Der Völkerfrühling.
In einem schelmischen Gedicht „Regenten-
folge bis zum Jahre 1862" zählte Fried-
rich Stoltze die Potentaten auf, welchen der
Himmel schnöde herunter dengelte, was er ihnen
vormals feierlich aufs Haupt gestülpt, und es
lantete am Schluß die trostvolle Lehre:
„Alls dem Allem wird vernommen.
Wie von Gott die Kronen komnien.
Daß sie aber dann und wann
Auch der Teufel holen kann."
Eigentlich wurde 1848 nur eine einzige „ge-
holt", aber die übrigen goldenen Reife hüpften
und rutschten bedenklich auf den Scheiteln und
manche saß eine Weile schief überm allerhöchsten
Ohr. Und ehe der Winter noch retirirte, war
der stürmische Lenz auf den Beinen, als hätte
das vorausgegangene Hungerjahr ihn früher auf-
gescheucht. Im Januar schon tobte der Kampf
in Palermos Straßen, bald war die Zitadelle
Messinas der einzige Punkt auf Sizilien, wo
sich die Königlichen festzukrallen vermochten, und
weil eine Kartätschenkur in Neapel doch nicht
rathsam schien, verlieh Ferdinand eine Ver-
fassung; das „Verleihen" hob damit an und
ging so prompt, wie Taschenspieler Kaninchen
aus deu Aermeln schütten. Carlo Alberto in
Turin that, was der Vetter im Süden, der
Großherzog von Toskana schloß sich an, der
heilige Vater nach längerem Zappeln auch.
Der italienische Stiefel war nervös geworden
von einem Ende bis zum andern. In den
lombardischen Städten brannte die National-
partei darnach, die verhaßten Weißröcke Oester-
reichs über die Grenze zu werfen, zu Padua
und Pavia rumorten die Studenten, in Venedig
gährte es und die Mailänder demonstrirten, bis
Radetzky ingrimmig das Standrecht verkündete.
Aber da flog in Wien die Metternichsche Bude
auf; man hatte endlich Luft — und die Insur-
rektion war da.
Es war ja märchenhaft, was in diesem von
Soldaten, Gendarmen und Pfaffen so sorglich
gehüteten Europa auf einmal geschah. An der
Seine ein Thron zerschmettert, ein König mit
seinem Bündel durchgebrannt, die Republik
proklamirt. Eine ungeheure Schraube mußte
losgegangen sei». Den Völkern war, als hätten
sie urplötzlich die Frucht vom Baume der Er-
kenntniß genossen. Die alten Gewalten, vor denen
sie gebebt, sie schreckten nicht mehr; es ward
nicht mehr nach Kabinetsordres regiert. Der
Despotismus stand unbeholfen, kreuzlahm, ängst-
lich rülpsend da — mit seinem Latein war's
aus —, ein böser Bube, der, jetzt um die gütige
Nachsicht seiner früheren Opfer bittend, die
Arme rathlos hängen ließ. Verwundert schaute
der deutsche Michel auf zu seinen grünen,
deutschen Eichen, denn Ostern war wirklich da,
die Herwegh und Genossen hatten nicht um-
sonst sie eingeläutet. Er durfte schwärmen und
rauchen und singen und raisonniren, auch das
verfluchteste Zeug jetzt lesen und schreiben und
drucken. „Wir haben's dreißig Jahre lang mit
Mäßigung versucht", rief Mathy noch vor dem
Märzzu Karlsruhe, „nunwollenwir sehen, ob wir
mit Wildheit nicht weiter kommen, sofern diese
Wildheit sich nicht auf die Ständekammer blos
beschränkt." Dazu die flammenden Worte in den
Klubs, die schrille Stimme einer von der Zensur
erlösten Presse — Herrgottsakrament, wie das
in allen Gauen wetterte und in der südwest-
lichen Ecke Deutschlands die Bilder der Revo-
lution von 1789 lebendig wurden! Dem liberalen
Bürgerthum fuhr's in die Glieder; keck schritt
es vor, die „Pöbelhorden" nicht scheuend, von
denen es nachmals sich sonderte, und der Bruder
Proletarier stürmte nach im naiven Wahne, es
werden auch ihm Errungenschaften blühen. Der
Großherzog von Baden stellte, der Noth ge-
horchend, drei muffige Minister vor die Thür.
