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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0142
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2764

-L- Mahnung.

Die Mahnung wurde kundgechan
Der stolzen herrschenden Macht:

ist nicht Sage, eF ist nicht Wahn,

Die neue Leit ist erwacht.

DaF Dunkel der alten Welt durchbricht
Mr Heller, leuchtender Strahl,

And glaubt ihr'F dein kündenden Worte nicht,
So glaubt eF der ehernen Lahl.

Der Lukunft Heere sind aufgestellt,

Millionen in dichten Neih'n —

Mr haltet euch noch für die Herren der Welt,
Millionen sagen: Mein!

Mr seid eF nicht mehr. Eine neue Macht
Wächst riesenftark heran,

Sie hat sich in tosender Wählerschiacht
Gebrochen die Siegepüahn.

„Die Ordnung hier und der Amsturz dort!"
DaF war euer Feldgeschrei,

DaF war euer trotziges Losungswort -
Millionen sprachen: Es sei!

Sie stimmten kühn und kampfesfray
Für das, was ihr „Amsturz" genannt,

Sie haben von eurer „Ordnung" so
Sich spottend abgewandt.

Mr seid gewarnt. So nützt die Lehr',
Gehorcht dem Gebote der Leit.

Mr werdet der Freiheit stürmendes Heer
Za nimmer besiegen im Streit.

Gebt Raum, wenn bor dem Amsturz ihr
So bange zittert und bebt.

Gebt Raum, wo frei sich daF Manier
Des Sozialismus erhebt.

Inhalt der Unterhaltungs -Beilage.

Jacob Audorf f. (Mit Portrait.) — „Een Doot is noch
buten!" Gedicht von Arno Holz. (Jllustrirt.) — Morsch im
Kern. Von Moritz Köhler. (Jllustrirt.) — Kommerzienrath
und Kommis. (Jllustrirt.) — Der ungerechte Lehrer. (Jllu-
strirt.) — Hobelspähne. — Eine schauderhafte neue Einrich-
tung. (Jllustrirt.) — Zumuthung. — Unmöglich. (Jllustrirt.)

Liberale Wahlsprüche.

Vor der Wahl: für Volkes Recht!

Nach der Wahl: ein Junkerknecht.

Vor der Wahl: die Arbeit ehren!

Nach der Wahl: das Heer vermehren.

Vor der Wahl: nicht Zoll noch Steuern!
Nach der Wahl: das Brot vertheucrn.

Vor der Wahl: das Volk sei frei!

Nach der Wahl: mehr Polizei!

Darum.

A. : Warum winselt der alte Bismarck noch
immer nach eineni Sozialistengesetz?

B. : Er kann es nicht mit ansehe,i. daß seine

Nachfolger klüger sind, als er. Sie sollen sich
durchaus mit Nachahmung seiner dummen Erreiche
blamiren. i

Wirksame Abhilfe.

A. : In Ostclbien muß der Dienstboten-
mangel schon sehr arg sein.

B. : Woraus schließen Sie das?

A.: Weil die Nationalliberalcn sich dazu
herbeilassen, in den Dienst der Junkerschaft
zu treten. _^

Zenkrumspolikik.

Ultramontaner: Das Zentrum verhält sich
zu den Militärforderungen nicht prinzipiell ab-
lehnend, sondern entscheidet darüber von Fall
zu Fall.

Sozialist: Sagen Sie lieber: von Umfall
zu Uinfall.

Ein alter Brief.

Dieser Tage fiel uns ein alter Brief in die
Hände, den ivir für unsere Leser reproduziren
wollen, weil er ein historisches Interesse hat. Er
lautet:

M., den 10. Juni 1873.

Geehrter Herr Justizrath!

