empörung und sittlicher -
Entrüstung. „Raus muß der Schweinehund,
racis sage sch aus der Gemeinde; mit Hunden
^Ecn wir ihn weghchen, den Lümmel, so'n
Lausejungen." ... „Und mit dem Freibier ist es
mchts heute Abend, das könnt Ihr nur gleich dem >
Wmhe sagen; keinen Pfennig gebe ich für so'n
Pack, das einen Sozialdemokraten unter sich hat. ?
Pfm Deibel! Verdursten könnt Ihr meinet-,
wegen! Aber wenn Ihr mir den Schurken nicht 1

Thur,„e t" ^er Zettel war beendet. Vom wieder mal fein gedeichselt. Wenn sich die,Bande'
Achim dw sechste Stunde. Hans , jetzt nicht die Köpfe verhaut und in drei Wochen

zu verlese» ° ötc ^rne um und begann die Zettel wie Hund und Katze mit einander steht, will ich
Eine eintönio n ■ • Levy heißen!" Dann ging er ruhig zu seinem

L-leben" . o_e . „Landrath von D. auf Schreibzeug und schrieb zwei Briefe: einen an

mrt <T\ -r.

Beitel Goldstein, daß er das Geld zum Ban der
Ziegelei bereit halten sollte, und einen an Heinrich
Werner, den Ziegelmeister aus dem Lippischcn,
der schleunigst kommen sollte, um die nöthigen
Vorarbeiten für den Ban zu treffen.

Werner traf denn auch bald in Quenstedt ein.
Ein schlanker, hochgewachsener Mann, in dem
blondbärtigen, wetterharten Gesicht ein Paar
leuchtende, gute, blaue Augen, die einen lebhaften
Geist, einen scharfen Verstand und einen stahl-
festen Willen bekundeten. Fleißig saß er in
seinem Zimmerchen und zeichnete seine Pläne für
den Ringofen, für den Feldbrand, für die Trocken-
fächer, die Lagerschuppen und was alles dazu
gehört. Es gefiel ihm ganz gut in seiner neuen
Stellung. Zwar war der Baron ein närrisch
aufgeblasener Mensch, dessen Stolz im umgekehrten
Verhältniß zu seiner Intelligenz stand: aber gegen
Werner war er ausgiebig freundlich. Nur eins
fiel dem offenen Manne auf — die dumme
Heimlichthucrei. Kein Mensch sollte vorläufig
wissen, wozu der Fremde herbeigeholt mar, „der
Konkurrenz wegen" — wie der Baron sagte.

Abends verbrachte Werner gerne ein Stünd-
chen im Wirthshaus und bald hatte er ein paar
gute Freunde unter den Bauern gefunden. Sie
gefielen ihm, diese einfachen, biederen Menschen,
die häufig ein tiefes Gemüth unter ihrem linkischen,
unzugänglichen Wesen verbargen. Nur konnte er
zunächst nicht begreifen, wie die Angehörigen ein
und derselben Gemeinde in einem so sonderbaren
Verhältniß zu einander standen. Es mußte etwas
zwischen ihnen vorgefallen sein. Bald hatte es
Werner erfahren.

Also, das war das Schlimme! Einen Sozial-
demokraten hatten sie in der Gemeinde, und
Keiner wußte, wer es war!

Und da begann Werner eine leise, feine Arbeit.
Behutsam lockte er seine neuen Freunde in das
Gespräch, sprach mit ihnen über den „Fall"; und
wenn sich die Bauern genugsanr sittlich entrüstet
hatten, dann begann er ganz still kleine Fragen
einznwerfen. — „Ja, wißt Ihr denn eigentlich,
was so ein Sozialdemokrat will?"

Und wenn dann die thörichten Antworten
kamen von den „Theilcrn" und den „Zerstörern von
Thron und Altar, und Sittlichkeit und Ehe", und
was sonst so die gegnerischen Kraftphrasen sind,
dann rückte er — und er machte dazu fein bestes,
harmlosestes Gesicht — den Bauern langsam auf
den Leib und fragte sie, ob sie denn nicht ver-
ständen, daß ein Mann unzufrieden sein könne
mit den abscheulichen Zuständen von heute; ob

Und da begann Werner eine leise, feine Arbeit.
 
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