Der König von Württemberg, in dessen Resi-
denz die Meuterei ausbrechen wollte, musterte
gleichfalls einige verhaßte Exemplare aus, was
freilich die Bauern da und dort nicht hinderte,
in Schlösser einzubrechen und Lehensbücher zuver-
brennen. Aus München war Lola Montez, das
Lumpenmensch, zwar ausgeräuchert worden, aber
die Ruhe nicht eingekehrt, und richtig witternd,
daß zwar die Bierkrüge bleiben, die politische
Form jedoch sich ändern werde, zog Ludwig I. von
Bayern den Purpurmantel aus und schlug sich
in die Büsche. Der Geist des Umsturzes regte
sich auch in den Hessen. „Unser Wechsel läuft
schon dreißig Jahre, drei Respekttage sei er
noch verlängert", erklärte Zitz vor Tausenden
in Mainz, „dann aber rücken wir in Masse auf
Darmstadt los." Darob ward der Monarch ganz
rührend mürbe. Der Nachbar Kurfürst in Kassel
sperrte sich nicht minder, den Stiernacken zu
beugen; zu lauge hatte er die Sultansrolle ge-
spielt. Erst mußten die Hanauer sich erheben,
die Bauern mit Knütteln sich nahen, die Pflaster-
steine der stillen Stadt aufgerissen werden, be-
vor er knurrend sich bequemte. Müde der ihnen
durch Adels- und Schreiberpack zugefügten Pla-
gen, rotteten sich auch die Nassauer zusammen.
Dieselben Forderungen wie allerwärts, dasselbe
Sträuben, dasselbe Entgegenkommen zuletzt.
Die Bauern schüttelten einige Lasten ab, wie's
im Schwabenland geschehen war, die Bürger
hatten politische Zugeständnisse auf dem Papier
und im Ueberschwang loyaler Freude pflanzten sie
Wachen vor dem Keller des Schlosses Johannis-
berg auf, damit das „Gesindel" nicht Fürst
Metternichs kostbare Weine saufe. Die Posten
thaten, der Sage zufolge, so heldisch daselbst
ihre Pflicht, daß sie beinahe nicht abzulösen,
vielmehr abzutragen waren.
Als echter und gerechter Holzapfelkopf sprach
Ernst August von Hannover zu den Abgeord-
neten, die für Einberufung der Stünde, für
Preßfreiheit und deutsches Parlament sich ver-
wendeten, in einem Tone, als mahne er Schul-
jungen vor schlechten Streichen: es sei das
Metier des Landesherrn, fürs allgemeine Beste
zu sorgen, das habe er immer gethan und werde
sich Weiteres überlegen. Und da ringsum der
Lärm anschwoll, erhielt die Besatzung Patronen
und Perkussionsgewehre. Adressen liefen ein;
die Bewegung sei von Fremden eingefädelt,
behauptete der Landesvater. Erst als es hieß,
die Göttinger Studenten marschiren heran und
unzweideutige Zeichen des Grimms sichtbar wur-
den, verzichtete die Majestät auf das Markten
und schmiß das Kabinet weg mit der Bemerkung:
„Nun, wenn's mit den Konservativen nicht geht,
versuchen wir's mit den Liberalen." Das war
in der Nacht des 18. März. Die Meldungen
aus Wien und Berlin hatten ihn doch gejuckt.
Und dieses Jucken befiel auch den König von
Sachsen, nachdem er sich mit verzweifelter Hart-
näckigkeit wider die Forderungen aufgelehnt.
Leipzig war der Ort, wo die Opposition, wesent-
lich unter der Führung Robert Blums, mit
Wucht einsetzte. Dresden war faul, so daß der
dort lebende Robert Prutz am 12. März verdrieß-
lich klagte: „Den allertrübsten Fleck in Deutsch-
land habe im Augenblick ich inne: Dresden,
das Reich der Kuchenfresser, die verwaschenste,
farbloseste, breiweichste Generation, die es bei
uns giebt; Volk wie nasser Schwamm, nicht Welf
nicht Ghibellin, bloße träge Maulaufsperrer,
In einem schelmischen Gedicht „Regenten-
folge bis zum Jahre 1862" zählte Fried-
rich Stoltze die Potentaten auf, welchen der
Himmel schnöde herunter dengelte, was er ihnen
vormals feierlich aufs Haupt gestülpt, und es
lantete am Schluß die trostvolle Lehre:
„Alls dem Allem wird vernommen.
