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2840

Die beiden Nationen. ^

von Arno tjolz.

Aus Sandstein ist das gelbliche Portal,

Die rothen Säulen aus Granit gehauen.

Und seitwärts in ein weißes Piedestal
Vergräbt ein Löwe feine Marmorklauen.

Doch schwarz verhängt sind alle Kenster heut
Und Lichter brennen nur im Erdgeschosse,

Der Straßendamm ist hoch mit Stroh bestreut
Und lautlos drüberhin rollt die Raroffe.

Das Treppenhaus vertheidigt der Portier
Und schüttelt grimmig seine graue Mähne,
Und naht gar Liner aus der blaute volss.
Dann fletscht er cerberusgleich seine Zähne,
Im Prunksaal trauern hinter Klar und Lasst
Die bunten Inderstoffe aus Lahors,

Auch schleicht die goldbetreßte Dienerschaft
Auf Filzpantoffeln durch die Rorridore.

Der hochgeborne Hausherr, Exzellenz,
Schwankt wie ein Rohr umher auf bleicher Düne,
Die erste Redekrast des Parlaments
Kehlt heute abermals auf der Tribüne.

Zwar trat man gestern erst in den Etat,

Doch hat sein Kehlen diesmal gute Gründe:
Schon viermal war der greise Hausarzt da
Und meinte, daß es sehr bedenklich stünde.

Aach Eis und Himbeer wird gar oft geschellt,
Doch mäuschenstill ist es im Rrankenzimmer,
Und feine düstre Ceppichpracht erhellt
Aur einer Ampel röthliches Geflimmer.

Aleit offen steht die Thür zum Vestibül
Und wie im Traum nur plätschert die Kontäne,
Die Luft umher ist wie gewitterschwül.

Denn ach, die „gnäd'ge Krau" hat heut — Migräne!

.... Mit Sätteln wird die andere geboren!"

Karl Kösting.

Künf wurmzernagte Stiegen geht's hinauf
Ins letzte Stockwerk einer Miethskaserne;

Hier hält der Nordwind sich am liebsten auf
Und durch das Dachwerk schau'n des Himmels
Was sie erspäh'n, o, es ist grad' genug, sSterne.
llm mit dem Elend brüderlich zu weinen:

Lin Stückchen Schwarzbrot und ein Wasserkrug,
Lin Werktisch und ein Schemel mit drei Beinen.

Das Kenster ist vernagelt durch ein Brett
Und doch durchpfeift der Wind es hin und wieder.
Und dort auf jenem strohgestopften Bett
Liegt fieberkrank ein junges Weib darnieder.
Drei kleine Rinder steh'n um sie herum.

Die stieren Blicks an ihren Zügen hangen,
vor vielem Weinen ward ihr Nllndlein stumm
Und keine Chräne mehr netzt ihre Wangen.

Ein Ltümpchen Calglicht giebt nurtrüben Schein,
Doch horch, es klopft,was mag das nur bedeuten?
Es klopft und durch die Thür tritt nun herein
Ein junger Herr, geführt von Nachbarsleuten.
Der Armenhilfsarzt ist's aus dem Revier,

Den sie geholt aus Mitleid mit der Rranken,
Indeß ihr Mann bei Branntwein oder Bier
Sich selbst betäubt und seine Wuthgedanken.

Der junge Doktor aber nimmt das Licht
Und tritt mit ihm ans Bett des armen Weibes,
Doch gelb wie Wachs und spitz ist ihr Gesicht
Und kalt und starr die Glieder ihres Leibes.
Da schluchzt sein Herz, indeß das Licht verkohlt,
von nie gekannter Wehmuth überschlichen:
Weint, Rinder, weint! Ich bin zu spät geholt.
Denn eure Mutter ist bereits — verblichen!


Die Madonna in den Rosen.

Line Legende von Hans Wagenruth.

Das Boot mit den Purpurwimpeln stieß
vom Lande ab, und der Kiel durchfurchte beim
Takte der Ruder die tiefblauen Fluchen der
Adria. Wie ein riesiger Krpstallspiegel schim-
merten im Glanze der ersten Morgensonne Meer
und Halbinsel; über den Myrthen und Orangen
hing der süße Duftschleier, der sich aus den
Blüthen webte. Ueber die Fläche der Küsten-
gewässer hatte die Schöpferhand der Natur
zahllose kleine Eilande hingestreut, Juwelen
gleich, die in der Frühe leuchteten und strahlten.

Unter dem Zeltdach des Fahrzeugs saß auf
erhöhtem Sessel ein hagerer Mann, in kaiser-
lichem Purpur gekleidet; streng und kalt schauten
die Augen aus dem sorgendurchfurchten Ant-
litz. Diokletian war's, der seit Jahr und Tag
nun schon der Herrschaft entsagt hatte und in
seiner dalmatinischen Heimath schönstem Winkel,
bei Spalatum, sich einen Ruhesitz gebaut hatte.

