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Blitzdrahk-Meldungen.

München. Or. Sigl hat sich aus Gram darüber, daß er nicht in
den Reichstag nach Berlin zurückkehren darf, mit Germania-Sekt vergiftet.

Italien. Die schlimmste Hungcrsnoth ist abgestellt, denn die
Italiener haben jetzt ihr reaktionäres Ministerium im Magen.

Eine wichtige Person.

(AuS einer Wirthshaus-UnterHaltung.)

„Wer ist denn der Mensch da drüben am nächsten Tische, der sich
so übermäßig anspruchsvoll benimmt? Hat er den Nordpol entdeckt oder
ein neues Pulver erfunden?"

„Keineswegs."

„Da ist er wohl ein unermeßlich reicher Nabob?"

„Im Gegenthcil — er bezahlt nie seine Schulden."

„Dann muß er doch wenigstens in seinem Berufe Hervorragendes
geleistet haben?"

„Er wurde aus seiner Schreiberstelle wegen Faulheit entlassen."

„Aber worauf bildet er sich denn so viel ein?"

„Er ist-Reserveoffizier."

Schnitzel,

Die Stellung des Reichskanzlers muß ernstlich gefährdet sein, denn
die Gerüchte über seine Abdankung werden mit ungewöhnlichem Eifer
amtlich bementirt. .

Die „Politik der Sammlung" ist nicht ohne Erfolg gewesen, denn
Miguel und Posadowsky haben eine erkleckliche Anzahl von Niederlagen
eingesammelt. „

Die Linke soll nicht wissen, was die Rechte thut — denn es ist den
Mitgliedern der Rechten im.Reichstage sehr unangenehm, wenn ihnen
von der Linken ihre Sünden vorgchalten werden.

Hvlrelspälznc.

Die Kammer Frankreichs war schlecht gelaunt,
Zornsprühend erhob sich die Linke,

Und die Minister mußten gehn,

Gehorchend ihrem Winke.

Als man dies in Berlin vernahm»

Sprach Miguel: Welch' ein Jammer!

Dort hat man an Lucanusscn ja
Eine ganze volle Kammer.

Die Spanier sind ganz trostlos, daß noch
immer die Nachricht von ihrer „entscheidenden
Niederlage" fehlt; jetzt werden sie sich ent-
schließen müssen, auch ohne diese Bankerott
zu machen.

Daß äuß're Feinde mit Gefahr
Uns drohen, ist Geflunker,
Gefährlich wird uns heut' allein
Der inu're Feind: der Junker!


Wenn die Regierung jetzt den rechten Weg einschlagen will, muß
sie dem Zuge nach links folgen.

Mein tiefes Mitleid sei geweiht
Den grimmen Judenhasserii;

Sie schlagen die Harfen voll Traurigkeit
An babylonischen Wassern.

Sic konnten mit ihrem Hep-Hep-Geschrei
Im Wahlkainpfe nicht bestehen,

Sic mögen ihr Bündel schnüren nun,
Und nach Jerusalem gehen.

„Heilung auch ans brieflichem Wege", versichern die Wunder-
doktoren. Einer derselben, Graf Posadowsky, hat sich aber überzeugen
müssen, daß wenigstens das „Uebcl" der Opposition nicht auf brief-
lichem Wege zu vertreiben ist. »y. ....._.

Ihr getreuer Sage, Schreiner.

Lied der Klerikalen.

Göttin mit den blöden Atigen,

Dummheit große Herrscherin,

Deinem festgefügten Throne
Naheit wir mit frommem Sinn.

Preis und Dank aus voller Seele
Sei von uns dir dargebracht,

Denn allein nur deinem Walten
Wir verdankeit unsre Macht.

Tausende an unsre Fahne,

Göttin, kettest gütig du,

Schließest ihrer Köpfe Fenster
Vor dem Licht der Einsicht zu.

Des Gehirns Vcrstandeskräfte
Wiegst du ein in tiefen Schlaf,

Und sie folgen uns, den Hirten,

In den Stall ivie Rind und Schaf.

Nus Bädern und Sommerfrischen.

Die Jnlisonne glüht uitb der Sommer ver-
langt sein Recht. Die besitzenden Klassen haben
sich heuer weit mehr angestrengt, als sonst, denn
sie wurden durch die Reichstagswahl gezivungen,
sich ein wenig mit öffentlichen Angelegenheiten zu
befassen, welche sie sonst vertrauensvoll dem
Reichskanzler und dem Schutzmanit überlassen.
Um so inehr bedürfen sie jetzt der Erholung, und
daher eilen sie massenhaft den Badeorten zu.

