2887 .
Englische Satiren.*
Gezeichnet von Cynirus.
Wer da glaubt, daß das englische „Krämervolk"
keinen Sinn für die Kunst hat, mag ein ganz
guter Mensch sein, das können wir nicht bestreiten,
daß dieser „gute Mensch" aber ein schlechter Musi-
kant ist, das ließe sich zur Roth beweisen. Wäh-
rend in Deutschland unter dem Jagen nach fetten
Dividenden die Kunst jede Individualität einzu-
büßen droht und die Zeichenstifte sich quälen, den
Voll- und Halbgöttern neue Mäntelchen umzu-
hängen, in denen sie sich vor dem Volke gut aus-
nehmen, beeilen sich die englischen Künstler, „zum
Volke herunterzusteigen", Theil zu nehmen an
seinen Leiden und Freuden und — thätig mitzu-
schaffen an dem Aufbau einer schöneren Welt,
als es die nach der prozentualen Einkommensteuer
abgeschätzte ist. Künstler wie Brangwyn und
Walter Crane dürsten in ihrer Eigenart in Deutsch-
land schwer zu finden sein, und diese Männer
haben Schule gemacht und befruchtend auch auf
die Jüngeren in — England gewirkt.
Ein vor Kurzem in London erschienenes Buch !
von Cynicus (ein Pseudonym) enthält eine Reihe
Federzeichnungen aus den verschiedensten Gebieten
des öffentlichen Lebens, die uns einen tiefen Ein-
blick in das Geistesleben des englischen Künstlers
thuu läßt. Gerade die gewählten Sujets veran-
lassen uns, unfern Lesern einige Proben aus dem
Buche zu geben. Die scharfe Auffassung „der ver-
kehrten Welt" und die genialische Sicherheit des
Zeichenstifts werden bei allen Beschauern der
Zeichnungen eine aufrichtige Bewunderung für
den Künstler erwecken und bei uns Deutschen
vielleicht auch noch etwas Neid, daß wir so sehr
wenig dem an die Seite zu stellen haben.
* Aus The Cynicus Publishing Co., 59 Drury Lane,
London. Preis 1 Schilling.
Zu dem ersten Bilde, „Arbeiter und Kapita-
list", brauchen wir nichts hinzuzufiigen, unsere
Leser sind hierin die koinpetentesten Beurtheiler.
Im zweiten Bilde, „Der Frieden und die Sol-
daten Gottes", sehen wir die Diener der christ-
lichen Kirche im wilden Zank, statt Liebe und
Versöhnung — Herrschsucht und Unduldsamkeit,
während der Frieden trauernd davongeht. So
war es und so wird es bleiben in dieser besten
aller Welten! Das dritte Bild zeigt uns die
blinde Arbeit, die ausgebeutet, gequält, ge-
höhnt und verspottet von den Großen des Reiches
in der Verzweiflung alles zusammenreißt. Der
Künstler benützt hier in sehr geschickter Weise den
bekannten alttestamentarischen Vorgang vonSim-
son und den Philistern. Im vierten Bilde komint
neben der Satire auch der Humor zu seinem
Recht, die Rosenketten der Ehe verwandeln sich oft
in Fesseln, an denen beide Thcile schwer zu tragen
haben. In der Zeichnung „Das Haschen nach
Gold" zeigt der Künstler ein geradezu erstaun-
liches Talent in der Charakterisirung der Gesichter;
Alt und Jung, Papst und Kaiser, Mönch und
Gelehrter, Weiber und Mädchen, Alles jagt
hinter dem fahlen, gelben Golde her, das eigene
Ich und nur das Ich ist Trumpf, iin Durst
nach Gold schwindet jedes bessere Gefühl, der
Mensch ist entwürdigt zum Thier. In dem sechs-
ten und letzten Bilde: „Der Armenhausinsasse,
sein Vorsteher und die blinde, öffentliche Wohl-
thätigkeit", schildert Cynicus in scharfer Satire,
daß die Wohlthätigkeit die Bedürftigen gar nicht
erreicht; mindestens die besten Happen werden
von der Aufsicht und der Verwaltung vorweg
fortgenommen und der Rest, „zum Leben zu wenig
und zum Sterben zu viel", bleibt den Arinen.
