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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0136
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— 2758

stark verschanztes Hauptquartier aufgeschlagen,
in dem sie sich wie in einer Festung sicher
fühlten, und es wurden auch die ersten Bataillone
der Mobilgarde von einem Bleihagel der Insur-
genten gleichsam weggefegt. Als aber weitere
Truppen anrückten, wurde ein mörderisches
Feuer auf die Insurgenten eröffnet; das Thor
des Pantheon begann endlich zu wanken und
stürzte krachend zusammen. Die Soldaten

drangen in die Kirche ein und richteten ein
furchtbares Blutbad an.

lieber zwei Barrikaden auf dem rechten Seine-
ufer giebt der Dichter Viktor Hugo, der im Juni
1848 in seiner Eigenschaft als Volksreprä-

sentant die aufständischen
Viertel durcheilte, in seinem
Roman „Die Elenden" fol-
gende plastische Darstellung:

„Es möge uns vergönnt
sein, die Aufmerksamkeit des
Lesers auf zwei Barrikaden
zu lenken. .. . Die eine ver-
sperrte den Eingang zum
Faubourg St. Antoine, die
andere verwehrte den Zugang
zum Faubourg du Temple.

Die Barrikade von St. An-
toine war ungeheuer; sie war
drei Stockwerke hoch und
700 Fuß lang. Sie versperrte
von einer Ecke zur anderen
die weite Einfahrt des Fau-
bourg, sozusagen die Einfahrt
dreier Straßen. Mit zackigen
Spitzen und Schießscharten
versehen, an Erdhaufen an-
stoßend, die selbst Bastionen
waren, da und dort Riffe
vorstreckend, mächtig ange-
lehnt an zwei große Vorge-
birge von Häusern des Fau-
bourg, erhob sie sich wie eine
Cyklopenmauer im Hinter-
grund des furchtbaren (Ba-
stille-) Platzes, welcher den
14. Juli gesehen hat. Neun-
zehn Barrikaden, eine hinter
der anderen, bauten sich staffel-
förmig hinter dieser Haupt-
barrikade auf. Man brauchte
sie nur zu sehen, um das ge-
waltige Leiden des mit dem
Tode ringenden Faubourgs
zu fühlen, das an jener letzten
Stunde angelangt war, wo
die Noth zur Katastrophe füh-
ren mußte-Auf der Barri-

kade St. Antoine wurde alles
zu Waffen gemacht. Alles,
was der Bürgerkrieg der Ge-
sellschaft an den Kopf schleudern kann, ging
von dort aus. Die Insurgenten, welche diese
Verschanzung vertheidigten, entsandten aus

ihren Karabinern kleine Stückchen Steingut,
Knöchel, Knöpfe und dergleichen. Alles war
wie von Sinnen. Kein Hohngeschrei, wie sonst
üblich, ging von der Barrikade aus, sondern
Schreie von unbeschreiblichem Ausdruck. Um
die Armee herauszufordern, kamen von Zeit zu
Zeit die Köpfe einer johlenden, wuthentbrannten
Menge zum Vorschein, über ihnen ragte eine
stachelige Reihe von Flinten, Säbeln, Stangen,
Piken, Hacken und Bajonetten hervor; eine
mächtige rothe Fahne flatterte im Winde; man
hörte Kommandorufe, begeisternde Kriegsge-
sänge, Trommelwirbel und das Jammern der
Frauen. . . . Wie aus einem elektrischen Un-
geheuer entstieg ihr ein beständiges Knistern und
Knattern, man sah dazwischen das Aufblitzen
entladener Gewehre. Der Geist der Revolution

schwebte über ihrem Gipfel, von welchem herab
die Stimme des Volkes dröhnte, die der Stimme j
Gottes gleicht.... Die ungeheure Barrikade!
erschien wie ein Felsenriff, an welchem die
Strategie der Generale aus der afrikanischen!
Schule scheitern sollte. . . . Kartätschen waren
hier nichts nutz, die Kugeln konnten weiter
nichts als Löcher machen; was nützte es also,
in dieses Chaos zu feuern? Den an die wilde-
sten Kriegsszenen gewöhnten Regimentern ward j
beim Anblick dieser furchtbaren Verschanzungen j
unheimlich zu Muthe.

