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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0275
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2897

der Thierheit marschiren, die Mordwerk-
zcuge, die eine ständige Gefahr für seine
schwächeren Brüder und Vettern sind, so
oder so, wie es eben von ihm verlangt wird,
unschädlich mache!"

„Muh!" brüllte der Ochs aus Leibes-
kräften und schlug mit dem Schwanz um
sich, daß dem Esel, der erschreckt bei Seite
sprang, das begeisterte „Ja" im Halse
stecken blieb. Aber dafür bähte das Schaf
und gackerte die Henne um so lauter, und
die Taube gurrte, als wollte sie mit dem
Löwen schnäbeln. Nur der Wolf, der Fuchs
und der Marder gaben keinen Laut von sich,
sondern schielten verstohlen mit dem einen
Auge den Sprecher, mit dem andern den Nach-
bar au, als wollten sie sich vergewissern,
was er von der ganzen Geschichte denke.

„Was mich selbst betrifft," Hub der Löwe
wieder an, „so habe ich es natürlich für
meine Pflicht gehalten, mit dem guten
Beispiel voranzugehen. Ich habe mir daher
auf den Rath meiner Minister, so sehr sich
mein Selbstgefühl als König der Thiere
dagegen sträubte, meine majestätische Mähne,
die meinen Brüdern so viel Schreck ein-
jagte, glatt abgeschoren und außerdem, wie
Sie sehen, meine Krallen, die man allgemein
fürchtete, durch dicke Lederhandschuhe un-
schädlich gemacht. Um so mehr darf ich
also erwarten, daß auch meine durch-
lauchtigsten Vettern sich den Anordnungen,
die ich und meine Räthe im Bezug auf ihre
Person für nothwendig erachteten, un-
weigerlich fügen werden."

Wieder stampften Ochs, Esel und Schaf
vor Freuden mit allen Vieren, so daß
Hansis Bett ordentlich hin- und herwackelte.
Und wieder musterten sich Wolf, Fuchs und
Marder mit halb ängstlichen, halb lauernden
Blicken.

„Unsere Vorschläge sind also folgende.
Zunächst betreffs Seiner Hoheit des groß-
mächtigen Wolfes, der namentlich bei den
Schafen — wir wollen hier nicht unter-
suchen, ob mit Recht oder Unrecht — den
Ruf eines Friedensstörers genießt: Seine
Hoheit soll allsogleich, spätestens aber inner-
halb vierundzwanzig Stunden, zum nächsten
Bader gehen und sich sämmtliche Zähne
ziehen lassen."

Bei diesen Worten des Löwen erhob sich
ein ungeheurer Lärm. Der Ochse brüllte,
daß die Fenster zitterten, das Schaf weinte
vor Freuden und der Esel schrie einmal
über das andere: „Ja! Ja! Da!" Der
Wolf dagegen warf Brille und Gebetbuch
zur Erde und sprang fletschend mitten in
den Kreis. „Verräther! Heuchler! Schurke!"
heulte er dem Gewaltigen zu, und seine
blutrothe Zunge leckte wie eine Flamme
aus dem Rachen hervor. „Seht diesen
Pharisäer, liebe Vettern und Mitthiere! Uns
will er die Zähne ausbrechen, er selber aber
behält Gebiß und Krallen, damit er her-
nach, wenn wir die Dummen waren, den
Handschuh abstreifen und uns alle gemüth-
lich zerfleischen kann! Her zu mir, wem
das Wohl der Thierheit am Herzen liegt!
Nieder mit dem Verräther!" Und mit
wildem Satz wollte er sich auf den Löwen
stürzen. Der aber hatte schon einen Hand-

