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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0110
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2732

Nus jfvau Justitias Ikinderstube. •*——

Wra domo.

ö^önnt' ich mir selbst und meinem innern Triebe
Nick) überlassen, würd' ich harmlos singen
Don Blumen, Sternen und von Schmetterlingen,
von Waldesrauschen und von Wein und Liebe,
Denn jeder Windhauch bringt in mir zum Tönen
Wie eine Aeolsharfe das Empfinden
Und bis mir einst im Tod die Sinne schwinden,
Häng' ich am Zarten. Lieblichen und Schönen.

Was für aparte Dinge ich empfunden
Beim Pirolslöten und beim Kinkenschlagen,
Wie eine Blume still ich heimgetragen.

Die ich in tiefem Waldversteck gefunden.

Wie wunderlich zu Nuthe mir gewesen.

Wenn unter mir die raschen Wasser rannen
Und Nebelschleier um den Pfad sich spannen —
Ls lohnte sich wahrscheinlich, es zu lesen.

Und wenn die Wiedergabe mir gelänge
Der Stimmungsschatten meiner Lebensreise —
Ich bin gewiß, daß meiner Lieder Weise
Unsäglich süß und dennoch traurig klänge.
Und daß von traumhaft zwingenden Gewalten,
Die selten tauchen aus den stummen Tiefen,
In denen sie im Unbewußten schliefen.

Ich für's Bewußtsein manchen festgehalten.

Doch wollt' ich auf die stillen Steige suchen.
Um mich der Traumwelt ganz zu überlassen,
So schlug an's Vhr derAothschrei mir der Kassen,
DerRufnachBrot, dasIammern und das Kluchen,
Und heiß im Auge brannten mir die Lhränen
Und angesichts so schrecklichen Verschuldens,
So kalten Hohns und unerhörten Duldens,
Ballt' ich die Kaust und knirschte mit den Zähnen.

Wär' ich ein Dichter, wenn ich kühl ertrüge
Den Lauf derWelt, dieHerrschaft derGemeinheit,
Den gift'gen Spott auf jedes Streben® Beinheit,
Den Sklavensinn, die Keigheit und die Lüge?
Nüßt' ich mich selbst unsäglich nicht verachten,
Wär' auf die Sprengung der verhaßten Bande,

War' auf die Sühnung der verjährten Schande
Gerichtet nicht mein Sinnen und mein Trachten?

Denn ehern sind, gewaltig sind die Zeiten,

Und -wen sie wie ein Krühlingssturm ergreifen.
Der kennt nur einePflicht: seinSchwert zu schleifen
Und für die Wahrheit und das Recht zu streiten;
Der läßt, wenn's sein muß, in den Tod sich Hetzen,
Wie ins Exil auf einer fremden Erde;

Daß frei das Volk, das wunderreiche, werde.
Muß er an Alles auch sein Alles fetzen.

Drück' ich in kühles Moos die Stirn auch heute,
So ist es nur, weil mich zu stetem Ringen
Die eigne Uampflust und die Gegner zwingen.
Weil ich mitunter der Erschöpfung Beute;
Doch ist zu mir, wie fern auch, der Trompeten
Mahnen und Werben nie umsonst gedrungen —
Ich bin noch immer hastig aufgesprungen.

Um festen Muths in Reih und Glied zu treten.

E. £.

Aus Frau Justitias Kinderstube.

Die Morgcnsonne stand schon ziemlich hoch
am Himmel. Gern hätte sic, neugierig wie sie
nun einmal ist, etwas Umschau gehalten im
Schlafzimmer der Frau Justitia. Aber dichte
Fenstervorhänge wehrten ihr den Eintritt. Vor
wenigen Stunden erst war die ehrsame Dame
von einem karnevalistischen Vergnügen heimgekehrt,
aus einem höchst exklusiven Kreise. Sie hatte,
als Themis, die griechische Göttin der Gerechtig-
keit und der ewigen Weltordnung, maskirt, sich
köstlich amüsirt, und that nun einen festen und
gesunden Schlaf. Aber auszuschlafen war ihr
nicht vergönnt. Plötzlich erhob' sich int Hause ein
immer lauter werdendes Geschrei und Gepolter.
Frau Justitia, die gerade träumte, daß sie zum
so und soviclten Male Hochzeit mache mit dem
Begriff des erworbenen Rechtes, fuhr empor, rieb
sich die Augen und horchte dem Spektakel eine
Weile. Als derselbe nicht nachließ, vielmehr
immer ärger wurde, sprang sic zornig mit einem

Satze aus den Federn, daß die Bettlade in allen
Fugen ächzte. „Liegen sich die nichtsnutzigen
Rangen schon wieder in den Haaren", rief sie
klagend aus. „Na wartet, ich will Euch kommen!"
Eins zwei drei war sie in ihren karmoisinrothen
Schlafrock und in die Filzpantoffeln gefahren,
um sich nach der großen Stube zu begeben, die
ihren Kindern, den Strafgesetzbuchparagraphen,
zum Aufenthalt diente.

Als Frau Justitia im höchsten Acrger die
Thüre öffnete, flog ihr der Gotteslästerungs-
paragraph, einen durchdringenden Schmerzens-
schrei ausstoßend, rücklings vor die Füße, so daß
sie beinahe über ihn gefallen wäre. Der Maje-
stätsbeleidigungsparagraph hatte ihm einen
fürchterlichen Faustschlag auf die ihren alttestamen-
tarischen Ursprung deutlich bekundende krumme
Nase versetzt. Sie blutete, die arme Nase.

Mit erhobener Faust stand der Majestäts-
beleidigungsparagraph da, als wollte er zu neuem
Schlage ausholen. Alle die anderen Paragraphen
stritten zu Zweien und Dreien lebhaft gegen-
einander. Ganz hinten in der Ecke wurde ein un-
ansehnlicher Knirps von einem hochaufgeschossenen
Bengel an den Haaren über die Bank gezogen
und nach allen Regeln der Kunst verhauen.

Einen Augenblick überschaute Frau Justitia
die wüste Szene; dann rief sie, die Hände über
dem Kopfe zusammenschlagend, aus: „Kinder,
Kinder, so vergeht Ihr Eure gute Erziehung!
Es ist ein Skandal, wirklich ein Skandal, wie
Ihr Euch betragt! Könnt Ihr denn gar nicht in
Frieden miteinander hausen?"

Der Gotteslüsterungsparagraph hatte sich, halb
besinnungslos, inzwischen erhoben, ivührend der
hinterseitig mißhandelte Knirps ein krampfhaftes
Schluchzen hören ließ.

„Was giebt's?" nahm Frau Justitia die Rede
wieder auf. „Wer hat angefangen? Heraus mit
der Sprache!"

„Der da!" rief der Gotteslästerungsparagraph,
auf den bösen Bruder zeigend, der ihm so übel
mitgespielt hatte.
 
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