Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0174
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2796

gesellschaft fühlte sich beispiellos geehrt, wenn
mein bunter Rock und meine blanken Knöpfe
beim Vereinsfest zu erblicken waren, alle Mäd-
chen aus den besseren Ständen verliebten sich in
mich und diejenigen, deren Liebe ich nicht zu er-
widern vermochte, begingen meistens Selbstmord.

Um so mehr empörte es mich, als ich eines
Tages einem unverschämten Zivilisten begeg-
nete, dem es nicht einfiel, mir ehrerbietig aus
dem Wege zu gehen und der obendrein murrte,
als ich ihn bei Seite stieß. Ich sagte ihm, daß
er das „Maul" zu halten habe, und als er dies
nicht gutwillig that, stach ich ihn einfach todt.

Man hätte mich deswegen gern bestraft, aber
das war glücklicherweise nicht möglich, denn ich
stand nicht unter den bürgerlichen Gesetzen, und
meine Kameraden, die über mich zu Gericht saßen,
fanden, daß ich die militärische Ehre in schneidig-
ster Weise gewahrt hätte und sprachen mich frei.

Schlimmer wäre es mir beinahe ergangen,
als ich einen Kameraden, mit welchem ich über
die Bezahlung einer Flasche Sekt in Streit ge-
rathen war, im Duell erschoß. Da hieß es,
ich solle sechs Monate Gefangenschaft auf der
Festung abbüßen. Aber — ich brauchte blos einen
Monat zu sitzen, dann wurde ich begnadigt.

Noch mehr Glück hatte ich, als die Zeitungen
verleumderisch behaupteten, ich hätte eine Sol-
datenmißhandlung begangen. Die Untersuchung,
welche gegen die betreffenden Zeitungen ein-
geleitet wurde, ergab, daß ich nur einen beson-
ders schlecht marschirenden „Kerl" mit Säbel-
hieben traktirt hatte, daß der „Kerl" aber dabei
kein Schmerzgefühl empfand und mein Säbel
auch kein gefährliches Werkzeug im Sinne des
Gesetzes war. Natürlich wurden die verleum-
derischen Redakteure empfindlich verurtheilt.

Durch solche und ähnliche Thaten gelangte
ich zu großem Ansehen. Ich erhielt einen hohen
russischen Orden und ein Heirathsvermittler
theilte mir mit, daß zwei Millionäre sich um
die Ehre stritten, meine Schulden bezahlen und
mich Schwiegersohn nennen zu dürfen. Und
das alles wegen des bunten Rockes und der
paar blanken Knöpfe! Ich war berauscht vom

Glücke und fühlte mich bereits als höheres
Wesen über alles Zivil erhaben —da plötzlich,
wie ein Blitz aus heiterem Himmel, traf mich
das Verhängniß — ich mußte erfahren, daß
auch der Offizier strengen Gesetzen unterworfen
ist, daß sie mit größter Schärfe gegen ihn an-
gewandt werden — ich erhielt meinen Abschied
wegen eines schweren dienstlichen Vergehens!

Was hatte ich gethan? Sollte mir der todte
Zivilist noch Unannehmlichkeiten machen? War
das Duell übel vermerkt worden, oder hatte
der angeblich von mir mißhandelte „Kerl" nach-
träglich noch Schmerzgefühl empfunden? Ach
nein, es lag Schlimmeres vor: ich hatte den
Herrn Oberstlieutenant aus Versehen in einem
dienstlichen Schreiben „Oberlieutenant" titulirt.
Das fehlende „st" machte meiner Karriere ein
Ende, die Millionäre rissen sich nicht mehr um
mich, die Damen liebten mich nicht mehr und
die Wucherer verweigerten mir den Kredit.

So muß ich von Europa scheiden und mich
als Freiwilliger am spanisch-amerikanischen
Kriege betheiligen, damit ich wieder zu einem
bunten Rock komme. Denn der bunte Rock
regiert die Welt. ,

Poppier.

Ick will di vertellen cn lustiges Stück,

Von enen Schandarm, dat was so en Strick,
Dat was so en Kierl, de Düwel nich mal,

De nehm wat he kreeg, em was dat egal.

Verlöp sich en Snurrer inal in sien Renner,
Gliek reep he: bliewn's stahen, hem se ok Poppier?
Un was denn de Paß nich ganz richtig wesen,
Denn steek he em in, ohn all Ferrerlesen.