Wie von Gott die Kronen komnien.
Daß sie aber dann und wann
Auch der Teufel holen kann."
Eigentlich wurde 1848 nur eine einzige „ge-
holt", aber die übrigen goldenen Reife hüpften
und rutschten bedenklich auf den Scheiteln und
manche saß eine Weile schief überm allerhöchsten
Ohr. Und ehe der Winter noch retirirte, war
der stürmische Lenz auf den Beinen, als hätte
das vorausgegangene Hungerjahr ihn früher auf-
gescheucht. Im Januar schon tobte der Kampf
in Palermos Straßen, bald war die Zitadelle
Messinas der einzige Punkt auf Sizilien, wo
sich die Königlichen festzukrallen vermochten, und
weil eine Kartätschenkur in Neapel doch nicht
rathsam schien, verlieh Ferdinand eine Ver-
fassung; das „Verleihen" hob damit an und
ging so prompt, wie Taschenspieler Kaninchen
aus deu Aermeln schütten. Carlo Alberto in
Turin that, was der Vetter im Süden, der
Großherzog von Toskana schloß sich an, der
heilige Vater nach längerem Zappeln auch.
Der italienische Stiefel war nervös geworden
von einem Ende bis zum andern. In den
lombardischen Städten brannte die National-
partei darnach, die verhaßten Weißröcke Oester-
reichs über die Grenze zu werfen, zu Padua
und Pavia rumorten die Studenten, in Venedig
gährte es und die Mailänder demonstrirten, bis
Radetzky ingrimmig das Standrecht verkündete.
Aber da flog in Wien die Metternichsche Bude
auf; man hatte endlich Luft — und die Insur-
rektion war da.
Es war ja märchenhaft, was in diesem von
Soldaten, Gendarmen und Pfaffen so sorglich
gehüteten Europa auf einmal geschah. An der
Seine ein Thron zerschmettert, ein König mit
seinem Bündel durchgebrannt, die Republik
proklamirt. Eine ungeheure Schraube mußte
losgegangen sei». Den Völkern war, als hätten
sie urplötzlich die Frucht vom Baume der Er-
kenntniß genossen. Die alten Gewalten, vor denen
sie gebebt, sie schreckten nicht mehr; es ward
nicht mehr nach Kabinetsordres regiert. Der
Despotismus stand unbeholfen, kreuzlahm, ängst-
lich rülpsend da — mit seinem Latein war's
aus —, ein böser Bube, der, jetzt um die gütige
Nachsicht seiner früheren Opfer bittend, die
Arme rathlos hängen ließ. Verwundert schaute
der deutsche Michel auf zu seinen grünen,
deutschen Eichen, denn Ostern war wirklich da,
die Herwegh und Genossen hatten nicht um-
sonst sie eingeläutet. Er durfte schwärmen und
rauchen und singen und raisonniren, auch das
verfluchteste Zeug jetzt lesen und schreiben und
drucken. „Wir haben's dreißig Jahre lang mit
Mäßigung versucht", rief Mathy noch vor dem
Märzzu Karlsruhe, „nunwollenwir sehen, ob wir
mit Wildheit nicht weiter kommen, sofern diese
Wildheit sich nicht auf die Ständekammer blos
beschränkt." Dazu die flammenden Worte in den
Klubs, die schrille Stimme einer von der Zensur
erlösten Presse — Herrgottsakrament, wie das
in allen Gauen wetterte und in der südwest-
lichen Ecke Deutschlands die Bilder der Revo-
lution von 1789 lebendig wurden! Dem liberalen
Bürgerthum fuhr's in die Glieder; keck schritt
es vor, die „Pöbelhorden" nicht scheuend, von
denen es nachmals sich sonderte, und der Bruder
Proletarier stürmte nach im naiven Wahne, es
werden auch ihm Errungenschaften blühen. Der
Großherzog von Baden stellte, der Noth ge-
horchend, drei muffige Minister vor die Thür.
