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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0176
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— 2798

Dir Sterbestunde eines Kaisers.

Bruchstück aus einem Manuskript „Clemens Metternich".
Von Sigm. Volisch.

Die Lust des Karnevals, wie wohl schon lange
im Zug, rauschte mit unerschöpflicher Lebhaftigkeit
durch die Straßen Wiens; es war am 1. März 183..
Nach den verschiedenen öffentlichen Tanzsälen und
Privatgesellschaften stürmten Wagen mit geputzten
tanzlustigen Männern und Frauen, Alles hinter
sich zurücklassend, was an Sorge und Traurigkeit
mahnt und die Freude stören könnte. Klänge
tönten, Lichter strahlten bis auf die Straßen, man
glaubte sich in eine Zauberstadt versetzt, aus welcher
das Elend der Erde zu fliehen gezwungen war.

Während Vergnügen, Heiterkeit und Jubel
die wunderbare Stadt und ihre Einwohner in
Anspruch nahmen, saß in einem der ansehnlichsten
Paläste der Residenz auf dem Ballplatz, in der
Nähe der kaiserlichen Hofburg, ein grauer, blasser
Mann ganz allein in seinem Arbeitszimmer,
wichtige Dokumente und Aktenstücke mit Eifer
prüfend und erledigend — es war der Fürst
Metternich.

Nein tritt ein Diener, die Thüre leise öffnend,
ein. „Ihre Exzellenz, der Graf Czernin wünschen
dringend ..

„Ich bin bereit," unterbrach der Fürst den
Diener, indem er hastig vom Arbeitssessel empor-
sprang.

Gleich darauf trat der k. k. Oberstkämmerer
Graf Czernin ein, ebenfalls ein Mann in sehr
vorgerückten Jahren, mit von Ausschweifungen
gerunzeltem Gesicht und bleichen Haaren.

„Wie befinden sich Ihre Majestät der Kaiser,
Graf Czernin?" frug der Minister rasch, ohne
eine Begrüßung.

„Schlimm, Ew. Durchlaucht", erwiderte der
Kämmerer nach einer tiefen Verbeugung.

„Seit einer halben Stunde hat die Krankheit eine
unheilvolle Wendung genommen; Ihre Majestät
wünschen Ew. Durchlaucht sogleich zu sprechen."

Der Fürst klingelte seinem Kammerdiener,
ließ sich ankleiden und folgte dem Abgesandten
des Kaisers.

Im Vorsaal standen die Diener lautlos mit
gesenkten Häuptern neben einander. Sie machten
den beiden Ankömmlingen ehrerbietig Platz; stumm
grüßend traten diese in das Gemach, wo der Tod

mit einem Gekrönten Abrechnung zu halten int Be-
griff stand, der sich zum Schicksal von Nationen
aufgeworfen, aber nun sein eigenes weder zu be-
herrschen noch zu lenken vermochte.

.Die Eintretenden fanden eine Gruppe uin
das Bett des Kranken, der blaß, mit geschlossenen
Augen, schwer athmend, da lag, ohne Theilnahme
an dem, was uin ihn her vorging. Zunächst an
dem Bette standen drei Hofärzte, mit spähenden
Blicken den Kranken beobachtend und die Schläge
des Pulses belauschend, neben ihnen hatte sich ein
Diener der Kirche postirt, mit frommer demüthi-
ger Miene und gefalteten Händen, die Blicke nach
oben gekehrt.

In einiger Entfernung von dem Kraitkenlager
standen mit gesenkten Häuptern die Glieder der
kaiserlichen Familie.

Es währte nicht lange, so schlug der Kranke
die Augen auf und hob den Kopf empor, als suche
er Jemand.

„Ist der Metternich noch nicht gekommen?"
frug er einen seiner Aerzte, den Baron Stift.

„Wohl, Ew. Majestät, er harret Allerhöchst
Ihrer Befehle", lautete die Antwort.

„Ich will allein mit ihm sein", sagte der
Kaiser leise zu dem Arzt.

Der Arzt wandte sich an den Oberstkämmerer
Czernin und dieser an den Fürsten Metternich
mit der kaiserlichen Willensäußerung, denn keiner
der beiden Schranzen wagte einen Verstoß gegen
die Hofetikette zu begehen und den kaiserlichen
Hoheiten die Weisung in zartester Forni selbst
anzudeuten.

Der Fürst Metternich aber, minder zaghaft
und die bevorstehende Unterredung in seinem
eigenen Interesse haltend, wandte sich an den ihm
zunächst stehenden Erzherzog Stephan mit einer
sehr tiefen, hofgerechten Verbeugung, um ihm von
dem kaiserlichen Wunsche Mittheilung zu machen.

„So!" erwiderte der Erzherzog rasch und be-
eilte sich, die übrigen Verwandten von dem Wunsche
zu verständigen. Ueberraschung malte sich in den
häßlichen Zügen der kaiserlichen Familienglieder.
Bei dem Einen und dem Anderen zuckte die welt-
berühmte habsburgischc Unterlippe, das von der
Natur gegebene Signal der immanenten Grausam-
keit und Treulosigkeit. Mit schlecht verhehlter
Wuth blickte die stolze Erzherzogin Sophie den
Minister an, der, wie sie voraussah, ihr die lieb-
sten Pläne durchkreuzen und ihren ehrgeizigen
Absichten felsenfeste Hindernisse entgegcnstellen
würde. Unter den Uebrigen theilte sich geheime
Freude und geheimes Bangen, je nachdem sie sich
ntehr von der Erzherzogin oder dem Fürsten
Metternich versprachen. Langsam zog sich die
Familie aus dem Gemach des Kaisers zurück.
Die Aerzte blieben; sie warteten auf den Augen-
blick, da der Monarch zu der Unterredung mit
dem Minister sich aufraffen würde. Nach wenigen
Minuten war dies auch der Fall; denn plötzlich,
mit mehr Kraft, als man ihm zugemuthet hätte,
hob der Kaiser das Haupt empor und sprach mit
fester Stimme: „Kommen Sie näher, Fürst Metter-
nich!" Die Aerzte entfernten sich und die Beiden
waren allein — der Herr und sein Diener, der
Meister und sein Geselle.