Wir ok mal en Bur, de har Kniepen in'n Magen,
De har sich vör körten de Hosen aftagen,

Un as he noch sitt un de Sünn schient so warm,
Dor durt dat nich lang dor kcm de Schandarm,
Un reep all von mieden, nah siene Manier:

„Ach hürn's, min Leiwer, hem se ok Poppier?"

Wat scgt dor uns Bur: „Poppicr mehn's? Was?
Nee laten's man sin, ick behelp mi mit Gras."

Julius Philipp.

Schnitzel. tW-

Ist es nicht eine Wahrnehmung, die zum Nach-
denken auffordert, daß heutigen Tages trotz aller
sogenannter Wohlthätigkeitsanstalten der Oberen
— Alters- und Invaliditätsoersicherung, Kranken-
kassen k. von Staatswegen — die Abneigung der
Untern gegen eben diese Oberen von Tag zu Tag
wächst? Sage mir, wie die Kinder über die
Eltern denken, und ich will Dir sagen, was die
Eltern werth sind. ,

Theologen sind Leute, die alles so zu wenden
wissen, daß die Lämmer heil bleiben und die
Wölfe satt werden. ,

Die Bretter, mit denen heute in Deutschland
die Vernunft der oberen Zehntausend vernagelt
ist, heißen nationale Ueberhebung und königlich
preußische Unterwürfigkeit. Und die Nägel dazu?
Bureaukratismus, Dogmatismus, Militarisnms
nebst einigen anderen — ismus.

Ja, sie schreiten fortwährend wie auf hallen-
dem Resonaüzboden, unsere Nobili und Granden.
Wo sie vorgestern tanzten, wo sie gestern jagten,
wo sie heute zu Mittag speisen — alle Zeitungen
verkünden cs. Hohl aber, wenn sie eines Tages
das Leben durchtobt und durchtollt, durchliebt und
durchlastert haben werden, hohl wie ihre Gruft-
platte unter dem Fuße des Wanderers, wird dann
ihr Name tönen, bei dem Nieniand sich etwas zu
denken vermag. „

Deutschland wurde zweimal unter die Haube
gebracht: unter die kirchliche Schlaf- und unter
die miliiärische Pickelhaube.

Unter Liberalen versteht man heutzutage
Leute, welche alle Ausschreitungen der Reaktion
in liberalster Weise dulden.

Die Armuth ist keine Schande für die Armen,
wohl aber für die Reichen.

Der wackere Fra Philippo saß mit mir am Feusterbogcn des Archivs.

NiHer Sanck Georg.

von Hans Wagenruth.

Auf rauhem Felsen lagert sich, eine geistliche
Festung, das Kloster von Monte Cassino; zu
seinen Füßen breitet sich die entzückende Land-
schaft des Südens, und der Blick umfaßt die
lieblichen Linien der Thäler und Flußwindungen.
Sylvesterabend war es, und der wackere Fra
Philippo, der der herrlichsten aller Bibliotheken
vorsteht, saß mit mir am Fensterbogen des Ar-
chivs. Vor uns stand eine schlankhalsige Korb-
flasche, gefüllt mit dem köstlichen Chianti, der das
Herz erfreut und den Sinn zu edlem Schwünge
bewegt. In tausend Lichtern strahlte das Fir-
mament, die Schroffen des Monte Cassino mit
bläulichen Farben übergießend. Wir blätterten
in einer alten Geschichte der Heiligen, die kunst-
sinnige Benediktiner mit zierlichen Miniaturen
verschönt und erläutert hatten. ^

Mit besonderer Sorgfalt, in satten Farben
war die Geschichte des Ritters St. Georg ge-
schildert. Da ritt auf schäumendem Falben der
schöne, sehnige Knabe im Lockenhaar, den Flam-
berg in klammernder Faust, er hielt ein süßes
Mägdlein schützend im Sattel und schlug mit
Einem Hiebe den greulichen Lindwurm. In
den Lüften aber jubilirten die Engel, pausbäckig,
rosig, mit Flöten, Geigen und Schalmeien,
gaukelten um das herrliche Paar und streuten
Myrthenblüthen und Rosen auf die holdselige
Gerettete.

Fra Philippo faßte zierlich, mit dem vor-
sichtigen Griffe des Kenners und Sammlers
 
Annotationen