„Eine Viertelmeile von ihr entfernt, an der }
Ecke der alten Rue du Temple, bemerkte man j

Tod des Lrzbischofs Affre von Paris. (Zeitbild.)

in der Ferne ein seltsames, bis zum zweiten
Stock der Häuserfront hinaufreichendes Mauer-
werk. . . . Diese Mauer war aus Pflastersteinen
kerzengerade, tadellos lothrecht wie mit dem
Winkelmaß aufgerichtet. Aus ihrer Höhe konnte
man auf ihre Dicke schließen. Auf der grauen
Oberfläche waren in regelmäßigen Abständen
fast unsichtbare Schießscharten angebracht. Die
Straße war, so weit das Auge reichte, menschen-
leer, alle Fenster und Thüren waren geschlossen.
Man sah dort Niemand, man hörte dort nichts,
weder einen Schrei, noch ein Geräusch, noch
einen Hauch. Es herrschte Grabesstille. Von
Zeit zu Zeit, wenn irgend ein Soldat, ein
Offizier oder Volksvertreter es wagte, die ver-
einsamte Straße zu beschreiten, hörte man das
Pfeifen einer Kugel und der Betreffende stürzte
verwundet oder todt zu Boden. . . . Keine un-
nütze Pulververschwendung, fast jeder Schuß
traf sein Ziel. Die hinter der Wölbung der

Bogendrücke, welche am Eingang der Straße
des Faubourg du Temple über den Kanal führt,
aufgestellten Soldaten der Angriffskolonne be-
obachteten ernst und gefaßt die furchtbare
Schanze, diese unbewegliche, gefühllose Stein-
masse, welche Tod und Verderben spie.... Die
von nur achtzig Mann vertheidigte und von
zehntausend angegriffene Barrikade hielt sich
drei Tage lang; am vierten Tage brach man
sich Bahn durch die mit Axthieben durchlöcherten
Mauern der Häuser; man stieg über die Dächer,
die Barrikade war umgangen und wurde ge-
nommen. Keiner der Vertheidiger dachte an
Flucht, alle, mit der einzigen Ausnahme des
Führers Barthelemy, ließen

sich dort tödten_"

Die elenden Verleumdun-
gen, die man über die Juni-
Jnsurgenten ausgestrent hat,
wurden lange geglaubt. Aller-
dings wurde der General
Brea, der mit den Insur-
genten unterhandelte, von
denselben niedergemacht, aber
nur, weil sie von ihm Verrath
befürchteten. Der Erzbischof
d'Asfre, der in Saint An-
toine einen Versöhnungsver-
such machte, wurde aus Miß-
verständniß erschossen und
zwar von einem Soldaten.
Dennoch hat man die Insur-
genten beschuldigt, ihn er-
mordet zu haben.

Die Truppen und beson-
ders die Mobilgarden ver-
fuhren wie Kannibalen; die
gefangenen Insurgenten wur-
den massenhaft erschossen, oft
vor den Augen ihrer Frauen
und Kinder. Vielfach wurden
auch Frauen und Kinder nicht
verschont. Das aufständische
Paris war mit Blut über-
schwemmt.

Bis zum 26. Juni dauerte
der Kampf; dann unterlagen
die Arbeiter. Nach dem Siege
wurden noch eine Menge von
ihnen niedergemacht und in
den Gefängnissen wurden sie
mit unglaublicher Rohheit
behandelt. Die Nationalver-
sammlung faßte den ihrer
würdigen Beschluß, die Ge-
fangenen in Masse in die un-
gesunden Gegenden von Ca-
yenne deportiren zu lassen,
und diese barbarische Maß-
regel ward an vielen Tausen-
den der Gefangenen vollstreckt. Die Führer
wurden von den Kriegsgerichten abgeurtheilt.

Die Wirkungen der Junischlacht waren unge-
heuer. Die französische Republik, ihrer besten
Vertheidiger beraubt, wurde dem Abenteurer
Louis Napoleon Bonaparte ausgeliefert.
Unter seiner Präsidentschaft wurde Frankreich
reaktionär regiert und das veränderte die ganze
europäische Lage. Denn das demokratische Frank-
reich hatte alle reaktionären Mächte Europas
durch seine bloße Existenz in Schranken gehalten.
In Napoleon erkannten sie sofort einen Ver-
bündeten.

Schließlich ward auch die republikanische
Bourgeoisie von dem Emporkömmling Bonaparte
niedergetreten und die Republik, die blos noch
der Form nach bestanden hatte, am 2. Dezem-
ber 1851 durch einen von einein feigen Morden
Unbewaffneter begleiteten Staatsstreich ver-
nichtet. W. B.
 
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