Der Kaiser begann: „Wir inüssen Abschied
nehmen von einander, Fürst Metternich, denn
meine Zeit ist um!"

„Gott wird das Leben Ew. Majestät noch
verlängern", erwiderte der Minister mit einem
Blick der Theilnahme und Rührung.

„Keine offiziellen Beileidsuoten heute, Fürst
Clemens Metternich!" fiel der Kaiser ein; „wir
wollen heute, weil es doch das letzte Mal ist,
ohne Zeremoniell, ohne Diplomatie miteinander
reden; wozu sollen wir dergleichen anwenden in
dieser ernsten Stunde? Ich fühle die Nähe des
Todes und Gott wird meine Tage nicht ver-
längern. Wozu auch? Ich habe das Meinige

gethau in dieser Welt, es ist an Ihnen, es fort-
zusetzen."

„An mir, Ew. Majestät?" frug demüthig der
Minister.

^ „Das ist's, worüber ich mit Ihnen zu reden
wünsche", nahm der Kaiser wieder das Wort.
„Hören Sie mich. Wir sind eine lange schwere
Zeit und eine weite Strecke miteinander gegangen.
Wir haben Manches miteinander vollsührt — die
Menschen nennen es Verbrechen —, wir haben
Gift und Dolchs geheime Netze angewendet, wenn
wir durch andere Mittel nichts ausrichten konn-
ten. Sie wissen es wohl, die Menschen nennen
das Unrecht; aber die Menschen, das wissen wir
Beide, sind unzurechnungsfähig. Wir sind die
Meister, die Menschen sind nur die Werkzeuge,
und der Meister fragt nicht nach der Meinung
der Werkzeuge, sondern gebraucht sie zu seinen
Zwecken. Es sind mir die Dinge alle jetzt ein-
gefallen, denn in der Nähe des Todes wird man
geäugstigt und nachdenklich über Vergangenheit
und Zukunft; ich habe nachgedacht, ob ich nicht
so Manches, das ich gethan, zu bereuen hätte."

„Ew. Majestät thaten Alles für das Wohl
des Höchstdenselben anvertrauten Landes, für das
Wohl der Unterthanen", benierkte der Minister.

„DiplomatischeRedensarten, FürstMetternich!"
versetzte über all« Maßen heftig der kranke Kaiser.
„Ich habe es für mich gethan, für mein Haus,
für meine Familie, und ich bereue es dennoch
nicht; ich jage sie von mir, die finsteren Gedanken,
die doch nur kommen, weil sie nüch schwach und
zitternd in der Nähe des Todes wähnen; sie sind
nichts als Gespenster, die vor der klaren Prüfung
zerfließen. Ich habe recht gethan, sage ich", rief
er wieder mit einer räthselhaften Kraft.

„Niemand zweifelt daran, daß Ew. Majestät
Ihrem Volke stets ein gütiger Landesvater ge-
ivesen und das Beste thaten für Ihre Unterthanen.
Niemand in Oesterreich zweifelt daran."

„Freilich, denn wir haben den Zweifel bei
Todesstrafe verboten, und das wirkt. Fürst, wir
dürfen wahrlich sagen, daß wir unsere Sachen
gut gemacht."

„Oesterreich ist ein glücklicher Staat geworden
unter dem segensreichen Szepter Ew. Majestät.
Wohin man blickt, Wohlstand."

Der kranke Kaiser lächelte wohlgefällig, als
er seinen Minister so sprechen hörte. „Ihr Diplo-
maten könnt einmal das Lügen nicht lassen. Wohl-
stand und Glück überall, sagen Sie/ Freund; wir
haben ihn nicht geschaffen. Mein Haus ist gut
bestellt und das genügt."

„Dieses erlauchte Haus ist der Grundpfeiler
des österreichischen Staates", versetzte der Minister,
„und es ist daher nothweudig, es zu stützen. Ew.
Majestät haben nicht nur Oesterreich, «sondern
Europa gerettet. Auf Helena liegt der sprechendste
Beweis allerhöchst Ihrer unsterblichen Ver-
dienste."

Eine seltsame Regung wurde an dem Kaiser
beinerkbar, als er sprach: „Ruhe seiner Asche.
Der dort liegt, hat uns viel zu schaffen gemacht,
aber auch sehr viel genützt; er fraß die französische
Revolution und wir fraßen ihn, so hatten wir
nüttelbar die Revolution verschlungen. Was für
ein erbärmlich und abscheuerregend Gezücht sind
doch die Völker, die Menschen oder wie man sic
heißt, die stumpfen, dummen Massen, da dieser
Mann zu Grunde gehen mußte, während wir
obenauf bleiben; pfui, ich schäme mich fast, daß
ich nichts Besseres zu thun habe, als geborene
Sklaven zu unterdrücken. Sie haben mir es zu
leicht gemacht und ich verachte sie.

„Es ist zum Lachen, daß sie mir ihr Blut
und sogar ihr Geld gaben, damit ich das Volk
dort drüben überm Rhein zurechtbringe. Wir,
ein paar Fürsten, haben ganz Europa in die
Höhe gebracht gegen das Volk, das sich vermaß,
etwas zu wollen."
 
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