Wir hoffen, daß wir unfern Lesern mit deni
Abdruck der sechs Bilder eine wirkliche Freude
bereitet haben. Vielleicht findet sich Mancher,
der das Büchlein sich anschafft, er wird es mit
großem Genuß durchblättern.
Titelsucht.
Verordnung war ergangen,
Man solle eitlen Thoren
Auch dienstlich nicht verweigern
Den Titel „Hochgeboren".
Doch nur, die Anspruch haben
Auf solchen Titels Ehr',
Soll man als hochgeboren
Begrüßen auch nunmehr.
Der Sepp, der Sohn der Senn'rin,
Ist auf der Alp zu Haus,
Er bittet sich den Titel
Als hochgeboren aus.
Katze und Maus.
Eines Tages schleuderte ich durch die Straßen
eines Ortes. In einer schmutzigen Gasse erblickte
ich eine Katze, die mit einer Maus spielte.
Neugierig trat ich näher.
Die Katze wußte das arme Mäuschen, welches
öfters zu cntivischen versuchte, immer und immer
wieder zu packen. So verging eine Viertelstunde,
bis endlich das kleine wehrlose Ding unter lautem
Quicken liegen blieb. Die Katze verspeiste den
Braten und ich lenkte meine Schritte weiter.
Es war kaum eine Stunde nach dem ersten
Vorgang verflossen, als mir ein zweites Schau-
spiel dargcboteu wurde.
Auf einem Kasernenhofe sah ich einen Offizier
mit einem Rekruten bajonettiren. Der in dieser
Uebung wohlbewanderte Vorgesetzte wußte dem
hierin nicht so erfahrenen Rekruten überall heftige
Knüffe und Püffe beizubringen. Er schien ein
wahres Vergnügen an den Schnierzen des Re-
kruten zu haben. Erst dann war der Offizier
befriedigt, als der Rekrut in Folge eines heftigen
Stoßes besinnungslos zur Erde fiel.
Ein kalter Schauer überlief mich bei diesem An-
blick; ich dachte sofort an die Katze und die Maus.
N. E.
Englische Satiren.*
Gezeichnet von Cynirus.
Wer da glaubt, daß das englische „Krämervolk"
keinen Sinn für die Kunst hat, mag ein ganz
guter Mensch sein, das können wir nicht bestreiten,
daß dieser „gute Mensch" aber ein schlechter Musi-
kant ist, das ließe sich zur Roth beweisen. Wäh-
rend in Deutschland unter dem Jagen nach fetten
Dividenden die Kunst jede Individualität einzu-
büßen droht und die Zeichenstifte sich quälen, den
Voll- und Halbgöttern neue Mäntelchen umzu-
hängen, in denen sie sich vor dem Volke gut aus-
nehmen, beeilen sich die englischen Künstler, „zum
Volke herunterzusteigen", Theil zu nehmen an
seinen Leiden und Freuden und — thätig mitzu-
schaffen an dem Aufbau einer schöneren Welt,
als es die nach der prozentualen Einkommensteuer
abgeschätzte ist. Künstler wie Brangwyn und
Walter Crane dürsten in ihrer Eigenart in Deutsch-
land schwer zu finden sein, und diese Männer
haben Schule gemacht und befruchtend auch auf
die Jüngeren in — England gewirkt.
Ein vor Kurzem in London erschienenes Buch !
von Cynicus (ein Pseudonym) enthält eine Reihe
Federzeichnungen aus den verschiedensten Gebieten
des öffentlichen Lebens, die uns einen tiefen Ein-
blick in das Geistesleben des englischen Künstlers
thuu läßt. Gerade die gewählten Sujets veran-
lassen uns, unfern Lesern einige Proben aus dem
Buche zu geben. Die scharfe Auffassung „der ver-
kehrten Welt" und die genialische Sicherheit des
Zeichenstifts werden bei allen Beschauern der
Zeichnungen eine aufrichtige Bewunderung für
den Künstler erwecken und bei uns Deutschen
vielleicht auch noch etwas Neid, daß wir so sehr
wenig dem an die Seite zu stellen haben.
* Aus The Cynicus Publishing Co., 59 Drury Lane,
London. Preis 1 Schilling.