schuh ausgezogen und die bekrallte Pranke
zum Schlag erhoben. Die anderen Thiere
erschauerten ob des schrecklichen Anblicks,
und Hansi wäre am liebsten unter die Decke
gekrochen. Da plötzlich, als ein tödtlicher
Zweikamps unvermeidlich schien, warf sich
der Fuchs behend zwischen die beiden geifern-
den Bestien, und indem er die Friedens-
palme, die dem Löwen entfallen war in
der hocherhobenen Rechten schwang, schrie
er, so laut er konnte: „Schämt Euch, Ihr
Großen! Nennt Ihr das eine Friedens-
konferenz? Was sollen die Kleinen von Euch
denken? Aber freilich, wer könnte vom
Löwen Weisheit und vom Wolf Selbst-
beherrschung verlangen? Plump dreinschlagen
wie Fleischerknechte — das ist Eure ganze
Kunst. Warum zankt Ihr Euch eigentlich?
Wegen des thörichten Vorschlags, den der
Löwe gemacht hat. Als ob den einer
Ernst genommen hätte! Ihr staunt ob
meiner kühnen Sprache? Du fletschest die
Zähne, Vetter Löwe? Sei ruhig! Du sollst
mit mir zufrieden sein! Und Ihr andern
auch! Darum höret, was Euch Rcinecke zu
sagen hat!"

Verwundert, ja bestürzt ob solcher Keck-
heit, schauten der Löwe und der Wolf den
Sprecher an. Der aber redete lächelnd
weiter, indeß er seinen Weihwedelschwanz
schüttelte und ihnen Beiden einige Tropfen
auf die Nase spritzte.

„Seine Majestät der Löwe hat ganz
Recht, wenn er sagt, daß man das Uebel
an der Wurzel fassen und die Ursachen des

unsinnigen Mordens aus der Welt schaffen
sollen. Aber er irrt, wenn er diese in so
unschuldigen Dingern, wie Zähne und Krallen,
zu erblicken glaubt. Sollen wir uns ver-
stümmeln, uns des Schönsten berauben, was
uns die Natur beschert hat? Nein, und
dreimal nein! Das wäre doppelter Wahn-

sinn! Denn der Trieb zu Morden bliebe
ja bestehen, auch wenn wir uns alle Zähne
ausgebrochen hätten! Und unsere höhere Auf-
gabe ist es gerade, diesen Trieb auszurotten!
Aber wie ist das möglich? Nichts leichter
als das: Man beseitige alle die, die uns
Gewaltigen und Großen der Thierheit tag-
täglich zum Morden reizen! Man vernichte
die Ochsen und Esel, die dem Löwen ein
ewiges Aergerniß sind, die Schafe, die den
Blutdurst des Wolfes wecken, die Tauben,
die Hühner, die meine Sünden auf dem Ge-
wissen haben, die Tauben, die den Marder
zum Halsumdreher machen!"

Die Wirkung dieser Rede war un-
beschreiblich. Ein einziger Jubelschrei —
und schon hatte sich der Löwe auf den
Ochsen gestürzt nnd riß ihm mit den un-
behandschuhten Krallen das Fleisch von den
Knochen, schon würgte der Wolf das Schaf,
der Fuchs das Huhn, der Marder die Taube,
als sich die Thür plötzlich öffnete und der
bucklige Kasperle ins Zimmer trat. Der
ließ lachend die Pritsche auf dem Rücken
der sonderbaren Friedensstifter niedersausen
und begleitete jeden Schlag mit den schönen
Worten: „Pollicke! Pollacke!" Als er aber
zum zehuten Mal ausholte, traf er im Eifer
des Gefechts den armen Hansi, der, an
allen Gliedern zitternd, das wunderbare
Schauspiel betrachtete, mitten auf die Nase,
und Hansi — erwachte.

Am Bettchen aber stand die Mama und
fragte besorgt: „Aber warum hast Du denn
so geschrieen?" Hansi wollte antworten;

aber da trat gerade der Papa ins Schlaf-
zimmer. Er hielt die Zeitung in der Hand
und sagte zur Mama: „Weißt Du schon
das Neueste? Die Friedenskonferenz, die der
Zar einberufen hat, ist unverrichteter Sache
wieder auseinandergcgangen."
 
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