Der König von Württemberg, in dessen Resi-
denz die Meuterei ausbrechen wollte, musterte
gleichfalls einige verhaßte Exemplare aus, was
freilich die Bauern da und dort nicht hinderte,
in Schlösser einzubrechen und Lehensbücher zuver-
brennen. Aus München war Lola Montez, das
Lumpenmensch, zwar ausgeräuchert worden, aber
die Ruhe nicht eingekehrt, und richtig witternd,
daß zwar die Bierkrüge bleiben, die politische
Form jedoch sich ändern werde, zog Ludwig I. von
Bayern den Purpurmantel aus und schlug sich
in die Büsche. Der Geist des Umsturzes regte
sich auch in den Hessen. „Unser Wechsel läuft
schon dreißig Jahre, drei Respekttage sei er
noch verlängert", erklärte Zitz vor Tausenden
in Mainz, „dann aber rücken wir in Masse auf
Darmstadt los." Darob ward der Monarch ganz
rührend mürbe. Der Nachbar Kurfürst in Kassel
sperrte sich nicht minder, den Stiernacken zu
beugen; zu lauge hatte er die Sultansrolle ge-
spielt. Erst mußten die Hanauer sich erheben,
die Bauern mit Knütteln sich nahen, die Pflaster-
steine der stillen Stadt aufgerissen werden, be-
vor er knurrend sich bequemte. Müde der ihnen
durch Adels- und Schreiberpack zugefügten Pla-
gen, rotteten sich auch die Nassauer zusammen.
Dieselben Forderungen wie allerwärts, dasselbe
Sträuben, dasselbe Entgegenkommen zuletzt.
Die Bauern schüttelten einige Lasten ab, wie's
im Schwabenland geschehen war, die Bürger
hatten politische Zugeständnisse auf dem Papier
und im Ueberschwang loyaler Freude pflanzten sie
Wachen vor dem Keller des Schlosses Johannis-
berg auf, damit das „Gesindel" nicht Fürst
Metternichs kostbare Weine saufe. Die Posten
thaten, der Sage zufolge, so heldisch daselbst
ihre Pflicht, daß sie beinahe nicht abzulösen,
vielmehr abzutragen waren.
Als echter und gerechter Holzapfelkopf sprach
Ernst August von Hannover zu den Abgeord-
neten, die für Einberufung der Stünde, für
Preßfreiheit und deutsches Parlament sich ver-
wendeten, in einem Tone, als mahne er Schul-
jungen vor schlechten Streichen: es sei das
Metier des Landesherrn, fürs allgemeine Beste
zu sorgen, das habe er immer gethan und werde
sich Weiteres überlegen. Und da ringsum der
Lärm anschwoll, erhielt die Besatzung Patronen
und Perkussionsgewehre. Adressen liefen ein;
die Bewegung sei von Fremden eingefädelt,
behauptete der Landesvater. Erst als es hieß,
die Göttinger Studenten marschiren heran und
unzweideutige Zeichen des Grimms sichtbar wur-
den, verzichtete die Majestät auf das Markten
und schmiß das Kabinet weg mit der Bemerkung:
„Nun, wenn's mit den Konservativen nicht geht,
versuchen wir's mit den Liberalen." Das war
in der Nacht des 18. März. Die Meldungen
aus Wien und Berlin hatten ihn doch gejuckt.
Und dieses Jucken befiel auch den König von
Sachsen, nachdem er sich mit verzweifelter Hart-
näckigkeit wider die Forderungen aufgelehnt.
Leipzig war der Ort, wo die Opposition, wesent-
lich unter der Führung Robert Blums, mit
Wucht einsetzte. Dresden war faul, so daß der
dort lebende Robert Prutz am 12. März verdrieß-
lich klagte: „Den allertrübsten Fleck in Deutsch-
land habe im Augenblick ich inne: Dresden,
das Reich der Kuchenfresser, die verwaschenste,
farbloseste, breiweichste Generation, die es bei
uns giebt; Volk wie nasser Schwamm, nicht Welf
nicht Ghibellin, bloße träge Maulaufsperrer,