Freilich mag sich mancher gläitbige Rentier,
der die Worte seines nationallibcralcn Partei-
führers für bare Münze nimmt, etwas besoitneit
haben, ehe er sein Heim verließ. Die Zeitungen
»nd die Redner des Kapitalisnitis hatten ja ver-
sichert, es dürfe kein Sozialdemokrat gewählt
werden, weil sonst das Eigenthmn abgeschnfft
werde und allgemeiner Umsturz cintrete. Nun
ßnd eine Menge Sozialdemokraten gewählt wor-
den und es lag deshalb die Gefahr nahe, daß der
sozialdemokratische Wahlvereinskassirer in der
Stadt herumgehen und die Millionen der Bour-

geoisie einkassiren ivürdc; auch hätte man nach;
den Vorspiegelungen der liberalen Wahlredncr
erwarten müssen, daß der Bote des „Vorwärts"
im Ministerium erscheinen und den Ministern
mittheilen würde, sie seien abgesetzt und könnten
nach Hanse gehen; die sozialdemokratische Fraktion
werde das Weitere schon besorgen.

Aber alles dies ist nicht geschehen, der Um-
sturz ist augenscheinlich bis zum Eintritt kühlerer
Witterung verschoben worden und die Besitzenden
können sich in Frieden von ihren Strapazen erholen.

In Wiesbaden und in Baden-Baden
wimmelt es von nothlcidcnden Junkern, die ihre
Sorgen mit Champagner hinunterspülen. Wer
diese Leute sieht, der mag es gar nicht glauben,
daß sie vom Staate Armen-Unterstützung erhalten.

Auch die Kostgänger der Industrie-Arbeiter,
Leute wie Stumm und Krupp, spielen in den
Luxusbädern eine große Rolle; doch scheinen sie
weniger des Badens wegen hier zu sei», denn
von den Sünden, die ihnen zur Last liegen,
können sie sich doch nicht rein waschen.

In Marienbad weilen die dicken Aktionäre
der AkticngeseUschastcn, denen die Arbeit des
Couponabschneidens nicht die nöthige körperliche
Anstrengung bietet; die heilsamen Brnnnen-
gewässer helfen ihnen aber gewöhnlich auch nicht
viel — sie sollten lieber einen Monat in „ihren"
Fabriken arbeiten und Arbeiterkost essen, dann
würden sie schon mager werde».

Der pedantische Professor, der unter allen
Uniständen seine Ruhe haben will, geht zum Land-
aufenthalt am liebsten nach Sachsen, denn er
weiß, daß dort die sorgsamste Obrigkeit existirt,
welche das Krähen der Hähne, das Singen der
Nachtigallen, das Quaken der Frösche und sonstige
unerlaubte Geräusche als Ruhestörung und groben
Unfug verbietet.

Die Väter zahlreicher nnverheirathetcr Töchter
ziehen die Nordsee vor, denn sie glauben, daß
sich die für den Heirathsmarkt bestiinmte Waare
frischer erhält, wenn sie in der Sommerszeit
ordentlich eingesalzen wird. Der eigentliche deutsche

Philister aber reist nur in Gesellschaft ins Bad,
nicht um sich zu erholen, sondern um dort mit
Eifer die heimische Thätigkeit fortzusetzen, nämlich
Skat zu spielen.

Nu sein de Schdichwahl» glücklich ooch voriewer
Un schdili un friedlich Widder sein de Sassen;

Ich hädde fast infolge Kallenfiewer
Ä hölzern Schlafrock an mir messen lassen.

Ich forchde mich, ins Lläddchen frieh zu gucken.
Denn jede Schdichwahl had ja ihre Mucken,

Wammer ooch bcden dahd in allen Kärche»,

Wen» ooch de Dichder gramfhafd dahden dichde»,
Mer hadde doch z» schdrambeln un zu Märchen,

Um bei der Schdichwahl noch was auSzurichdc».

Ls gonnde sei», wie sehr mer uns ooch blackden,
Dasse uns eefach in de Silze hackden.

Ich zidderde ums deidsche Reich im Schdillen
Un efdersch gahm de Hoffnung mir ins Wanken,

So färchderlich vermehrn sich de Bazillen
Der rohden Umschdurz- und Radaugedanken.

Mer sah de Rohden wie de Hummeln schwärmen
In hunderd Greisen, un mit Hurrah schdärmen.

Wie warn se ehrschd in weideren fimf Jahren,
Wemmer zur Urne duhn de Schridde lenken.

In ihrer Riederdrachd mid »ns verfahren!

Mir wärds gans klüglich, duh ich daran denken,
vor Kummer ween ich Nachts i» meiner Kammer —
Ich sage Sie, es ist der reellste Jammer!

Nachdruck sämmtlicher Artikel ec. verboten.
 
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