Ich muß Sie in einer schwierigen Rechtssache
um Ihren Rath fragen. Am 18. März d. I.
feierte ich im Kreise meiner Familie und meiner
Freunde meinen Geburtstag. Es ging hoch her;
meine Freunde hatten das Haus bekränzt; es
wurde gesungen, geredet u. s. w. Wer beschreibt
unser Erstaunen, als mit einem Male eine zehn
Mann starke Polizeimannschaft aufzieht, die „Ver-
sammlung" auflöst und sämmtliche Theilnehmer
notirt. Motivirnng: es sei eine Versammlung
zur Feier der Achtundvierziger Revolution und
diese Versammlung habe Aergerniß erregt. Ein
Strafmandat auf hundert Mark an mich und
eins auf zehn Mark an jeden der übrigen Theil-
nehmer ließ denn auch nicht lange auf sich
warten.

Natürlich verlangten wir richterliche Ent-
scheidung.

Da zogen sie also auf, die Aergernißnehmer,
wie die falschen Zeugen im Prozeß Jesus von
Nazareth. Von ein paar ganz Dummen ab-
gesehen, die wirklich glaubten, daß ihre Gesinnung
moralischer sei als die unsere, waren es die beste»
Lumpen der Stadt, die ein Gendarm von Haus
zu Haus gesammelt hatte, anrüchiges Gesindel,
das seine Schmutzigkeit mit „guter Gesinnung"
recht aufdringlich parfümirt, um die Nase des
Gesetzes abznlenken (was für Mörder und Spitzel
bekanntlich eine Kleinigkeit ist). Natürlich erklärten
wir, daß wir ineinen Geburtstag gefeiert hätten,
daß wir uns außerdcin, wenn wir wirklich die
Revolution gefeiert hätten, auch dazu berechtigt
hielten; es stehe für jeden normalen Menschen
fest, daß die Revolution ihre guten Früchte ge-
tragen hätte. Eine dagewesene Revolution feiern,
heiße ja noch nicht, eine neue empfehlen re. Was
das Aergcrnißnehmen anlange, so beruhe das
auf Gegenseitigkeit; die Gesinnungen der Zeugen

seien uns ebenso anstößig wie ihnen die
nnserigen.

Selbstverständlich halfen Recht und Vernunft
uns nichts. Der Staatsanwalt erklärte, uns sei
kein Glauben zu schenken. Wenn es uns wirklich
nur um eine Geburtstagsfeier zu thun gewesen wäre,
so hätten wir diese Feier auf einen anderen Tag
legen müssen. Einem Staatsbürger könne nicht
das Recht zugesprochen werden, seinen Geburts-
tag innner an seinem Geburtstag zu feiern. Daß
wir gerade den 18. März, einen Tag der Schmach
für das Königthuni, gewählt hätten, lasse deutlich
die rechtswidrige Absicht erkennen. Hier sei ein-
mal wieder Gelegenheit gegeben, die sozialdemo-
kratischen Schandbuben die Hand des Gesetzes
fühlen zu lassen.

Einer von uns fragte den Richter, ob man
als Angeklagter sich solche Beschimpfungen ge-
fallen lassen müsse.

Er erhielt die Antwort, daß das Wort
„Schandbube" die Grenze des Erlaubten nicht
überschreite, und wurde dann wegen des Ans-
drucks „Beschimpfungen" in eine Ordnungsstrafe
genommen. Das Gericht schloß sich dann dem
Anträge des Staatsanwalts an, bestätigte die
Strafmandate und legte uns die Kosten auf.

Dieses Urtheil, geehrter Herr Justizrath, hat
nun bei mir eine Verwirrung aller juristischen
Begriffe hervorgerufen; ich weiß mir keinen Rath
und brauche Ihren Beistand. Ich bitte Sie also,
mir auf Grund Ihrer rechtsgelehrten Bildung
eine Frage zu beantworten. Diese meine Frage
geht dahin: Ist das von dem besagten Gericht
beobachtete Verfahren und die von ihm getroffene
Entscheidung als Rechtspflege zu betrachten
oder ist es einfache Schweinerei?

Im Voraus dankend,

Ihr

Fritz K.

Die Antwort des Justizraths ist unter den
Brief geschrieben. Sic lautet:

6. m. Ja und nein. Das kommt ganz ans
die Gegend an, in welcher sich der Gerichtssitz
befindet. (Name unleserlich.)

Jllstizrath.
 
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