Vorwärts flog das Boot, und aus und nieder
tauchten die Ruder. „Siehst Du", so sprach
der Kaiser zu dem Jünglinge, der zu seinen
Füßen saß, — es war Charikles, sein Geheim-
schreiber, der des Herrn Weltflucht getheilt
hatte —, „dort drüben die Roseninsel? Abseits
von dem Häufelwerke der übrigen schwimmt

sie wie verloren in der Adria. Mir, dem bitter-
gehaßten Diokletian, ist schon seit Langem wohl
bewußt, daß dort drüben die Getauften in
Heimlichkeit ihr Wesen treiben. Ein Tempel-
chen steht ihnen dort, ich aber regiere nicht
mehr und lasse sie gewähren. Du weißt es,
mein Charikles, daß ich freiwillig die Krone ab-
that und das Szepter von mir legte. Der alte
Kindskopf Maximian, mein Mitkaiser, den ich
zu seinem Besten mit in die Sicherheit des Privat-
lebens zurücksührte, drängt mich aus Mailand
mit immer neuen Briefen, die alte Last wieder
auf mich zu nehmen. Schreibe ihm heute noch:
,Wenn Du, o Maximian, den Kohl sähest, den
ich, Diokletian, mit eigener Hand in Salonä
gebaut habe, Du würdest mich nicht länger be-
rennen, die Freuden der Glückseligkeit mit der
Hetze nach der Macht zu vertauschen? Doch
auf zur Roseninsel!"

Charikles ritzte die Zeilen in das Täfelchen,
das er im Gürtel trug. Nun waren sie ani
Ziel. Die Schiffsmannschaft knüpfte mit Seilen
das Schiffchen fest und lagerte sich unter Lor-
beerbüschen am Ufer. Auf blumigem Pfade,
im Schatten breitwipfliger Kastanien und Ulmen
schritt der Kaiser dem Innern der Insel zu,
hinter ihm die Getreuen seines Gefolges. Als
Erster der Grieche Charikles, schlank, schwarz-
äugig, mit sehnigen Gliedern, in dem Prangen
der Jugend und Schönheit, frisch wie derMorgen-
thau. Daneben stapfte in schweren Schuhen,
breitschultrig, das Haupt von blonder Mähne
umwallt, der Oberste der Leibwache, Witticher,
eines Gothen und einer Alanin Sohn, dem das
holdeste Lautenspiel der Klang der Schwerter,
das schönste Lied das Krachen der Mauerbrecher
däuchte. Als Dritter folgte der Afrikaner Ha-
milkar, der früher des Kaisers geheime, gefähr-
liche Aufträge ausgeführt hatte; er glitt über den
Rain gleich einer Schlange, behutsam, leise, und
unter den schwarzen Brauen dräuten menschen-
verachtende Augen.

In dem Gezweigs schlugen die Sprosser,
lockten girrende Täuber, wippten Eichkätzchen
spottend auf und ab. Hinter sicherem Busch-
werke äugte ein Reh und brach dann mit raschen
Sprüngen durch das Dickicht. Aus der Ferne
aber schallte der Ruf des Kuckucks, eintönig,
mahnend, schwermüthig.

In all dem Jrrsal verschlungener Pfade,
grünender Laubgänge und überblühter Wiesen
hauste in einem Kapellchen, gezimmert aus Holz
und mit Feldsteinen aufgemauert, tiefversteckt
die Madonna; sie verlangte hinaus in die Sonne,
in das lichte Leben. In ihrem Herzen sproßte
die Sehnsucht nach den athmenden Wirklichkeiten
des Daseins, eine stille Blume, empor, und die
Heimath mit ihren Palmen und Cypressen, ihren
Firnen und Seen erschien ihrer suchenden Seele.

So stieg sie von ihrem Postament herab und
wandelte an das nahe Meeresufer. Wie lockte
die kühle Fluth! Die Madonna streifte ihr Ge-
wand ab, und bald umspülten sie die weichen
schäumenden Wogen des adriatischen Meeres,
sangen, raunten, summten, kamen und gingen,
hoben den schneeigen Leib auf ihren Kämmen
empor und senkten ihn wieder.

Immer höher stieg die Sonne. Eine sanfte
Müdigkeit zwang die Madonna auf den Grund
am Ufer nieder, und ohne Hülle, ohne Schleier
entschlief sie beim Gesänge der Wellen. Auf
dem Rasenteppich ruhte sie in aller Herrlich-
keit, das lockige Haupt auf den linken Arm
gestützt, die Glieder im Schlummer gelöst, ein
Gebilde von unvergleichlicher Zartheit und von
einem Ebenmaß, wie ihn des Künstlers Auge
nur im höchsten Entzücken erschaut.

Derweil lustwandelten Diokletian und die
Seinen, der Kaiser wie immer jedes Wort sorg-
sam abwägend, die Anderen lauschend und be-
 
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