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Jlber man hatte es ihnen versprochen und nun
stieß man sie in das alte Elend zurück. Der
Grimm der Arbeiter war eben so groß wie
begreiflich. Ein furchtbarer Zusammenstoß
mußte erfolgen; das fühlte Jedermann.
Schon am 22. Juni war Paris stürmisch
bewegt; man sah die Vorboten einer Revo-
Lavaignac.
lutio». Dennoch machten die Arbeiter noch
^nen Versuch der Verständigung. Eine Depu-
tation unter dem Arbeiter Pujol begab sich
zum Minister Marie. Dieser brutale Bourgeois
erklärte nur, wenn die Arbeiter nicht gutwillig
gingen, so würde man sie mit Gewalt in die
Provinz bringen.
Das brachte den Aufstand zum Ausbruch.
Aoch an demselben Abend machten die Arbeiter
eu>e große Demonstration auf dem Pantheon-
biatz and beschlossen, den andern Morgen auf
EM Bastillenplatz zu erscheinen. Von dort
ans begann, nach einer kurzen aber energischen
' nsprachx Pujols, jener furchtbare Kampf, der
uiter dem Namen der Junischlacht als die erste
? aste Schlacht der Verzweiflung des Prole-
ariats in der Geschichte verewigt ist.
Am Morgen des 23. Juni brauste und wim-
u>elte es in den Vorstädten, den alten Quartieren
der Revolution durcheinander, überall erhoben
sich Barrikaden, oft bis zur Höhe mehrerer
Stockwerke. UeberallflattertedierotheFahne,
vielfach mit dem Wahlspruch der Lyoner Ar-
beiter: „Arbeitend leben oder kämpfend sterben!"
Es wurden 414 Barrikaden gezählt. Das Paris
der Arbeit erhob sich solchergestalt gegen das
Paris des Kapitalismus.
Die Bourgeoisie hatte ihren General. Es
war Enger. Cavaignac, der ganz unverdient
in den Ruf eines aufrichtigen Republikaners
gekommen war. Er hatte in Afrika gegen die
Kabylen gekämpft. Ein so beschränkter Kopf
wie Cavaignac sah in dem Aufstand nur eine
schöne Gelegenheit, durch dessen Niederwerfung
neuen Glanz für die abgeblaßte Glorie der
Armee zu gewinnen.
Die Barrikaden wurden von den rasch zu-
sammengezogenen Truppen und von den Bour-
geois der Nationalgarde angegriffen. Ein Kampf
von furchtbarer Erbitterung entbrannte, und
der Fanatismus der Bourgeois war ebenso
groß wie der Fanatismus der Mobilgarde, in
der man das Pariser Lumpenproletariat organi-
sirt hatte, das sich für Sold für die Bourgeoisie
schlug und mit thierischer Rohheit hauste.
Aber die Arbeiter schlugen sich so tapfer
wie im Februar und sie gewannen sogar Terrain.
Die Linie ihrer Barrikaden rückte gegen das
Stadthaus vor und zwar ans mehreren Seiten.
Cavaignac meldete, der Aufstand sei nicht be-
zwungen; man müsse mehr Truppen aus der
Provinz herbeirufen.
Die List des Volkes ersann hunderterlei
Mittel, um den Aufständischen möglichst un-
bemerkt zu Hilfe zu kommen. Man veranstaltete
scheinbare Leichenbegängnisse und führte in den
Särgen den Kämpfenden Waffen zu; in Milch-
gefässen und Broten beförderte man Patronen.
Am 24. Juni trat Morgens die National-
versammlung zusammen. Die Bourgeoisrepubli-
kaner und die Reaktionäre, zitternd vor dem
drohenden Einsturz der „gesellschaftlichen Ord-
nung", hatten sich zu einander gefunden. Unter
dem Donner der wieder entbrannten Straßen-
schlacht wurde mit allen gegen 60 Stimmen der
Belagerungszustand über Paris verhängt
und dem General Cavaignac die Militärdik-
tatur übertragen.
Mit diesem Beschluß wurde die Wuth des
Bürger- und Klassenkrieges auf den Höhepunkt
getrieben.
Mit den massenhaft eintreffenden Verstär-
kungen gewann Cavaignac dem Aufstand am
24. Juni bedeutendes Terrain ab. Der Kampf
wurde zu einen: fürchterlichen Gemetzel, da die
Arbeiter sich mit äußerster Hartnäckigkeit wehrten.
Besonders heftig wurde der Kampf aus dem
linken Seineufer gegen das Pantheonviertel
geführt. Im Pantheon hatten die Arbeiter ein
Leschiagnahmc eines Waffen- und Munitionstransports der Insurgenten in einem imxrovistrten
Leichenwagen. (Zeitbild.)