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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0175
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2797

das feine Kunstblatt und sagte mit vieldeutigem
Lächeln: „Trinken wir ans das Wohl des heili-
gen Georg! Er hätte sich's wohl auch nicht
träumen lassen, daß er je einmal im Heiligen-
kalender erscheinen oder der Schutzpatron des
stolzen Albions würde, der Ruhm und das
Vorbild normannischer Ritterschaft."

Da ich staunend den Alten ansah, schob er
wir statt einer Antwort ein schmales Pergament
in die Hand, hieß es mich lesen und ging, die
Sylvestermcsse zu feiern. Während die Glocken
hallten, tiefe Sängerstimmen das alte Jahr ver-
abschiedeten und das neue begrüßten, las ich
im Büchersaal die folgende Historie, die ich den
Lesern sogleich in mein geliebtes Deutsch über-
trage:

„Ich, Pacharius, der letzte Ueberlebende des
Klosters in der thebaischen Wüste, der ich der
treue Begleiter des Bischofs Athanasius von
Alexandria bin, will das niederschreiben, was
nicht verschwiegen werden darf. Ob jemals
diese Blätter in anderer Menschen Hände ge-
rathen werden, das wissen nur die Sterne.
Seit fünf Jahren ist in meine Einsiedelei
auch nicht ein arabischer Räuber oder sonst
ein vermaledeiter heidnischer Strauchdieb ge-
kommen.

Eine große Schmach ist unserer katholischen
Kirche wie der gesummten Christenheit wider-
fahren, und das Feuer des Himmelszornes ist
noch nicht niedergefahren, die Frevler zu ver-
zehren. In allen Kirchen verehren sie, von
Konstantinopel bis nach Paris wie von Kar-
thago nach Athen, von London bis Nikomedeia,
den Ritter St. Georg; ihm widmen zahllose
Gläubige Bitten, Weihgeschenke, Prozession und
Kirchendienst.

Wer aber ist dieser Georg gewesen?

In Alexandria lebte seiner Zeit ein gewisser
Georg aus Kappadozieu, eines Walkers Sohn.
Der war ein schlauer skrupelloser Händler, be-
stissen des Verkehrs mit Indien. Er häufte
Schätze auf Schätze auf, und scharrte reiche
Gewinne zusammen, wenn es auch Unrechtes
Aut war, das er durch Lug und Trug erschlich,
^u allem Ränkespiel gewandt, mit den Großen
"nd Herren wohlbefreundet, ihr Günstling und
gläubiger, wurde er der reichste Mann in
"exandria, nachdem ihm die Armeeliefernngen
waren übertragen worden. Er lieferte den
^gionen, den Palatinen und den Grenzen
lausende von Wagenladungen Speck und Korn.
Stets aber im Bunde mit den Intendanten
und Proviantmeistern, die er bestach, lieferte
er weniger oder schlechter als ausbedungen war,

unterschlug Hunderttansende und prellte die
Soldaten um ihre Kost.

In Alexandria regierte nun der Bischof
Athanasius als ein leuchtendes Beispiel aller
Tugenden. Da mm der Bischofssitz eine Fülle
von Macht, Einfluß und Einkünften verleiht, da
der Bischof so viele Pfründen, Aemter, Posten
zu vergeben hat, trachtete der ungeschlachte
Kappadozier nach der Mitra und dem Krumm-
stabe des Athanasius. Georg streute das Gold
mit vollen Händen aus, schaarte die Raufbolde,
Gassenlnngerer und Taugenichtse der ganzen
Hauptstadt um sich, warb sie für seine Sache
und ließ sich preisen als den besten, selbstlosesten
und heiligmäßigsten aller Christen. Durch seine
Getreuen gelang es ihm, den Bischof in den
Augen des Volkes als einen Abtrünnigen zu
verdächtigen und eines schönen Tages, wo Atha-
nasius gerade das Hochamt hielt, stürmte Georg
mit seinen Leuten in die Kirche, trieb die Beten-
dert auseinander nnd ließ sich zum Bischof aus-
rufen.

Athanasius entwich mit Mühe in die ägyp-
tische Wüste zu uns, den Einsiedlern. Und
Georg bestieg den Bischofssitz.

Sechs Jahre hatte er nach seiner Willkür
geschaltet, Millionen zusammengerafft, alle
Aemter mit seinen Günstlingen besetzt. In
seinem Palast drängten sich Eunuchen und lose
Dirnen, ein rauschendes Bankett folgte dem
anderen, die Sophisten verfaßten Lobreden auf
ihn, die Dichter besangen seine Großmnth. Da
kam Julian der Abtrünnige zur Herrschaft, der
verfluchte Heide, und er brach ans nach Ale-
xandria, um an Stelle der Kirchen Tempel zu
errichten.

Während draußen vor den Thoren die Trom-
peten des Vortrabs die Ankunft des Kaisers
verkündeten, brach des Volkes Groll, der Christen
wie der Heiden, gegen den Kappadozier unge-
fesselt los. Er hatte heidnische und christliche
Mädchen entehrt, Heiden wie Christen aus-
geplündert, sie alle bedrückt und gehetzt. Ein
Hanfe junger Zensanbeter stürmte in seinen
Palast, erbrach die Thore, schleppte den Feigen
auf die Straße und erschlug ihn. ■ Auf einem
Speere ward sein Haupt durch die jubelnde
Stadt getragen.

So endete Georg. Man pries ihn jetzt als
ein Opfer der Heiden, als einen christlichen
Märtyrer. Mit Riesenschnelle wuchs diese
Fabel im Osten wie im Westen. Die katholi-
schen Gemeinden im Byzantinischen, in Arabien,
denen die Botschaft entstellt, gefälscht zngetragen
wurde, erhöhten ihren Widersacher zum Heili-

gen, und heute ist Ritter St. Georg der ge-
feiertsten einer unter den Leuchten der Kirche.

Ich aber, der ihn selber gekannt habe, den
Armeelieferanten, de» Wucherer, den prassenden
Gewaltherrn, hause hier mit blutendem Herzen
und kann dem Unheil nicht wehren."

So las ich, derweil der Kirchenmusik feier-
liche Weisen durch die Lüfte schwangen und der
Himmel ein großes Freudenfeuer von Sternen
zu Ehren des Nenjahrsmorgens angezündet
hatte.

Anderthalb Jahrtausende sind in den Schoß
der Ewigkeit versunken, neue Geister, neue
Kämpfe, neue Idee» steigen sieghaft empor.
Im Scheine der Lampe zittert schattenhaft jetzt
die farbige Kleinzeichnung der Heiligengeschichte.
Der Ritter St. Georg ist in wirre Linien ver-
zerrt, die Klinge, die er zückt, ist eine Speck-
seite, der Drache, den er fällt, wird zu einer
römischen Schatzkammer voll Sesterzen, die er
plündert. Der Schutzpatron von Engelland
zieht ein spitzbübisches Krämergesicht, die Lippen
lispeln keine Gebete, sondern murmeln von
Pfund, Schilling und Pence, und die Schöne,
die er im Arm hält, sieht aus wie ein Däm-
chen, das des Abends in Piccadilly ans Raub
ansgeht.

„Aber, Fra Philippo", rufe ich, da der Gast-
freund soeben hereintritt, „dieser Ritter St. Georg
ist ja ein ganz gemeiner Gauner."

Fra Philippo legt aber den Finger auf die
schmalen Lippen und flüstert leise, während
draußen der letzte Glockenton verzittert: „Mun-
dus vult decipi, die Welt will betrogen sein."
 
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