Zu dem ersten Bilde, „Arbeiter und Kapita-
list", brauchen wir nichts hinzuzufiigen, unsere
Leser sind hierin die koinpetentesten Beurtheiler.
Im zweiten Bilde, „Der Frieden und die Sol-
daten Gottes", sehen wir die Diener der christ-
lichen Kirche im wilden Zank, statt Liebe und
Versöhnung — Herrschsucht und Unduldsamkeit,
während der Frieden trauernd davongeht. So
war es und so wird es bleiben in dieser besten
aller Welten! Das dritte Bild zeigt uns die
blinde Arbeit, die ausgebeutet, gequält, ge-
höhnt und verspottet von den Großen des Reiches
in der Verzweiflung alles zusammenreißt. Der
Künstler benützt hier in sehr geschickter Weise den
bekannten alttestamentarischen Vorgang vonSim-
son und den Philistern. Im vierten Bilde komint
neben der Satire auch der Humor zu seinem
Recht, die Rosenketten der Ehe verwandeln sich oft
in Fesseln, an denen beide Thcile schwer zu tragen
haben. In der Zeichnung „Das Haschen nach
Gold" zeigt der Künstler ein geradezu erstaun-
liches Talent in der Charakterisirung der Gesichter;
Alt und Jung, Papst und Kaiser, Mönch und
Gelehrter, Weiber und Mädchen, Alles jagt
hinter dem fahlen, gelben Golde her, das eigene
Ich und nur das Ich ist Trumpf, iin Durst
nach Gold schwindet jedes bessere Gefühl, der
Mensch ist entwürdigt zum Thier. In dem sechs-
ten und letzten Bilde: „Der Armenhausinsasse,
sein Vorsteher und die blinde, öffentliche Wohl-
thätigkeit", schildert Cynicus in scharfer Satire,
daß die Wohlthätigkeit die Bedürftigen gar nicht
erreicht; mindestens die besten Happen werden
von der Aufsicht und der Verwaltung vorweg
fortgenommen und der Rest, „zum Leben zu wenig
und zum Sterben zu viel", bleibt den Arinen.
Wir hoffen, daß wir unfern Lesern mit deni
Abdruck der sechs Bilder eine wirkliche Freude
bereitet haben. Vielleicht findet sich Mancher,
der das Büchlein sich anschafft, er wird es mit
großem Genuß durchblättern.
Titelsucht.
Verordnung war ergangen,
Man solle eitlen Thoren
Auch dienstlich nicht verweigern
Den Titel „Hochgeboren".
Doch nur, die Anspruch haben
Auf solchen Titels Ehr',
Soll man als hochgeboren
Begrüßen auch nunmehr.
Der Sepp, der Sohn der Senn'rin,
Ist auf der Alp zu Haus,
Er bittet sich den Titel
Als hochgeboren aus.
Katze und Maus.
Eines Tages schleuderte ich durch die Straßen
eines Ortes. In einer schmutzigen Gasse erblickte
ich eine Katze, die mit einer Maus spielte.
Neugierig trat ich näher.
Die Katze wußte das arme Mäuschen, welches
öfters zu cntivischen versuchte, immer und immer
wieder zu packen. So verging eine Viertelstunde,
bis endlich das kleine wehrlose Ding unter lautem
Quicken liegen blieb. Die Katze verspeiste den
Braten und ich lenkte meine Schritte weiter.
Es war kaum eine Stunde nach dem ersten
Vorgang verflossen, als mir ein zweites Schau-
spiel dargcboteu wurde.
Auf einem Kasernenhofe sah ich einen Offizier
mit einem Rekruten bajonettiren. Der in dieser
Uebung wohlbewanderte Vorgesetzte wußte dem
hierin nicht so erfahrenen Rekruten überall heftige
Knüffe und Püffe beizubringen. Er schien ein
wahres Vergnügen an den Schnierzen des Re-
kruten zu haben. Erst dann war der Offizier
befriedigt, als der Rekrut in Folge eines heftigen
Stoßes besinnungslos zur Erde fiel.
Ein kalter Schauer überlief mich bei diesem An-
blick; ich dachte sofort an die Katze und die Maus.
N. E.